Manche Dinge werden im Zeitablauf so oft wiederholt, dass jedes Verständnis dafür, dass vielleicht etwas ganz anderes wahr und zutreffend ist, zuerst verkümmert und anschließend ganz verschwindet. Beste Beispiele hierfür sind lange währende Diktaturen, religiöser Glaube und Inflationstheorien.

Lauscht man heute einmal aufmerksam herum – oder auch unaufmerksam, denn das reicht meistens bereits – so kann man schnell feststellen, dass sämtliche Inflationserklärungen, die so durch die Welt geistern, allesamt monetären Charakter tragen. Man kann das feststellen, freilich stellt es niemand fest, weil niemand heute noch eine Alternative kennt. Heute glaubt jeder daran, dass Inflationen stets monetär verursacht sind – und jeder glaubt, dass das normal ist, dass es wahr ist, weil jegliches anderes Verständnis der Dinge längst verkümmert ist.

Würde heute jemand an der Börse auftauchen und behaupten, dass es auch nicht-monetäre, also realwirtschaftliche Inflationstheorien gibt, würde man ihn belächeln wie ein Mitglied der Flat-Earth-Society oder einen Anhänger der Hohlwelttheorie. Aber so ist es immer, wenn man im Zentrum eines Dogmas lebt. Selbst die Schrecken der Diktatur und die Segnungen der Kirche verblassen angesichts der Radikalkur, die der Monetarismus in den Gehirnen der Menschen hinterlassen hat.

Im Grunde genommen gibt es heute nur noch eine Inflationstheorie. Sie ist sehr einfach und auch von Kindern zu begreifen, was wahrscheinlich ihre hohe Anziehungskraft für die Börse ausmacht. Man kann sie sogar in einem Satz ausdrücken: Je stärker die Geldmenge steigt, umso höher die Inflation. Fragt man jedoch nach, wie es denn kommen soll, dass dadurch, dass die Banken jetzt mehr Geld und weniger Wertpapiere besitzen, bei Lidl die Preise steigen, dann blickt man in große und staunende Augen. Die Menschen wollen schließlich keine schwierigen Fragen, sondern einfache Antworten. Und wenn man den Börsianer noch zur Gattung „Mensch“ zählen darf, gilt das für ihn in ganz besonderem Maße.

Für alle Menschen steht heute fest, dass wir demnächst eine große Inflation bekommen werden – vom Bundesfinanzminister über den Chefvolkswirt bis hin zum kleinen Redakteur einer Börsenpostille und Lieschen Müller sind sie sich alle einig. Niemals in der jüngsten Börsengeschichte gab es jemals eine solche Verfestigung der Meinungen. Und das wiederum heißt: Lassen sich Argumente gegen diese Sichtweise finden, so locken Superprofite.

Und diese Argumente sind ziemlich leicht zu finden. Ein wenig Beschäftigung mit der Dogmengeschichte nur, und man findet sofort reale Inflationserklärungen, bei denen sich die Inflationsrate aus den Nominallöhnen ergibt. Und kann man im Zuge der Globalisierungskonkurrenz etwa an heftige Lohnsteigerungen denken?

Ich nehme daher jede Wette an, dass wir in den nächsten 10 Jahren keine Inflation bekommen werden. Die gleiche Wette habe ich bereits 1998 angeboten. Damals war es im Übrigen sehr leicht, mit langlaufenden Bonds überaus gute Antiinflations-Profite zu machen. Heute geht das leider nicht mehr. Die Kurse sind bereits zu hoch. Heute bleiben die Aktien das einzige Pferd, auf das man setzen kann. Ganz in dem Stil: Die erhöhte Geldmenge wird sicherlich auf die anderen Märkte durchwirken. Sie wird aber nicht die Gütermärkte erreichen, weil alle signifikanten Lohnsteigerungen international wegkonkurriert werden.

Je weniger Inflation also in den Gütermärkten, umso größer der Aufwärtsdruck in den Finanzmärkten. Bald schon wird niemand mehr hier von einer Krise sprechen.

Bernd Niquet
Die GoingPublic Kolumne ist ein Service des GoingPublic Magazins, Deutschlands großem Kapitalmarktmagazin. Die Kolumne erscheint wöchentlich in Zusammenarbeit mit dpa-AFX.

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