Ein regelrechtes Börsenfieber brach aus. Rund 11,32 Mio. Deutsche waren im ersten Halbjahr 2000 im Besitz von Aktien – mehr als jemals zuvor. Noch Ende 1999 konnte das Deutsche Aktieninstitut (DAI) e.V. nur acht Mio. Aktionäre in Deutschland zählen. „Diese Entwicklung zeigt, daß die Deutschen auf einem guten Wege sind, ein Volk von Aktionären zu werden, vergleichbar mit anderen Industrieländern“, kommentierte Prof. Dr. Rüdiger von Rosen, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des DAI, die erfreulichen Zahlen. Doch wie es um die Aktienkultur bestellt? Sehen die „neuen“ Aktionäre die Aktie tatsächlich als Langfristinvestment, oder geht es nur darum, eine „schnelle Mark“ zu machen? Die Branchenrotation am Neuen Markt spricht für letzteres. Am Beispiel der Medien-Werte ist deutlich zu erkennen, daß die Investmentstrategie vieler Anleger stark trendorientiert ist. Während des Medien-Hypes stiegen die Aktien aller Rechtehändler, Produzenten und Verleger. Als Medien-Aktien out waren, fielen annähernd alle Titel dieses Segments ins Bodenlose. Völlig unabhängig von der Qualität oder der Bewertung der einzelnen Unternehmen. Bei den Investoren handelte es sich also um kurzfristig orientierte Anleger.

Durch das Online Brokerage ist es sehr leicht möglich, Aktien von zu Hause aus zu ordern. Der Weg zum Bankschalter bleibt den Anlegern erspart. Auch das Gespräch mit einem kritischen Kundenbrater ist nicht mehr erforderlich. Ein „Klick“ genügt und schon ist die nächste Aktie im Depot. Wer Lust und Zeit hat, kann so sein Depot mehrmals täglich neu bestücken. Viele Anleger haben allerdings den Bezug zur Realität verloren. Wie ein Spiel wirkt das „Zocken“ am PC. Doch wehe, man bemerkt nicht, daß ein Trend vorüber ist und vergißt rechtzeitig auszusteigen. Dann ist das Gejammer groß. Unzählig viele Beispiele zeigen, wie leicht man innerhalb kürzester Zeit vom Millionär zum Bettelmann werden kann. Auch wenn sich viele Unternehmen nach einem Kurssturz wieder erholen, die Privatanleger sitzen die Baisse nur selten aus, sie verlassen das sinkende Schiff.

Erst wenn auch die Privatanleger die Aktien als Langfristanlage erkennen und sich der Neue Markt stabilisiert, ist in Deutschland von einer Aktienkultur zu sprechen. Dann werden die Aktionäre auch keine zehn Depots mehr benötigen, um ihre Zuteilungschancen bei Neuemissionen zu erhöhen. Mit Ruhe und Bedacht sollte der Anleger seine Investmentstrategie überdenken. Und – auch wenn es heute keiner hören will – die Unternehmen der Old Economy sind häufig nervenschonendere Investments als die Wachstumswerte. Doch wie schon so oft gilt auch hier die alte Binsenweisheit: „Die richtige Mischung macht‘s!“

                                                        

Quelle: Aktienkultur 5/2000, das Finanzplatz- und Karrieremagazin.

Die GoingPublic-Kolumne erscheint börsentäglich in Zusammenarbeit mit dpa-AFX.

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