Jochen Thiel, Vorstand, Bayerische Börse AG

Seit Anfang dieses Jahres steht Jochen Thiel gemeinsam mit Andreas Schmidt an der Spitze der Börse München. Im Interview mit dem GoingPublic Magazin spricht er über aktuelle Entwicklungen auf dem Aktien- und Anleihemarkt sowie die Zukunft des Marktplatzes Börse.

GoingPublic: Herr Thiel, wie sehen Sie die Börse München in der deutschen Börsenlandschaft aufgestellt?

Thiel: Wir sehen uns als starker Partner der lokalen Financial Community. Wenn man sich den Finanzplatz Deutschland insgesamt anschaut, ist München sicher Nummer 2 nach Frankfurt. Dort sind eher die Banken beheimatet, hier sind es Versicherungen und Vermögensverwalter. So zeigt etwa die erfolgreiche Emission der Mittelstandsanleihe der BioEnergie Taufkirchen, die trotz eines insgesamt schwierigen Umfeldes bereits am dritten Tag voll platziert war, dass wir ein gutes Investorenumfeld und einen starken Mittelstand haben. Denn das ist es, was Bayern und Deutschland insgesamt auszeichnet: ein starker Mittelstand, auf den wir uns als Börse fokussieren. Hier liegt auch ein deutlicher Unterschied zum Dienstleistungszentrum Frankfurt. Wir wollen Qualität bieten – sowohl was die Anleiheemittenten als auch unsere Dienstleistungen für die Privatanleger angeht. Bei den beiden aktuellen Anleihen geht es ja beispielsweise um existierende Anlagen regenerativer Energien. Die Investoren haben die Möglichkeit, nach Taufkirchen zu fahren, um das dortige Kraftwerk zu besichtigen.

GoingPublic: m:access bonds hatte seine Startschwierigkeiten. Vor den beiden genannten Emissionen sind bislang erst zwei Unternehmen mit ihren Anleihen dort notiert. Was macht Sie zuversichtlich, dass sich das Segment nun etabliert?

Thiel: Wir sind in guten Gesprächen mit weiteren potenziellen Emittenten. Was mich insbesondere zuversichtlich stimmt, ist das Feedback, das wir von den Emissionsbegleitern und Unternehmen bekommen haben. Sie schätzen unsere enge persönliche Betreuung. Wir begleiten gemeinsam mit den Kollegen vom Vertrieb den gesamten Emissionsprozess. Dass sich unsere Kunden dabei wohlfühlen, spricht sich herum.

GoingPublic: Warum hat es dann so lange gedauert, bis m:access bonds von den Emittenten wahrgenommen wurde?

Thiel: Seit ich an Bord bin und das mitverfolge, hat sich das Segment sukzessive weiterentwickelt. Wir hatten eine relativ breite Pipeline, die sich mit der Zeit verengt, bis es schließlich zu einer Emission kommt. Die regionale Komponente spielt dabei sicher auch eine Rolle. Hinzu kommt, dass wir das Regelwerk an zwei Stellen geändert haben: In den Anleihebedingungen hatten wir ursprünglich nur Volumina ab 25 Mio. EUR zugelassen. Diese Grenze haben wir auf 10 Mio. EUR abgesenkt. In diese Kategorie fällt beispielsweise BioEnergie Taufkirchen. Zudem haben wir die Ratinganforderungen ein Stück weit abgesenkt und fordern jetzt nur noch ein Emittenten- oder Anleihenrating, aber kein Mindestrating mehr. Die zuvor engeren Regeln haben sich für den Emissionsprozess als schwierig herausgestellt, weil das Rating meist erst kurz vor der Emission kommt. Wenn es dann nicht ausreicht, muss der Emittent von vorne anfangen. Das mag ein Grund gewesen sein, warum der eine oder andere Emittent aus der Münchener Region nach Frankfurt oder Stuttgart gegangen ist. Offenbar hat es auch ein wenig gedauert, bis der zunächst stark auf Eigenkapital fokussierte m:access zusätzlich als Segment für Anleihen wahrgenommen wurde.

GoingPublic: Wie sehen Sie die Zukunftsperspektiven für m:access bonds?

Thiel: Der Markt besitzt noch sehr viel Potenzial. Studien zufolge kommen 10.000 Unternehmen in Deutschland für diese Form der Finanzierung in Frage. Vor diesem Hintergrund sehen wir kein Problem darin, dass wir hier etwas später dran sind. Übrigens haben wir auch zahlreiche Anfragen von Unternehmen, deren avisiertes Emissionsvolumen unter der von uns bereits gesenkten Mindestgrenze liegt. Viele Unternehmen finden zwar auch eine Eigenkapitalfinanzierung über Aktien durchaus spannend, momentan geht der Trend allerdings mehr in Richtung der Mittelstandsanleihen. Dies spiegelt wider, dass die Kreditvergabe vielleicht doch nicht so gut funktioniert, wie man es gerne hätte.

GoingPublic: Sehen Sie angesichts der zahlreichen Anleihebegebungen eine Bondemission auch als ersten Schritt für einen Börsengang?

Thiel: Häufig scheuen mittelständische Unternehmer einen Börsengang, weil sie Angst haben, dass dann zu viele Leute Einfluss auf ihr Geschäft nehmen wollen. Die Anleihe ist ein Instrument, mit dem man Brücken schlagen kann. Im Anschluss kann eine Aktienemission dazu genutzt werden, um die Finanzierungsstruktur weiter zu diversifizieren.

GoingPublic: Wie positioniert sich die Börse München als Marktplatz für Eigenkapital?

Thiel: Im Fokus steht die Investition in die Aktie, also die Aktienanlage. Wir werden nicht müde, dafür zu werben. Vieles spricht dafür: das Niedrigzinsumfeld, die konstante Inflationsrate. Wer in Festgelder geht, verliert effektiv Geld. Selbst die relativ risikolosen Staatsanleihen rentieren mit maximal 1% unterhalb der Inflationsrate. Dementsprechend richten wir uns auf die Aktie aus. Das geschieht zum einen über Multiplikatoren: Ein Kollege in der Börse München betreut zum Beispiel persönlich Wertpapierberater und informiert diese über die aktuellen Entwicklungen an der Börse München und deren Analyse-Tools für die Kapitalanlage. Gut angenommen wird auch das Tool „Screener“ auf unserer Website, das wir sowohl Anlegern als auch Wertpapierberatern zur Verfügung stellen. Dabei handelt es sich um weitreichende Research-Informationen zu mehr als 5.000 Aktien und etwa 12.000 ETFs und Fonds. Aufgrund der Gesetzgebung gehen die Banken leider immer mehr dazu über, nur noch Produktgruppen und Teilbereiche zu empfehlen. Eine Einzelempfehlung findet fast überhaupt nicht mehr statt, um die Beratungsrisiken zu minimieren und wegen des hohen bürokratischen Aufwands.

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