LinkedIn, ein soziales Netzwerk für Professionals, sowie der Online-Musikdienstleister Pandora Media konnten im Mai bzw. Juni dieses Jahres ihre auf exponentielles Wachstum ausgerichteten Geschäftsmodelle zu beachtlichen Werten monetarisieren. Den Anstoß für diesen Hype brachte Facebook, das mit ständig steigenden, Schwindel erregenden Bewertungen im Rahmen des seit geraumer Zeit florierenden „Pre-IPO-Handels“ die gesamte Community elektrisiert. Die Pipeline für weitere IPOs aus dem Internetumfeld ist gut gefüllt. Der Online-Spiele-Spezialist Zynga sowie der Online-Rabattanbieter Groupon haben bereits ihre Prospekte bei der SEC hinterlegt. Auch hier werden beachtliche Größenordnungen zwischen 10 bis 20 Mrd. USD für die Bewertung erwartet. Als weitere IPO-Kandidaten werden bekannte Namen gehandelt wie Facebook, mit Bewertungsgrößen von bis zu 100 Mrd. USD, Living Social, ein Wettbewerber von Groupon, mit Bewertungsvorstellungen von bis zu 15 Mrd. USD, sowie Twitter mit Indikationen zwischen 7 und 8 Mrd. USD. Diese Goldgräberstimmung hat sicherlich auch dazu beigetragen, dass im ersten Halbjahr 2011 die IPO-Aktivitäten an den US-Börsen mit 81 Neuzugängen um 15% über dem Vorjahresniveau liegen. Dennoch bleibt der stärkste IPO-Motor wie bereits in den letzten Jahren zuvor China mit seinen Börsenplätzen Hongkong, Shenzhen und Shanghai. Hier konnten insgesamt über 200 IPOs mit einem Gesamtemissionsvolumen von rund 29 Mrd. EUR in den ersten sechs Monaten dieses Jahres platziert werden. Aber auch die europäischen Börsen brauchen sich nicht zu verstecken. 229 Neuzugänge mit einem Emissionsvolumen von rd. 16 Mrd. EUR betrug deren Bilanz im ersten Halbjahr. Gegenüber dem Vorjahr hat der Primärmarkt damit sogar um 38% bzw. um 20% zugelegt. Zu den aktivsten europäischen Börsenplätzen zählen London mit 61 IPOs und einem Gesamtvolumen von 12,6 Mrd. EUR sowie die Warschauer Börse mit beachtlichen 100 Neuzugängen. Dabei ist jedoch hinzuweisen, dass das Gesamtplatzierungsvolumen an der polnischen Börse bescheidene 0,7 Mrd. EUR beträgt und damit ein durchschnittliches Emissionsvolumen je Emittent von rund 7,0 Mio. EUR erreicht wird. Dadurch ist Warschau die führende europäische Primärmarktbörse für Micro-Caps!

Der deutsche Börsenplatz hat mit insgesamt acht Neuzugängen und einem Emissionsvolumen von 1,2 Mrd. EUR bis zum 30. Juni 2011 einen Marktanteil innerhalb der europäischen Börsen von rund 3% bzw. bezogen auf das Emissionsvolumen von circa 8%. Ähnliche Werte (4% bzw. 14%) waren auch im Vorjahr zu finden. Damit bleibt der deutsche Primärmarkt im Gegensatz zum Sekundärmarkt im internationalen Vergleich weit abgeschlagen. Warum existiert diese Diskrepanz? Aus unserer Sicht sind es vor allem Privatanleger in den genannten aktiven IPO-Märkten, die die Nachfrage nach Neuemissionen befeuern. In Amerika ist es der Social-Media-Hype, in China und Osteuropa ist es die Suche nach attraktiven Anlagealternativen einer wachsenden Mittelschicht. Dagegen spielen in Deutschland die Privatanleger bei der Erstplatzierung leider kaum noch eine ernst zu nehmende Rolle. Zudem haben sich die deutschen institutionellen Fondsgesellschaften vom Primärmarkt immer mehr verabschiedet, wie die jüngste McKinsey-Umfrage, die in Zusammenarbeit mit dem BVI erfolgte, es nochmals belegt. Hier ist eine Negativspirale in Gang gekommen, wonach ein geringes Privatanlegerinteresse zu einer schwindenden Aufmerksamkeit der institutionellen Investoren für hiesige Emittenten führt. Es ist daher an der Zeit, die bisherige Politik des IPO-Marketings bei Börseneinführungen zu hinterfragen, um die in Gang gesetzte Negativspirale zu unterbrechen.

Von Prof. Dr. Wolfgang Blättchen

Ursprünglich erschienen im GoingPublic Magazin 08-09/2011.

 

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