Öl wird weltweit zwar minütlich gehandelt, die Preise entstehen aber über Futures an der NYMEX: Immer bis zum dritten Werktag vor dem 25. eines Monats gilt der Preis des Futures für Öl zur Auslieferung im kommenden Monat als Benchmark. Danach springt die Aufmerksamkeit auf den Future des folgenden Monats. Praktisch niemand verkauft unterhalb dieses Levels, abgesehen von Abschlägen aufgrund der Qualität oder bei langfristigen Verträgen. Normalerweise bewegen sich Long- und Short-Positionen in einer Range von bis zu 2 zu 1, selten darüber. Beginnend mit dem Herbst 2003 änderte sich dies aber.

Nicht mehr Produzenten und Verbraucher machten die Mehrzahl der Futures, die jeweils 1.000 Barrel umfassen, sondern Finanzinvestoren. Diese haben kein Interesse, das Öl physisch geliefert zu bekommen, sondern handeln mit den Futures. Das ist deshalb so lukrativ, weil der Kaufpreis nicht bezahlt oder hinterlegt werden muß, sondern nur eine Sicherungssumme von 3.000 US-$ auf ein Verrechnungskonto. Steigt der Preis des Futures über den Einstandspreis, wird die Differenz täglich überwiesen.

Die NYMEX-Statistik belegt, daß ab Herbst 2003 Investoren massiv long gingen. Es wurden monatlich bis zu 180.000 Calls gekauft, aber nur etwa 30.000 Puts. Das führte im August schließlich zur Rallye an die 50 US-$-Marke für den September- bzw. Oktober-Future. Dabei betrug das tägliche Überangebot im August durchschnittlich 300.000 Barrel, also 300 Futures, betonte Purnomo Yusgiantoro, Präsident der Organisation Erdöl exportierender Länder (OPEC). Die alten Börsenmechanismen von Gier und Angst hatten wieder mal zugeschlagen.

Dieser Geschehnisse ungeachtet sind Warenterminbörsen unverzichtbare Werkzeuge in der Wirtschafts- und Finanzwelt. Die Vorgänge zeigen aber, daß für die Zukunft mit hoher Volatilität zu rechnen ist. Wenn der Ölpreis nicht mehr direkter Indikator für die Nachfrage nach tatsächlich benötigtem, physisch vorhandenem Rohstoff und damit für die Dynamik der globalen Wirtschaft ist, werden sich seine Auswirkungen auf die Aktienkurse relativieren.

Schon bei der August-Rallye zeigten sich die Aktiennotierungen unbeeindruckter, als es angesichts der Preissteigerungen zu erwarten gewesen wäre. Man wird zukünftig also stets schauen müssen, ob tatsächliche Knappheit Grund für die Steigerungen ist – oder Angst vor Knappheit, die von Spekulanten ausgenutzt wird.

Stefan Preuß

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