Instinktlos lautet noch der gnädigste Vorwurf, und unverhohlen wird auch schon mal vom Versilbern der im Amt gewonnen Kontakte gesprochen. Das Beben auf der nach oben offenen Empörungsskala ist beinahe grenzenlos, und nimmt man es als Maßstab, dann darf ein Kanzler, Ministerpräsident oder herausragender Fachminister nach dem politischen Leben praktisch keine Erwerbstätigkeit mehr ausüben. Vom Verfassen von Erinnerungen in Buchform mit meist überschaubarem Unterhaltungswert und Tingeltouren durch die Kongress-Center dieses Planeten als hoch bezahlter Referent einmal abgesehen.

Die Empörung über Schröder unterstellt auch, daß andere Politiker i.R. ihre Kontakte und belastbaren Beziehungen nicht wirtschaftlich nutzen würden. Putzige Vorstellung, das: Alle ehemaligen Bundestagsabgeordnete, Staatssekretäre, Minister und so fort im kollektiven Vorruhestand, als wirtschaftliche Eunuchen, kastriert von den Lordsiegelbewahrern der Business-Etikette. Ja warum sitzen denn so viele Ex-Minister, Ex-Staatssekretäre, Ex-Abgeordnete in den Aufsichtsräten der Republik? Weil die Unternehmen glauben, daß die Tätigkeit als Fraktionsgeschäftsführer oder sozialpolitischer Sprecher der Landesgruppe Mecklenburg-Vorpommern die geradezu ideale Vorbereitung ist, um Unternehmen zu kontrollieren?

Die Woge der Empörung, die nun über Schröder hineinbricht, hat neben den Zügen einer ordinären Neiddebatte wohl auch etwas damit zu tun, daß es für viele die perfekte Welle ist, auf der zu reiten es sich anbietet, noch mal späte Rache zu üben. Als Machtmensch mit hinreichender Rücksichtslosigkeit hat der Bundeskanzler a.D. natürlich viele Feinde und Verbitterte an der Wegstrecke zurückgelassen.

Kein Zweifel: Die Bundesrepublik braucht viel mehr Durchlässigkeit zwischen der politischen und ökonomischen Kaste. Schröders Verhalten ist kein Skandal, sondern viel mehr Aufbruch in ein neues Verständnis.

Stefan Preuß

Die GoingPublic Kolumne erscheint wöchentlich in Zusammenarbeit mit dpa-AFX.

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