Japans Wirtschaft schrumpft um 13 Prozent.“ So lautete die furchterregende Überschrift, die in der letzten Woche alle Anleger und Wirtschaftsinteressierten aufschreckte. 13 Prozent! Das erinnert ja wirklich schon an 1929. Was für ein Schlag. Ist es anlässlich dieser Zahl überhaupt noch möglich, zuversichtlich zu sein? Eigentlich nicht, sollte man denken.

Doch ist Japans Wirtschaft eigentlich tatsächlich um 13 Prozent geschrumpft? Keineswegs! Nicht einmal im Entferntesten! Denn diese Zahl ist eine Fiktion. Sie ist eine Hochrechnung, aber nicht eine Hochrechnung wie vor einer Wahl, um eine wahrscheinliches Szenario möglichst genau zu prognostizieren, sondern eine Addition unter der Prämisse, dass das, was jetzt ist, auch in Zukunft so sein wird.

Die Methode hierzu nennt sich „Annualisierung“, und sie verfolgt das Ziel, Geschehnisse auf ein ganzes Jahr zu basieren. Im hier betrachteten Japan-Fall heißt das: Man hat gemessen, dass die Wirtschaft in Japan im 3. Quartal 2008 um 3,3 Prozent gefallen ist. Wenn man das nun auf ein Jahr hochrechnet, sind es etwa 13 Prozent (grob gesprochen ergibt sich dabei: 3,3 mal 4 gleich 13,2).

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Bei der Behauptung, dass Japans Wirtschaft um 13 Prozent geschrumpft ist, handelt es sich also um eine bewusste Falschmeldung. Japans Wirtschaft ist nicht um 13 Prozent geschrumpft, sondern im 3. Quartal 2008 um 3,3 Prozent. 13 Prozent werden es erst, wenn der Rückgang in den folgenden drei Quartalen genauso groß ist wie im 3. Quartal.

Ich finde diese Methode genial und rege an, sie noch durch eine weitere Methode zu ergänzen, die ich „Dezennualisierung“ nennen will. Warum alle Ergebnisse nur auf ein Jahr hochrechnen, lasst sie uns doch gleich auf ein Jahrzehnt hochrechnen. Wir sprechen doch gerade bei Japan so oft über „das verlorene Jahrzehnt“. Lasst uns daher die 3,3 Prozent nicht nur auf ein Jahr hochrechnen, sondern gleich auf das Jahrzehnt. Dann haben wir eine neue Überschrift, die gleich noch viel besser und reißerischer klingt: „Japans Wirtschaft schrumpft auf null!“ Damit wird man sicherlich viele Zeitungen verkaufen!

Aber auch mit der Annualisierung kann man viel Spaß und Freude haben: Wenn ich beispielsweise den Alkohol, den ich in einem ganzen Jahr trinke, jetzt an einem Tag zu mir nehme, dann wird es sicher schön zechen. Oder heute morgen habe ich auf der Straße 50 Cent gefunden. Annualisiert sind das immerhin beinahe 200 Euro. Da werde ich gleich losgehen und das ausgeben. Es gibt natürlich auch tragische Ereignisse: Den Verlust eines Familienmitgliedes zu annualisieren würde schließlich bedeuten, dass binnen eines ganzen Jahres die ganze Sippe gleich mehrmals getilgt wäre.

Vielleicht sollten wir daher ganz generell aufhören mit dem Unsinn der Annualisierung, der Dezennialisierung und der Millesianisierung. Die berühmte Geschichte vom Josephspfennig und vom bösen Zinsenszinseffekt, der unser Finanzsystem zum Einsturz bringt, und die jetzt überall sehr oft zu hören ist, gehört ja auch dazu. Aber es gibt wenig Hoffnung: Bald werden wir ganz sicher die Schulden des US-Haushaltes im 4. Quartal 2008 millesianisiert sehen, zum Mindesten jedoch annualisiert.

Ach, was sind das für aufregende Zeiten, in denen wir leben. Die Welt ist fest in unseren Händen. Wir können sie uns schön rechnen oder hässlich rechnen – ganz wie wir wollen. Und bald wissen wir selbst nicht mehr, was wir eigentlich noch glauben sollen. Oder sind wir an diesem Punkt nicht schon längst vorbei?

Bernd Niquet

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