In seinem hervorragenden Buch „Digital Darwinism“ erzählt Evan I. Schwartz von einem Online-Retailer der ersten Stunde. Das Unternehmen lockte eifrig Kunden auf die eigene Seite, indem es „Titanic“ Videos deutlich unter dem Einkaufspreis verkaufte. Der eigene „Erfolg“ in der Internetwirtschaft war gleichzeitig ein schmerzhafter Misserfolg in der realen Wirtschaft: Je mehr Leute auf die Website kamen, um das Video zu erstehen, desto tiefroter wurden die Zahlen des Unternehmens. Genauso wäre es – so vergleicht Schwartz treffend – wenn Sie auf Ihrer Webpage Ein-Mark-Stücke zu 90 Pfennig verkauften und sich über das rasante „Wachstum“ Ihres e-Business freuten. Kurz bevor dem oben beschriebenen e-Tailer jedoch der Cash ausging, wurde das Unternehmen aufgekauft. Das Dumping-Preis Konzept hatte sich also ausgezahlt – für das „90-Pfennig-Modell“ legte ein anderes Unternehmen hunderte von Millionen Dollar auf den Tisch. Dies ist – wie gesagt – eine Geschichte aus den frühen Tagen des e-Commerce.
Heute sieht die Welt anders aus. CDNow war in einer wesentlich schlechteren Verhandlungsposition, nachdem bereits die Übernahmegespräche mit Columbia House (dahinter verbergen sich TimeWarner und Sony Music) zu Jahresbeginn geplatzt sind. Da die Cash Reserven des Unternehmens nach eigenen Aussagen nur noch bis September gereicht hätten, konnte CDNow für die eigenen Aktionäre keine „fette Prämie“ mehr aushandeln. Bertelsmann wird das Unternehmen zu 3 US-$ je Anteilschein erwerben – der gestrige Schlußkurs lag bei 2 7/8 US-$. Damit zahlt Bertelsmann 117 Mio. US-$ Cash für CDNow – davon rund 18 Mio. US-$ für die beiden Gründer. Zu besten Zeiten stand das Unternehmen, das im Februar 1998 zu 16 US-$ an die Börse ging, nahe der 40 US-$ Marke! CDNow wurde von der Börse dereinst als Milliarden-Dollar-Unternehmen bewertet!
Bertelsmann macht hier einen guten Schachzug – vielleicht sogar ein Schnäppchen. Wie immer man die Finanz(schief)lage von CDNow bewerten möchte, es bestehen gute Chancen, daß sich das Investment für Bertelsmann auszahlen wird. CDNow ist noch immer Marktführer mit 3,7 Mio. Kunden. Im ersten Quartal konnten Waren im Wert von über 40 Mio. US-$ auf den Webpages umgeschlagen werden und die Wachstumsraten liegen noch immer im Bereich von 100 % p.a. Bertelsmann wird die neue Online-Marke CDNow gut in das eigene Portfolio integrieren können und eigene Produkte darüber vertreiben. CDNow hat in diesem Jahr damit begonnen Musik über Mobiltelefone zu vertreiben – eine Entwicklung die Bertelsmann unter der neuen Marke kräftig vorantreiben sollte. Außerdem läßt sich das Musikangebot mit dem von barnesandnoble.com und bol.com verbinden. Erst vor einiger Zeit hat Bertelsmann seinen Anteil an barnesandnoble.com auf nunmehr 40 % erhöht. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis die beiden Online-Buchläden verschmolzen werden. Damit hätte das deutsche Medienhaus zwei starke Internet Marken in den Bereichen Bücher und Musik. Gepaart mit jeder Menge positiven Cash-Flows könnte dies auf mittlere Sicht ausreichen, um es irgendwann auch mit Amazon aufzunehmen…
Wie dem auch sei: Eine neue Konsolidierungsrunde wird eingeläutet! Nicht alle „Todeskandidaten“ werden schließlich auf dem Friedhof landen…
Die GoingPublic-Kolumne erscheint börsentäglich in Zusammenarbeit mit dpa-AFX.