Beim Kaufmann um die Ecke ist das Angebot begrenzt, die Auswahl recht einfach für die Kundin. Doch die Entscheidung für die richtige Ware im Tante-Emma-Laden namens Bankfiliale wird immer schwieriger: Früher konnte sich der Hobby-Börsianer aus Aktien, Renten, Optionsscheinen, Investmentfonds und einigen mehr oder weniger exotischen Mischformen sein Portefeuille noch selbst zusammenstellen. Heute fällt dies zum Teil dem Profi schon schwer. Sie glauben das nicht? Dabei ist die Rechnung sehr einfach – man nehme nur einmal den Aktienmarkt als Beispiel: Noch vor 10 bis 15 Jahren reichten dem normalen Anlageberater in der Filiale „um die Ecke“ eine Auswahl an deutschen Standardaktien, angereichert um einige internationale Blue Chips, vorwiegend US-Aktien, um seine Kunden zufrieden zu stellen. Das waren insgesamt maximal 50 Werte. Ende der 80er Jahre kamen dann einhergehend mit dem Hype am Kabuto Cho noch einige ausgewählte japanische Werte hinzu. Und auch die Berufshändler an der Frankfurter Börse mußten sich lediglich mit den 30 DAX-Werten, den wichtigsten Aktien des Geregelten Marktes und des Freiverkehrs auseinandersetzen. Zusammen waren das vielleicht 200 Unternehmen.

Heute sind allein am Neuen Markt über 300 Aktien notiert. Im neugeschaffenen SMAX-Segement der kleineren Nebenwerte sind ebenfalls über 140 Unternehmen gelistet. Mit den jeweils 50 wichtigsten Unternehmen aus beiden Segmenten sollte sich der Standardberater schon auskennen, beim ausgewiesenen „Experten“ dürften es etwa doppelt so viele sein. Dazu kommen die 50 bis 100 größten europäischen Aktien, die sogenannten „Large Caps“, die in den Standardindizes von Dow Jones Stoxx und MSCI sowie in den jeweiligen nationalen Börsenbarometern vertreten sind, sowie die wichtigsten US-Aktien aus dem Dow Jones Industrial und dem Nasdaq Composite, die bekanntesten japanischen Unternehmen aus Nikkei und Topix und vielleicht noch einige Emerging Markets Stocks. Summa summarum muß sich der brave Filialberater also mit bis zu 300, der Spezialist mit über 500 Aktien einigermaßen auskennen, um im Kundengespräch nicht in die Bredouille zu kommen. Auf der Rentenseite sind es angesichts der wachsenden Anzahl von Emittenten und der Öffnung der Märkte garantiert noch mal so viele Wertpapiere, ganz zu schweigen von der Flut an neuen Investmentfonds und Indexpartizipationsscheinen, über die der Wertpapierexperte im Wesentlichen informiert sein sollte.

Es wird klar, in welcher Zwickmühle die Banken angesichts der strengen Anforderungen des Wertpapierhandelsgesetzes (WphG) stecken: Mit einem Bein steht jeder Berater wegen drohender Falschberatung im Gefängnis, auf der anderen Seite verlangen die Kunden eine immer umfassendere Auskunft über die verschiedensten Anlagemöglichkeiten. Hier können selbst immer umfangreichere Studien sowie das Internet nur bedingt Abhilfe schaffen: Es fehlt angesichts der Informationsflut einfach die Zeit, sich zu informieren und auf dem Stand der Dinge zu halten. Das Beratungsgeschäft ist daher zu einem sehr undankbaren und darüber hinaus kostenintensiven Business geworden. Die Banken versuchen diese Klippe zu umschiffen, indem sie das Mengengeschäft in ihre Direktbankentöchter auslagern und Service und Beratung in den Filialen auf ein Minimum reduzieren. Das Angebot wird darüber hinaus künstlich verknappt, indem aktiv nur noch hauseigene Produkte angeboten werden. Diese Strategie erinnert stark an einen Tante-Emma-Laden mit angeschlossener Versandabteilung: Vor Ort gibt es ein Grundsortiment für den täglichen Gebrauch; zusätzlich kann der Kunde über einen Katalog weitere Artikel bestellen – natürlich auf eigene Verantwortung und ohne Obligo des Filialisten!

Für die Kreditinstitute ist dies der bequemste Weg, ihre Kunden zufrieden zu stellen. Dem Anleger jedoch, der sich mit einem Fonds von der Stange oder Standardaktie aus dem täglich wechselnden Angebot nicht zufrieden geben will, bleibt nichts anderes übrig, als sich selbst mit der Materie auseinander zu setzen. Angesichts der steigenden Flut unterschiedlicher Anlegermagazine, Börsenpostillen und Finanzseiten im Internet auch keine leichte Aufgabe! Letztlich geht es dem Anleger wie der Hausfrau in einem der modernen Supermärkte, die den guten alten „Kaufmann um die Ecke“ ersetzt haben: Das Angebot ist riesig, die richtige Beratung oder gar ein „Shopping Guide“ sind rar. Es gilt mehr denn je die alte Weisheit „Wer die Wahl hat, hat die Qual!“

Die GoingPublic-Kolumne erscheint börsentäglich in Zusammenarbeit mit dpa-AFX.

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