Von der Stirnlampe zum integrierten OP-Saal
Die Stadt Tuttlingen erscheint auf den ersten Blick wie Gestalt gewordene Kontemplation, doch hinter den Fassaden der Unternehmen wie Aesculap, Chiron oder eben Karl Storz regiert ein schwäbischer Tüftlergeist, wie er typischer wohl kaum sein könnte. Das 1945 von Dr. Karl Storz gegründete Unternehmen jedenfalls ist in den vergangenen 66 Jahren rasant gewachsen: vom Kleinbetrieb, der Stirnlampen und andere Hilfsgeräte für HNO-Ärzte fertigte, zum global agierenden Medizintechnik-Unternehmen, das als Marktführer bei Endoskopen gilt und mit voll integrierten OP-Sälen ein zweites Standbein aufgebaut hat.

Wer kennt nicht die Fotos mit dem lieben Herrn Doktor, der mit Stirnlampe ausgestattet um das „Aaahhhh“ mit ausgestreckter Zunge bittet. Im Zweifelsfall handelt es sich bei der Stirnlampe um die „CLAR55“ mit 55 mm-Hohlspiegel und Glühbirne, die von Storz erstmals auf dem HNO-Kongress in Konstanz 1955 vorgestellt wurde und bis heute als das am meisten verkaufte Modell unter den Warmlicht-Stirnlampen gilt. Über Stablinsensysteme, Gerätschaften zur Zertrümmerung von Nierensteinen und diverse Hochfrequenzgeräte erfolgte die Entwicklung von Endoskopen, deren Einsatzmöglichkeiten stetig ausgeweitet und deren Bildgebung bis zum HD-Standard verbessert wurden. Schließlich bietet Karl Storz einen integrierten OP-Saal, der mit allem aufwartet, was für den minimal-invasiven Eingriff benötigt wird: Endoskopiekamera, Kaltlichtquelle, der Insufflator, mit dem Gas in den Körper gepumpt werden kann, ein Saug- und Spülsystem und ein Chirurgiegerät zum Schneiden. Mit der Steuerung aller Geräte über einen Touchscreen und der Übertragung auf verschiedene Monitore in und außerhalb des OP ist die Endoskopie dabei im digitalen Zeitalter angekommen.

Omertà auf schwäbische Art
Karl Storz setzt in der Endoskopie technologische Maßstäbe, in der Öffentlichkeitsarbeit ist das Unternehmen allerdings noch nicht so richtig im 21. Jahrhundert angekommen. So mochte man auf Anfrage weder Zahlen zum Umsatz und schon gar nicht zum Gewinn nennen, und auch sonstige Fragen werde man nicht beantworten, ließ man am Telefon wissen. Am mangelnden Erfolg dürfte diese Einsilbigkeit nicht liegen, denn der Umsatz stieg von 600 Mio. EUR 2005 auf 890 Mio. EUR 2009, wie Chefin Sybill Storz in einem Interview mit einer Wirtschaftszeitung bestätigte. Im vergangenen Geschäftsjahr 2010 dürfte das Unternehmen an der Umsatzmilliarde gekratzt, sie vielleicht sogar überschritten haben. Auf der Website finden sich allerdings keinerlei Zahlen, auch nicht zu regionalen Märkten oder nach Produktgruppen aufgegliedert.

Trends früh erkennen
„Das Potenzial von Karl Storz im Bereich Forschung und Entwicklung liegt in der Besonderheit, dass Karl Storz Trends von Anfang an erkennt und durch eigene, intelligente Lösungsansätze in erfolgreiche Produkte und Systeme umsetzt. Karl Storz nimmt die entscheidende Herausforderung an, immer am Puls der aktuellen, medizinischen Entwicklung“ zu agieren, benennt das Unternehmen in einer Präsentation die eigenen Stärken. Bereits 1995 sei so ein System zur endoskopischen und fluoreszenzgestützten Tumorfrüherkennung auf den Markt gekommen. „Das D-Light System kann dabei sowohl mit externen Markern als auch mit gewebeeigener Autofluoreszenz arbeiten und Tumorfrüh- oder -vorstadien in unterschiedlichsten Organen diagnostizieren, etwa in der Urologie, der Bronchoskopie, der Laparoskopie, der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde bis hin zur Neurochirurgie. In vielen Fällen lässt die Endoskopie sogar in gleicher Sitzung und damit für den Patienten auf besonders schonende Weise die chirurgische Entfernung des Tumorgewebes zu“, reklamiert das Unternehmen für sich. Diese Flexibilität und Nähe zur medizinischen Praxis scheint ein großer Trumpf zu sein, denn das Unternehmen trifft im Wettbewerb praktisch ausschließlich auf Medizintechnik-Abteilungen internationaler Konzerne wie Johnson & Johnson, Smith & Nephew oder Olympus – wobei letzterer Konkurrent offenbar gerade dabei ist, sich durch Bilanzfälschungen ins Abseits zu manövrieren.

Non-destructive testing
Während in der Medizin die Minimierung der Beeinträchtigungen für die Patienten selbstverständlich ist, setzt sich im Bereich der Industrie die Untersuchung mithilfe von Endoskopen erst jetzt flächendeckend durch. Es ist unmittelbar einsichtig, dass die Hochtechnologie, die für hochauflösende Bilder aus dem menschlichen Körper sorgt, auch bei industriellen Anwendungen Funktionen wie Verschleißvermeidung, Schadensanalysen, Fehlerdiagnostik, Kontrollen ohne Demontagen oder Schadenfrüherkennung übernehmen kann. Storz kann alle deutschen Premium-Fahrzeughersteller, zahlreiche Unternehmen der Flug- und Raumfahrt und ein Who is Who der Hochtechnologie-Unternehmen von Bosch, Siemens über Intel bis hin zu Hitachi oder Toshiba als Kunden vorweisen.

Fazit
Karl Storz ist einer dieser Global Player aus der Provinz, die einerseits von ihrer Marktstellung und Innovationsstärke her begeistert am Kapitalmarkt aufgenommen würden – die andererseits aber von der gesamten Unternehmenskultur denkbar weit von einem „Being public“ entfernt sind. Nichts deutet aktuell darauf hin, dass Karl Storz in absehbarer Zeit einen nennenswerten Kapitalbedarf hätte, so dass nicht mit einer Öffnung zum Kapitalmarkt – auch nicht für eine Unternehmensanleihe – zu rechnen ist.

Stefan Preuß

Ursprünglich erschienen im GoingPublic Magazin 12/2011.

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