Im langfristigen Vergleich seien Aktien derzeit hinreichend günstig, um mit Aussicht auf schöne Gewinne einzusteigen. Sowohl die Unternehmen der ersten Reihe als auch Nischenplayer seien nicht zu teuer, die Wachstumsaussichten intakt und so fort. Man kennt die wohlfeilen Formulierungen. Dennoch ging es zuletzt mehrheitlich deutlich bergab, viele Aktien im MDax verloren von ihren 52-Wochen-Hochs mehr als 20 % oder deutlich mehr ihres Wertes. Der schönen Umsätze eingedenk verbietet sich die Annahme, nur einige Witwen und wenige Waisen hätten ihre Papiere gegeben. Vielmehr wurde und wird derzeit von vielen großen Playern massiv verkauft.

Das nährt einen unschönen Verdacht: Vorne auf dem Balkon lobpreisen die Analysten die Effekten, willig sekundiert von den Volkswirten – und hinten im Lager werden die Stücke um ziemlich jeden Preis von den Händlern über die Resterampe geschoben. Das Thema der „Chinese Wall“ innerhalb der Geldhäuser, also der strikten Trennung zwischen Kundenberatern und Analysten und der eigenen Handelsabteilung sowie denen bei den Anlagetöchtern, wird immer wieder diskutiert. Stets beteuern die Verantwortlichen die Undurchlässigkeit der internen Systeme und die Rechtschaffenheit aller Beteiligten. Doch die Glaubwürdigkeit erinnert an jene rustikalen Verteidiger, die ihre Gegner mit einer Blutgrätsche von hinten niederstrecken, um dann den Schiri flehend anzusehen und mit beiden Händen einen imaginären Ball zu beschreiben, den man doch regelkonform gespielt habe.

Geschichte wiederholt sich, jedenfalls an der Börse, und dies sogar in ziemlich kurzen Zeitabständen. Wieder hat sich bewahrheitet: Wenn zu viele Experten nach kräftigen Kursgewinnen von nach wie vor moderaten Bewertungen, gar Occasionen, günstigen Aussichten und florierender Konjunktur sprechen, dann riecht das nach Kasse machen. Empfehlungen und Markteinschätzungen in deren Gesamtheit richtig zu interpretieren ähnelt daher immer mehr der Fähigkeit, Zeugnisse richtig zu deuten.

Für den Kleinanleger bedeutet dies, in den kommenden Tagen besonders genau aufzumerken. Häufen sich die Stimmen jener, die wegen der beginnenden Hurrican-Saison in den USA, dem Iran-Konflikt oder sonstigen Imponderabilien im Gang der Dinge auf diesem Planeten vor weiteren drastischen Einbußen im Dax und andernorts warnen – dann ist es Zeit, die ersten Stücke wieder einzusammeln.

Stefan Preuß

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