Die Theorie ist denkbar einfach: Ein steigender Euro (früher war es die D-Mark) ist schädlich für die deutsche Exportwirtschaft, weil die preisliche Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt mit jeder Aufwertung abnimmt. Nun ist der Euro in den vergangenen 12 Monaten im Verhältnis zum US-Dollar gewissermaßen durch die Decke gegangen, und trotzdem vermeldete das Statistische Bundesamt für August die Ausfuhr von Waren im Wert von 77 Millionen Euro – eine Steigerung um 12,4 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Das heißt nicht, dass Währungsrelationen nun außer Acht gelassen werden könnten – aber ganz offensichtlich gibt es nunmehr Einflussfaktoren, die die krassen Auswirkungen vergangener Aufwertungszyklen stark minimieren.

Für Anleger bedeutete eine zu starke D-Mark oder ein zu starker Euro bislang: Raus aus den Werten ganz überwiegend exportorientierter Unternehmen. Abgesehen davon, dass heutzutage praktisch jedes erfolgreiche Unternehmen stark exportorientiert und international aufgestellt ist: Die Korrelation zwischen Aufwertung und Umsatzeinbruch ist so ganz offenbar nicht mehr gegeben. Jedenfalls wäre man nicht gut beraten gewesen, Stücke zum Beispiel von Volkswagen oder MAN zu geben.

Anderes Beispiel: Die hastige und deutliche Senkung der Leitzinsen durch die amerikanische Notenbank sorgte für ein Kursfeuerwerk an den Weltbörsen – in ähnlichen Situationen in der Vergangenheit wurden solche Senkungen auch schon mal als Indikator für ein sich deutlich abschwächendes Wirtschaftswachstum gewertet – mit entsprechenden Verkaufsorders. Dass die Fed im Zuge einer Sondersituation, der Subprime-Krise,  gehandelt hat, macht die Reaktion nur um so beachtenswerter: Familien, die darum zittern, ihr Häuschen behalten zu können, dürften ansonsten nur sehr sparsam konsumieren. Nun wird bei Erörterungen über das Wohl oder Wehe der US-Wirtschaft stets auf den hohen Anteil des Konsums am Bruttosozialprodukt verwiesen.

Allein die Unsicherheit über den weiteren Fortgang dieser Entwicklung hätte in vergangenen Zeiten schon zu Kursrückgängen geführt – und niemand wird heute ernsthaft behaupten wollen, dass die Indikatoren für die nähere Zukunft der US-Wirtschaft mindestens nicht eindeutig sind. Stattdessen markiert der Dow Jones stetig neue Höchststände. Ganz offensichtlich glaubt die Mehrzahl der Marktteilnehmer entgegen vorher als gültig angesehener Kausalitäten, dass die US-Unternehmen weniger von der Binnenkonjunktur abhängig sind als bislang angenommen.

Weitere Änderungen deuten sich an: Die Öl-Multis profitieren weit weniger als in den vergangenen Jahren von den Ölpreissteigerungen, die Rallye bei Commodities aller Art behindern das weltweite Wirtschaftswachstum ungleich geringer als gedacht und so fort. Schwierige Zeiten für Anleger, aber auch eine Chance: Wer sich von Investitionsstrategien herkömmlicher Prägung („Ölpreis steigt, ExxonMobil kaufen“) trennt, kann von neuen Trends besonders profitieren.

Stefan Preuß

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