Diese Aussage ist weder neu noch besonders überraschend. Auch die Zahl von 31 angeblich stark bedrohten Firmen ist per se nicht sonderlich beunruhigend. Alle bisher veröffentlichten Studien und Publikationen kommen zu ähnlichen Ergebnissen. Neu ist jedoch die Erkenntnis, daß fast die Hälfte der Neuer Markt-Werte mit Liquiditätsproblemen aus dem Segment Internet-Software stammt, das bisher häufig als „Save Heaven“ der New Economy dargestellt wurde. Hierunter fallen die Hersteller von e-Commerce-Software, deren Einsatz die Voraussetzung für einen funktionierenden Handel im Internet ist. Unternehmen aus dem B2B-und vor allem Infrastruktur-Bereich wurden daher häufig als die Lieferanten der Schaufeln bezeichnet, mit denen die Goldmine Internet von anderen Unternehmen erschlossen werden sollte. Das Risiko lag angeblich bei den Internetplattformen und Shop-Anbietern, nicht jedoch bei den Software-Herstellern. Jetzt stellt sich jedoch die Frage: „Wer braucht noch Schaufeln, wenn der Goldrausch vorbei ist?“

Ähnlich verhält es sich mit den Internet-Agenturen und Multi-Media-Dienstleistern: Da viele Unternehmen der New Economy aufgrund der verschlechterten Marktlage ihre Werbebudgets zusammengestrichen haben, sind auch die ehrgeizigen Business-Pläne der e-Business-Berater und Online-Vermarkter anzuzweifeln. Zwar können diese den wegbrechenden Umsatz mit den jungen Start-ups zum Teil mit steigenden Erlösen aus dem Geschäft mit etablierten Unternehmen kompensieren, die zunehmend das Internet als Teil einer Multi-Channel-Strategie erschließen wollen. Dennoch bauen viele der Geschäftspläne der Online-Dienstleister auf zu optimistischen Prognosen auf. Gewinnwarnungen und Umsatzeinbrüche gegenüber den ambitionierten Planzahlen sind daher nur eine Frage der Zeit.

Waren vor einem halben Jahr die meisten Marktforscher und Analysten noch extrem bullish, was die Geschäftsperspektiven des Internets anbelangt, so hat sich diese Zuversicht mittlerweile in das genaue Gegenteil umgekehrt. Selbst die notorischsten Wallstreet-Bullen wie Acampora, Blodget, Cohen und Co. sind verstummt. So rechnet Goldman Sachs damit, daß von 22 e-Commerce-Firmen mindestens die Hälfte innerhalb der nächsten 12 Monate frische Finanzmittel benötigt, um überleben zu können. Daher hält sich auch das US-Investmenthaus gegenwärtig mit Prognosen für eine Branchenerholung zurück. Auch die euphorischen Kursziele eines der großen Player am Neuen Markt wurden in den letzten Tagen verschämt zurückgenommen.

Insgesamt gesehen ist es jedoch wieder einmal bezeichnend, daß in schwierigen Zeiten die Zahl der Schwarzseher zunimmt, während sie in Phasen der Euphorie zurückgeht. Mahner wurden bis vor kurzem häufig ausgelacht und als Neider verschrien. Jetzt will es wieder einmal jeder gewußt haben. Doch den Mut zu sagen „Es geht auch wieder aufwärts!“ hat gegenwärtig niemand. Sicher, man sollte sich nicht verzweifelt gegen den Markttrend stemmen und in das nach wie vor fallende Messer hineingreifen. Andererseits sollte aber gerade die Analystenzunft sowie die hinter ihr stehenden Brokerhäuser die Courage aufbringen, Perspektiven aufzuzeigen, um den Markt wieder aufzurichten. Sofern das Anlegervertrauen angesichts zu blauäugiger Empfehlungen in der Vergangenheit nicht bereits völlig verspielt ist, sollte es auch wieder gelingen, den Ausweg aus dem Tal der Tränen zu finden. Dazu ist jedoch zunächst eine selbstkritische Bestandsaufnahme erforderlich, die so mancher Jünger der New Economy-Theorie wahrscheinlich noch vor sich hat.

Eine Erkenntnis sollte bei einer solchen Due Dilligence herauskommen: Das Internet ist sicher nicht das Wundermittel, das x-beliebigen kleinen Start-ups über Nacht zu Multimilliarden-Umsätzen und grenzenlosen Gewinnsteigerungen verhilft. Viel zu schnell hat der gnadenlose Wettbewerb die Gewinnmargen pulverisiert, viel zu wenige Nutzer stehen gegenwärtig noch einer steigenden Zahl von Anbietern gegenüber. Einige Träume vom schnellen Reichtum sind daher zu Recht geplatzt. Langfristig gesehen werden jedoch die besten Firmen aus beiden Welten – sowohl der sogenannten „Old Economy“ als auch der „New Economy“ – den nun einsetzenden Verdrängungskampf überstehen und ihre Marktstellung dank der neuen Vertriebs- und Kommunikationsplattform weiter ausbauen. Diese „Killer-Companys“ herauszufiltern ist die schwierigste und anspruchsvollste Aufgabe, der sich mutige Analysten jetzt und in den nächsten Monaten stellen sollten.

Die GoingPublic-Kolumne erscheint börsentäglich in Zusammenarbeit mit dpa-AFX.

 

Autor/Autorin