Vielen Kritikern gilt die deutsche Energiewirtschaft als besonders schönes Beispiel für den Erfolg von Lobbyarbeit und das Versagen der Politik als Aufsichtsinstanz. Während die Versorger die weit über dem europäischen Schnitt liegenden Energiepreise in Deutschland mit der hohen Versorgungssicherheit begründen, stören sich Kritiker an der fein säuberlichen Aufteilung der Versorgungsgebiete und den mangelnden Konkurrenzkampf: Man tue sich nicht weh und fordere im Übrigen saftige Durchleitungsgebühren. Und zur Versorgungssicherheit werden nicht nur die Bewohner des Münsterlandes eine eigene Meinung haben.

Dem gepeinigten produzierenden Gewerbe und den Privathaushalten springt nun die EU-Kommission zur Seite: Bereits zum zweiten Mal im Mai wurden Räume von deutschen Versorgungsunternehmen durchsucht. Daß, wie offiziell bestätigt, Beamte des Bundeskartellamtes hinzugezogen wurden, gibt einen deutlichen Hinweis auf die Stoßrichtung der Besuche.

Nun gilt für die Unternehmen, die aus Sicht der Aktionäre einen sehr guten, weil hochprofitablen Job gemacht haben, natürlich die Unschuldsvermutung. So lange nichts bewiesen, ein ordentliches Gericht kein Urteil gesprochen und dieses Rechtskraft erlangt hat, haben sie als unbefleckt zu gelten. Stellt sich nur eine Frage: Was gilt die Unschuldsvermutung an der Börse? Dort haben Gerüchte oftmals mehr Einfluß auf die Kurse als ad hoc bekannt gemachte Tatsachen.

Das Szenario ist klar: Es droht nun ein steter Quell von Nachrichten aus gut informierten Kreisen, die über den Stand der Ermittlungen Auskunft geben. Drohen Kartellbußen? Müssen die Märkte nun mehr liberalisiert werden? Welche Einflüsse gibt es auf die Margen/Preise und damit die Bilanz? Offensichtlich ist nur eines: Die Zeiten, in denen Versorger als Witwen- und Waisenpapiere bezeichnet werden konnten, sind endgültig passé. Reichlich Ungemach braut sich über den Energieriesen zusammen.

Stefan Preuß

Die GoingPublic Kolumne erscheint wöchentlich in Zusammenarbeit mit dpa-AFX.

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