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Erst kam Corona. Und dann innerhalb von wenigen Wochen eine Notgesetzgebung, die die gesamte Hauptversammlungswelt auf den Kopf gestellt hat. Ta da! Die virtuelle HV war geboren. Und viele alte Glaubenssätze waren obsolet. Präsenz-HV? Geht aus Vorsichtsgründen und Sicherstellung der Planbarkeit im Prinzip derzeit gar nicht mehr. Eine online stattfindende Versammlung mit einem verbleibenden Kernteam von Verwaltung der Gesellschaft, Notar und Technik ersetzt die Versammlung mit körperlicher Anwesenheit der Aktionäre komplett.

Eine derart grundlegende Änderung in so kurzer Zeit hat es im deutschen Aktienrecht noch nie gegeben. Nachdem das Gesetz nun gut zwei Monate in Kraft ist, haben bereits zahlreiche Versammlungen unter den neuen Regeln stattgefunden, und ein erstes Zwischenfazit ist möglich.

Was sieht man in der Praxis?

Die schon bisher mögliche Online-HV spielt in der Praxis keine Rolle, da mit ihr weitergehende Rechte der Aktionäre verbunden sind. Selbst Unternehmen, die bisher parallel zur Präsenz-HV eine Online-HV durchgeführt haben, stellen in diesem Jahr auf die virtuelle HV um.

Alle müssen vor der Einberufung der HV die gleichen Kernfragen für sich entscheiden:

Virtuelle HV oder Präsenz-HV?

Ein Wechsel von der einen zur anderen Variante ist nach Einberufung nicht mehr möglich.

Aktionärsportal oder E-Mail für Fragen und Widersprüche?

virtuelle HV

Beide Varianten sind als elektronische Wege ausreichend. E-Mail ist einfach in der Einrichtung, aber aufwändig in der Handhabung (Identifikation Aktionär häufig schwierig, Massenthematik bei den Mails (manuelle Sichtung jeder Mail ist notwendig), Massenthematik bei Fragen und Widersprüchen möglich, enthaltene Viren/Malware, inhaltlicher Missbrauch durch unangemessene Anlagen/Texte/Bilder, Spam-Filter-Problematik).

Ein Aktionärsportal ist aufwändiger in der Einrichtung und muss hohe Anforderungen erfüllen, ist aber sicherer in der Nutzung. Oben genannte Nachteile werden weitgehend umgangen. Entspricht dem State of the Art.

Verkürzen wir die Einberufungsfrist?

Bisher waren meist mindestens 37 Tage vor HV im Bundesanzeiger festgelegt – jetzt ist die Verkürzung der Frist bis zum 21. Tag vor der HV möglich. Empfehlung: möglichst nicht verkürzen (außer in Notfällen). Bei Einberufungszeiten unter 30 Tagen vor der HV sind insbesondere – aber nicht nur- bei Inhaberaktien Schwierigkeiten mit der Abwicklung der Stimmrechtsausübung durch die Stimmrechtsberater ISS und Broadridge sowie bei den großen Verwahrbanken vorprogrammiert. Eventuell schaffen es große Aktienbestände nicht, sich rechtzeitig formgerecht anzumelden. Die Gefahr von Zufallsmehrheiten steigt.

Was bedeutet Möglichkeit zur Begrenzung der Frist zur Frageneinreichung?

Die Praxis ist noch uneinheitlich:

  • Zwei Tage freibleibend (also bis Ende des 3. Tages vor der HV, z.B. Bayer, DB, Deutsche Börse, EON, Lufthansa)
  • Ein Tag freibleibend (also bis Ende des 2. Tages vor der HV, z.B. Talanx, SAP)
  • Kompromisslösung: ca. 48 Stunden freibleibend (also bis zur Startzeit der HV am 2. Tag vor der HV oder bis 12 Uhr mittags, z.B. Allianz, Münchener Rück, Schaeffler)
  • Die mögliche Variante, bis in die HV hinein Fragen zuzulassen, ist in der Praxis bisher bedeutungslos

Vorteil der Nutzung der Zwei-Tagesfrist bei den Fragen

Die Strukturierte und endgültige Vorbereitung der Antworten vor der HV wird möglich. Ausschließlich möglich ist nur die Verlesung der Antworten während der HV. Keine Nachfrage möglich. Der Aufwand für ein während der HV aktives Q&A-Backoffice entfällt