Um sich von der Masse abzuheben und die Aufmerksamkeit der Anleger auf sich zu ziehen, werden gutbezahlte Investor- und Public Relations-Manager engagiert, die mit Lobeshymnen auf die eigene Unternehmung um die Gunst der Geldgeber buhlen. Keine Gesellschaft, die nicht in irgendeinem (verbal noch so irrwitzig eingegrenzten) Sektor die Markführerschaft für sich beansprucht, und wenn es sich dabei nur um die Gruppe der lettischen Einwanderer im Landkreis Fürstenfeldbruck handelt. Durch tägliche Präsenz im Ad hoc-Geschehen werden Redaktionen und Anleger phasenweise „zugemüllt“. Die Aufmerksamkeitserlangung  um jeden Preis hat aber nicht immer den gewünschten Erfolg. Mit wachsender Erfahrung im Wertpapiergeschäft erscheint auch die Anlegerschaft inzwischen relativ sensibilisiert.

Einfach zu hoch gepokert hatte der zu Wochenbeginn am Neuen Markt gestartete Internet-Dating-Service MatchNet plc. Zu Jahresbeginn hätte das Unternehmenskonzept wahrscheinlich noch großes Anlegerinteresse hervorgerufen – doch „times are changing“. Auf den eigenen Webseiten für die USA , Deutschland, Großbritannien, Neuseeland und Australien sind insgesamt 1 Mio. Partnersuchende mit jeweils 250 personenspezifischen Informationen registriert. Auch wenn die Webseite im letzten Monat 6,5 Millionen Zugriffe verzeichnete und Matchnet seinen Umsatz nicht nur durch Mitgliedsbeiträge, sondern auch durch gezielten e-Commerce und Single-Reisen von 0,66 Mio. US-$ 1999 auf 35 Mio. US-$ im Jahr ausbauen möchte, schien der angestrebte Börsenwert von fast einer Viertelmilliarde Mark deutlich überzogen. Die Anleger folgten den Meinungen der Fachpresse und demonstrierten ihr Mißtrauen: der Kurs liegt nach nur fünf Handelstagen etwa 36 % unter dem Ausgabepreis von 7,50 Euro. Auch GoingPublic hatte im Vorfeld von einem Engagement abgeraten.

Während bei Matchnet einfach nur zu hoch gepokert wurde, dürfte es sich im Fall von Jeanine Graf und ihrer Inquire Software AG um Hochstapelei handeln. Die zu Jahresbeginn in den höchsten Tönen gelobte und von der Unternehmensberatung Ernst & Young sogar zum „Entrepreneur des Jahres“ gewählte 29jährige, sieht sich derzeit nicht gerade der Gunst der Investoren ausgesetzt. Skandalöse Meldungen kursierten in letzter Zeit um die Ex-Vorzeige-Unternehmerin. So erwies sich ein Großauftrag des Sitz-Herstellers Recaro als Fälschung vom Briefkopf bis zur Unterschrift. Die Porsche AG zwang Graf sogar zur Unterlassungserklärung, da die Sportwagenschmiede auf der Inquire-Hompage fälschlicherweise als Kunde aufgeführt wurde. Die Zahlen, die Graf der HypoVereinsbank vorlegte, ließen den geplanten Konsortialführer auf einen Unternehmenswert von 478 Mio. Mark schließen. Ganz schön viel Holz für ein junges Unternehmen, das laut Manager-Magazin pro Jahr gerade 1 Mio. Umsatz macht. Nach genauer Überprüfung der Zahlen winkten neben den Hypo-Bankern auch die Verantwortlichen der Bayerischen Landesbank ab. Während sich Jeanine Graf selbst als Opfer einer kriminellen Kampagne sieht, bestätigte die Münchner Staatsanwaltschaft, daß „im Umfeld von Inquire“ ein Ermittlungsverfahren läuft.

Ein sicherlich nicht ganz alltäglicher und auch nicht bis ins letzte Detail geklärter Fall – doch die moralische Hemmschwelle beim Buhlen um die Gelder von Investoren und Aktionären sinkt. Gewisse  Spielregeln dürfen dabei jedoch einfach nicht über Bord geworfen werden. Die Qualität der Unternehmensmeldungen sollte gewahrt bleiben und nicht in ein Herausposaunen imaginärer Eventualitäten ausarten. Und im Vordergrund geht es schlicht um Fakten – wahre Fakten. 

Einen Artikel zum Thema „Helden von einst im Zwielicht“ finden Sie im aktuellen GoingPublic Magazin, Ausgabe 07/2000.

Die GoingPublic-Kolumne erscheint börsentäglich in Zusammenarbeit mit dpa-AFX

 

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