Ein großes deutsches Boulevardblatt setzte das Volk am letzten Samstag ins Bild. Auf der oberen Hälfte der Titelseite derjenigen Ausgabe, die während des Fußballspiels Deutschland-Paraguay in den Kiosken zum Verkauf auslag, prangte eine recht allgemein gehaltene Jubelmeldung über den Sieg der Rudi Völler-Elf. Das Ergebnis durfte sich der Käufer des Blattes selbst in ein leeres Feld eintragen. Sollte das Spiel doch nicht den erhofften Verlauf nehmen, so möge man den Zeitungsstapel einfach umdrehen. Auf der unteren Hälfte der Titelseite fand sich, nebst leerem Kästchen für das Ergebnis, ein tränenreicher "Schade, Rudi!"-Artikel mit entsprechend angepaßter Wortwahl.

Ein interaktives Printmedium, das erst durch die Zutat des Lesers so richtig aktuell wird? Welch schelmiger Einfall. Das Grinsen im Gesicht erfriert jedoch schnell, wenn man ein wenig weiter denkt. Dem ad-hoc-gequälten Aktienanleger fallen sofort Meldungen ein, wo Analystenkonferenzen angekündigt werden, deren genauer Termin jedoch erst später nachgereicht werden soll, und "vorläufig endgültige" Ergebniszahlen, deren Eintritt nur noch von einigen unwesentlichen Kleinigkeiten wie staatlichen Genehmigungen oder dem Eingang von erhofften Großaufträgen abhängt.

Und morgen? Müssen wir uns an Schlagzeilen gewöhnen im Stile: "Spendenskandal aufgedeckt! Millionen bei der (A) verschwunden! (B) beteuert seine Unschuld! (Je nach (A) Name der betroffenen Partei verwenden Sie bitte Seite 1,2,3 oder 4 als Titelseite und tragen bei (B) den Namen des betroffenen Politikers selbst ein.)" – "Feiges Attentat! (Name des Zieles und Anzahl der Opfer bitte hier eintragen.)" – "Bekennerschreiben gefunden! (Bitte selbst texten.)"?

Ein wenig Verdacht bleibt bei der Lektüre von Unternehmensmeldungen, Geschäftsberichten, Vorstandsreden und Aktien-Analysen, ob nicht auch deren Texte stromlinienförmig designt im PC lauern und bei Bedarf nur um Zahlen und Namen ergänzt werden. Mag eine Marktentwicklung das Unternehmen auch auf dem falschen Fuße treffen und in Folge dessen ruinieren, lieber Aktionär, so sei gewiß: Wenigstens die IR-Abteilung ist darauf vorbereitet.

Die GoingPublic Kolumne erscheint jeweils montags, mittwochs und freitags in Zusammenarbeit mit dpa-AFX.

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