Das Schauspiel ist in etwa so einfach vorhersehbar wie ein Rosamunde Pilcher-Film. Die Gewerkschaften weisen auf die hohen Gewinne der Unternehmen hin und fordern angemessene Beteiligung der werktätigen Bevölkerung am geschäftlichen Erfolg und Produktivitätszuwachs. Das hohe Lied der günstigen Lohnstückkosten wird gesungen, die in Deutschland dank der unschlagbaren Qualifikation und Leistungsbereitschaft der Arbeitnehmer nicht höher seien als andernorts. Und Leistung, nicht wahr, müsse sich schließlich lohnen.

Die Arbeitgeber packen in der Regel das allgemeine Totschlagargument aus, demzufolge jeder, der mehr als den Inflationsausgleich beim Lohn fordert, den Arbeitsplatzexport ins Ausland fördere. Im Übrigen seien die Forderungen der Gewerkschaft maßlos und von betriebswirtschaftlicher Scheuklappenmentalität geprägt. Jedes Jahr das gleiche Spiel, ewig dröhnen die Rituale.

Nach drei, vier oder fünf Verhandlungsrunden wird die Schlichtung angerufen, und am Ende spitzt sich alles auf die Unterredungen face-to-face zwischen den Verhandlungsführern zu, zu deren Beginn die versammelte Journalistenschar vor laufender Kamera gerne das Stehvermögen der Beteiligten abschätzt. Es folgt die Phase, in der dann nur noch das weggeräumt werden muß, was gerne als „die dicksten Brocken“ bezeichnet wird. In Zwischenstatements geht es dann munter zwischen dem bevorstehenden Scheitern samt Urabstimmung und dem baldigen Durchbruch hin und her, bis  irgendwann in der Nacht das Ergebnis der Einigung durchsickert, was prinzipiell nicht vor vier Uhr in der Früh bestätigt wird.

Nicht wenige Beobachter behaupten, daß heutige Tarifverträge einzig deshalb so kompliziert und paragraphenreich seien, damit jede Seite blumig erklären kann, warum man erfolgreich verhandelt und sich in den „wesentlichen Fragen“ durchgesetzt habe.

Als Anleger darf man sich von den Drohkulissen von Streik bis Aussperrung nicht nervös machen lassen – es handelt sich um eingeschliffene Rituale der fast ausschließlich männlichen Antipoden. Gewerkschaftsfunktionäre und Geschäftsführer von Arbeitgeberverbänden sind nun mal Interessenvertreter. Hiebe in den Zeiten der Tarifverhandlungen gehören zum Business. Es riecht nicht wirklich nach Streik, dafür ist der Leidensdruck auf beiden Seiten viel zu gering.

Stefan Preuß

Die GoingPublic Kolumne erscheint wöchentlich in Zusammenarbeit mit dpa-AFX.

 

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