Am höchsten werden dabei immer jene gehandelt, denen das Potential zugetraut wird, ganze Wirtschaftszweige neu entstehen und bereits existierende überflüssig werden zu lassen.
In diesem Zusammenhang muß als unumgängliches Beispiel – Sie werden es bereits ahnen – natürlich die Technologie bzw. das Medium Internet angeführt werden. Das ist schon fast ein alter Hut, aber trotzdem hat eben im Besonderen die vernetzte Welt einen Umwälzungsprozeß von ungeahntem Ausmaß in den bestehenden Wirtschaftsstrukturen ausgelöst. Auch hier wieder ein Begriff, der bei vielen Marktbeobachtern oft nur noch ein müdes Lächeln hervorruft. Gemeint ist der e-Commerce. Plötzlich kann der Hersteller alle sonst üblichen Handelsstufen überspringen und seine Produkte quasi allen Internetnutzern, ob geschäftlich (B2B) oder privat (B2C) von Nordhorn bis Nowosibirsk ohne großen Aufwand anbieten.
Kaum auszumalende Absatzpotentiale ließen die Herzen der Analysten höher schlagen. Junge Unternehmen mit schlanken Strukturen und einem motivierten Management, die sich auf den e-Commerce spezialisiert hatten, schossen wie Pilze aus dem Boden. Die schöne neue virtuelle Welt blendete dermaßen, daß Wagniskapital in riesigen Dimensionen in die Start-ups floß.
So geschehen bei der englischen boo.com. Das von einem Literaturkritiker und einem Fotomodell konzipierte Geschäftsmodell sah den internetbasierten Verkauf der neuesten und coolsten Sport- und Clubmode vor. Mit ehrgeizigen Zielen und hohen Erwartungen begann das Geschäft – und entpuppte sich als Millionengrab. 135 Mio. US-$ hatten namhafte Investoren wie Benetton und Goldman Sachs Anfang des letzten Jahres zur Verfügung gestellt. Übrig geblieben sind bei der Bekanntgabe der Pleite Ende letzter Woche lediglich Barmittel in Höhe von 0,5 Mio. US-$. Für Werbung, die Gestaltung des Online-Auftritts und die Technologie verbrauchte boo.com jede Woche 1 Mio. US-$, bei einem Umsatz von gerade einmal 680.000 US-$ in der Zeit von November bis Januar.
Die Frage stellt sich: Sind wir alle nur dem trügerischen Schein einer Fata Morgana erlegen, bzw. ist der e-Commerce wirklich die zukunftsweisende, gewinnträchtige Form des Handelns, die alle immer zu sehen glaubten? Die Antwort ist so einfach wie ernüchternd: Jein!
Natürlich, es gibt Profiteure in diesem Bereich, wie z.B. die Anbieter der Infrastruktur oder der benötigten Software, und es wird sie auch weiterhin geben. Aber viele Unternehmen werden längerfristig nicht bestehen können, denn längst nicht jeder, der sich e-Commerce auf die Fahnen geschrieben hat, besitzt auch die richtige Strategie. Gerade Unternehmen im Privatkundengeschäft (B2C) können nur mit standardisierten Dienstleistungen und Produkten wie Reisen, Computern oder Software hohe Umsätze erzielen, denn das Geschäft wird mit der Masse gemacht. Der Fall boo.com ist sicherlich nur der prominente Gipfel des Eisberges. Merril Lynch prognostiziert, daß 75 % aller „dot.com-Firmen“ Europas in den nächsten Jahren entweder durch Zusammenschlüsse oder Konkurse von der Bildfläche verschwinden, bis am Ende nur die effizientesten Unternehmen übrig sind.
Das alles ist zwar Grund zur Sorge, aber kein Grund zu voreiliger Panik. Vielmehr sollte dieser Präzedenzfall jeden Investor, ob privat oder institutionell, zur Vorsicht mahnen, denn längst nicht jeder Business-Plan, der von abenteuerlichem Wachstum und einer einzigartigen Idee erzählt, kann halten, was er verspricht.
Die GoingPublic-Kolumne erscheint börsentäglich in Zusammenarbeit mit dpa-AFX.