Gemessen an der Marktkapitalisierung sind die deutschen Vorzeigefirmen jedoch häufig nur Mittelmaß. So liegt die Deutsche Bank als die größte europäische Bank (bezogen auf die Bilanzsumme) mit der Ambition auf eine führende Stellung im globalen Investmentbanking gemessen an ihrer Börsenbewertung nur auf Rang 5, hinter Firmen aus Großbritannien und der Schweiz. Die Deutsche Telekom als der volumenmäßig größte europäische Telekommunikationskonzern hat einen niedrigeren Marktwert als der britische Mobilfunkanbieter Vodafone Airtouch und der finnische Ausrüster Nokia. Metro als der größte europäische Einzelshandelskonzern wird an der Börse sogar nur mit einem Viertel des französischen Mitbewerbers Carrefour bewertet und liegt noch hinter dem britischen Mitbewerber Kingfisher, der lediglich 25 % des Umsatzes erwirtschaftet. Auch zwischen einer deutsch-französischen Aventis und einer britischen GlaxoWellcome oder SmithKline Beecham, die vom Umsatz gar nicht so weit auseinander liegen, klafft ein deutlicher Bewertungsspread bezogen auf die Marktkapitalisierung.
Diese Differenzen sind dabei durch abweichende Geschäftsmodelle und unterschiedlich hohe Wachstumsraten teilweise gerechtfertigt. Symptomatisch in vielen Fällen ist dagegen, daß es ausländische Firmen in den letzten Jahren verstanden haben, ihren Unternehmenswert und damit die Bewertung an der Börse durch eine vorausschauende Strategie und die Focussierung auf attraktive Wachstumsfelder enorm zu steigern. Auch eine geschickte Selbstvermarktung hat sicher wie im Falle von Vodafone oder Nokia eine wesentliche Rolle gespielt. Deutsche Unternehmen haben aufgrund ihrer schieren Größe und sprichwörtlichen Unbeweglichkeit Trends dagegen häufig zu spät erkannt und sich daher eine frühe Marktführerschaft verspielt, wie z.B. Siemens im Bereich der mobilen Kommunikation. Außerdem war bisher bei fast allen deutschen Konzernen eine ausgeprägte Tendenz erkennbar, kein Geschäftsfeld freiwillig aufzugeben, um sich statt dessen auf bestimmte Kernkompetenzen zu konzentrieren, so wie es Nokia und Ericsson vorgemacht haben.
Diese bisher unzulängliche Ausrichtung deutscher Unternehmen am Shareholder-Value-Gedanken rächt sich nun in einer relativ niedrigen Börsenbewertung. Daher befinden sich die Konzerne in einem Teufelskreis: Vielen von ihnen ist der Heimatmarkt zu eng geworden, sie wollen und müssen ins Ausland expandieren, um im beinharten Wettbewerb bei tendenziell sinkenden Margen überleben zu können. Der schnellste Weg für eine börsennotierte AG, um ihre Internationalisierungsstrategie voranzutreiben, ist der Aufkauf eines ausländischen Mitbewerbers. Solange jedoch die Börsenbewertung relativ zum potentiellen Übernahmeopfer zu niedrig ist, ist ein solcher Schritt nicht oder nur schwer finanzierbar, da nicht genügend „smart money“ in Form von eigenen Aktien zur Verfügung steht. Wenn jedoch Fusionen und Übernahmen ausbleiben, ist der Anreiz für institutionelle Anleger, bei stagnierenden Erträgen in der jeweiligen Aktie engagiert zu bleiben, eher gering. Der Druck auf den Aktienkurs nimmt daher tendenziell weiter zu, die Erfolgsaussichten für die Auslandsexpansion nehmen weiter ab. Dies kann im Extremfall dazu führen, daß der expansionswillige Konzern selbst zum Übernahmeopfer wird, wie derzeit bei der Commerzbank zu beobachten ist.
Eine gewisse Ausnahme bildet hier die Deutsche Telekom: Trotz einer bisher nicht sehr überzeugenden Internationalisierungsstrategie und rückläufiger Margen konnte der rosarote Riese im Vergleich mit anderen europäischen Telecoms aufgrund der erfolgreichen Aktienplazierungen insbesondere bei Privatanlegern (der sog. „Manfred-Krug-Effekt“) und der hohen DAX-Gewichtung seinen Spitzenplatz in der Marktbewertung bisher halten. Sollten jedoch weitere Akquisitionen in USA oder im europäischen Ausland nicht bald erfolgen, so droht auch hier der Abstieg ins Mittelfeld. Ein Ausweg aus diesem Dilemma wird es für die deutschen Vorzeigeunternehmen nur dann geben, wenn sie bereit sind, auch Opfer zu bringen. Sei es, daß sie freiwillig mit einem starken inländischen Partner fusionieren, oder indem sie unrentable Geschäftsfelder aufgeben. Auch der sprichwörtliche deutsche Erfindergeist sollte wieder mehr dazu beitragen, auf dem internationalen Parkett Marktanteile hinzuzugewinnen. Endogenes Wachstum ist daher das Stichwort, was bei deutschen Konzernlenkern trotz der momentan opportun erscheinenden Fusionitis und Mergermania wieder mehr Beachtung finden sollte. Dies wird sich dann früher oder später auch in einem höheren Börsenkurs niederschlagen.
Die GoingPublic-Kolumne erscheint börsentäglich in Zusammenarbeit mit dpa-AFX.