Bildnachweis: ©chinnarach – stock.adobe.com, Kirchhoff Consult AG, DAI, PSI Software AG, Schlecht und Partner.

Auch Pierschke von der PSI Software AG beobachtet, dass Unternehmen stärker auf ESG-Kriterien achten, ja: achten müssen. Das lässt sich vor allem an den Kunden des Softwareanbieters für Versorger und Industrie erkennen: „Unsere Softwareprodukte optimieren den Energie- und Materialfluss, indem sie Netzbetreibern z.B. dabei helfen, mehr erneuerbare Energie durch ihre Netze zu leiten, grünen Wasserstoff ins Gasnetz zu integrieren oder in der Stahl- oder Automobilproduktion die Effizienz verbessern“, erklärt Pierschke. „Während früher die Senkung des Energieverbrauchs im Stahlwerk ein Nebeneffekt allgemeiner Effizienzverbesserungen war, rücken nun ESG-bezogene KPIs immer stärker als Zielgrößen in den Mittelpunkt.“

Sarah Kasper, Wirtschaftsprüferin und Steuerberaterin bei Schlecht und Partner, sieht in der Entwicklung eine Neudefinition des Begriffs Shareholder Value: „Im Kapitalmarktumfeld wurde die reine Shareholder-Value-Orientierung längst um zusätzliche Unternehmensziele ergänzt. Der steigende Stellenwert von ESG-Themen passt also perfekt in die Zeit.“

Transition hin zu nachhaltigerem Wirtschaften

Finanzmarktakteure müssten laut Kasper Risiken und Chancen aus dem Klimawandel identifizieren und nutzen, um eine Transition hin zu einer nachhaltigeren Wirtschaft zu ermöglichen: „Dabei sind Nachhaltigkeit und ESG längst kein reines Umweltthema mehr.“ Jede Investition ist eine Rendite-Risiko-Abwägung. „Der Wert, den ein Unternehmen für die Gesellschaft erzeugt oder mindert, wirkt sich unmittelbar auf dessen Ergebnis und Risikoprofil aus“, erklärt Kasper. „Der soziale oder ökonomische Wert ist damit untrennbar mit dem Shareholder Value verbunden. Im Ergebnis wird das Wirtschaften unter Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten in Zukunft Standard sein.“

Verknüpft man Kaspers Worte mit der obenstehenden These, wird klar: Weder Kennzahlen noch Psychologie allein sind ausschlaggebend bei einer Investitionsentscheidung. Die Psychologie und Haltung der Investoren bedingt vielmehr die Entwicklung der Zahlen und ist damit untrennbar mit Wohl und Wehe eines Konzerns verbunden – und daher von IR-Managern unbedingt zu adressieren.

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Damit ist man allerdings schnell wieder bei Roeskes Problem – alle müssen auf optimale Art angesprochen werden. Und gerade im Bereich ESG existiert noch keine standardisierte Taxonomie, die es erlaubt, Nachhaltigkeit in Unternehmen einheitlich zu messen oder belastbare Ratings zu bestimmen. Steuerberaterin Kasper weiß: „Entsprechend schwierig ist es aktuell einzuschätzen, wie nachhaltig Unternehmen sind und inwiefern sie Nachhaltigkeitsansprüchen tatsächlich gerecht werden.“ Die Expertin bleibt bei ihrer Meinung: IR-Manager sollten sich aufs große Ganze konzentrieren und die Transition zu nachhaltigen Geschäftsmodellen betonen.

Und in der Praxis?

Kirchhoff ergänzt um praktische Ratschläge an die Verantwortlichen: Inhaltlich sollten Informationen so aufbereitet sein, dass die als glaubhaft empfunden werden können – unterlegt mit Fakten. Dazu müsse die Kommunikation als spannend und bereichernd wahrgenommen werden. Das könne z.B. durch die kreative Darstellung der Equity Story, der Strategie oder der Markttrends gelingen. Hinsichtlich der Instrumente ergänzen inzwischen Social-Media-Kanäle die Formate Geschäftsbericht, Investorenpräsentation, Medienarbeit und Website. „LinkedIn hat eine so hohe Akzeptanz gefunden, dass immer mehr Unternehmen, aber auch CEOs und CFOs dieses Medium intensiv nutzen, um die Stakeholder am Geschehen im Unternehmen teilhaben zu lassen“, so Kirchhoff. Wichtig sei zudem die Vorbereitung von CEOs und CFOs auf persönliche Investorengespräche. Kirchhoff: „Die Präsentationen, die ich bei Analysten- oder Investorenkonferenzen miterlebe, haben oft erheblichen Verbesserungsbedarf. Hier ist Coaching nicht nur für die Präsentation, sondern auch für Q&A bedeutsam.“

Bitte proaktiv sein …

Für Fey ist auch entscheidend, dass Unternehmen nicht nur reagieren, sondern auch proaktiv auf relevante Themen wie ESG eingehen. „Investoren und andere Anspruchsgruppen sind sehr interessiert“, erklärt er. „Die Unternehmen gehen hierauf aktiv ein.“

Im Verhältnis zu klassischen Themen wie Bonität oder Ertragsbildung hat der Bereich Nachhaltigkeit trotz aller jüngsten Aufmerksamkeitssteigerung noch immer einen eher kleinen Anteil in Investorengesprächen – das zeigt die Studie des DAI und der Börse Stuttgart: 53% der Befragten geben an, dass Nachhaltigkeit nur geringen Anteil am Austausch hat. Nur 10% sprechen von einem hohen Anteil – und niemand von einem sehr hohen.

Fey will diese Zahlen aber nicht zu negativ verstanden wissen. Er erklärt, dass sie den Eindruck der Unternehmen aus den Investorengesprächen wiedergeben: „Das Thema ist angekommen. Die Unternehmen nehmen es an: Sie definieren explizite Nachhaltigkeitsstrategien und reagieren auf die veränderten Investorenerwartungen.“ Zum Teil würden komplette Geschäftsmodelle angepasst. Fey weiter: „Die Firmen nehmen ihre gesellschaftliche Verantwortung wahr und bekennen sich zur Nachhaltigkeit.“

… und Greenwashing vermeiden

Was dem IR-Manager aber auch bei noch so großem Willen, ESG-Kriterien zu adressieren, nicht passieren darf, ist das Schmücken mit falschen Federn: Greenwashing ist ein Thema und kann zur Falle für Unternehmen werden. „Die trügerische Nachhaltigkeit ist in der Tat aktuell ein Problem. Mit steigenden Nachhaltigkeitsansprüchen der Investoren wächst der Druck auf die Unternehmen. Jüngst ist zu beobachten, dass immer häufiger Firmen öffentlich mit Erklärungen zur Nachhaltigkeit, Energieeffizienz oder der CO2-Neutralität werben“, berichtet Kasper und warnt zugleich: „Wie grün oder nachhaltig die Unternehmen tatsächlich sind oder inwiefern die erklärten Ziele erreicht werden, lässt sich gegenwärtig kaum belastbar einschätzen.“ Grund ist die bereits erwähnte, noch fehlende standardisierte Taxonomie, die es erlaubt, Nachhaltigkeit einheitlich zu messen. Kasper: „Es bleibt abzuwarten, wie schnell die Europäische Union eine vollumfängliche Regelung in die praktische Umsetzung bringt.“

Kirchhoff schätzt die Gefahr, dass IR-Verantwortliche die eigenen Aktivitäten in Sachen ESG vielleicht ein bisschen zu ambitioniert darstellen, hingegen gering ein: „Greenwashing kann im Zeitalter der Transparenz, die allein die sozialen Medien herstellen, nicht mehr funktionieren. In den letzten Jahren wurden mehr und mehr Unternehmen entlarvt, die versucht haben, mit schönen Glanzbroschüren oder Kampagnen Nachhaltigkeit ihres Tuns oder ihrer Strategien vorzuspielen.“ IR-Manager seien gut beraten, darauf hinzuwirken, dass das Unternehmen Rechenschaft ablege – basierend auf Fakten und tatsächlichen Verhältnissen. „Der Kommunikationsmarkt erlebt einen grundlegenden Wandel“, betont Kirchhoff. „Die Stakeholder erwarten von den Unternehmen Information und Aufklärung, nicht PR-Manipulation.“

Fazit

IR-Manager hatten es nicht leicht in den vergangenen Monaten – auch am Ende dieses Beitrags steht kein anderes Urteil. Dennoch scheinen die meisten Verantwortlichen begriffen zu haben, was Dreman postuliert: Psychologie ist einer der wichtigsten Einflussfaktoren an den Märkten. Coronahysterie, Digitalisierungswelle und ESG-Kriterien – die To-do-Listen der IR-Abteilungen waren gut gefüllt und sind es noch immer. Sieht man sich die Kurse an, scheint es allerdings den meisten Managern mehr als gut zu gelingen, Sorgen und Ängste ihrer Investoren zu adressieren. Dazu, das ergibt die Studie des DAI und der Börse Stuttgart, sind die Finanzverantwortlichen bereit, Geld in die Hand zu nehmen: 80% der Unternehmen bauen die Berichterstattung aus und 78% schulen Mitarbeiter in puncto Nachhaltigkeit.

Und in Sachen Digitalisierung hat sich, dies wiederum unterstreichen die Einschätzungen der Experten, inzwischen sogar Routine eingestellt – wer digitale Roadshows organisiert, den schreckt auch das nächste MS-Teams-Meeting nicht mehr. Geschäftsberichte und Finanzkommunikation generell werden in den virtuellen Raum verlegt. Die Bereitstellung der Zahlen und Daten wird nutzerfreundlicher, intuitiver und interaktiver – Videoformate, Social-Media-Posts und Podcasts sind mehr oder minder Standard.

Kein Wunder also, dass IR-Manager nach den Herausforderungen der letzten Monate eine bessere Situation erwarten – das beweist auch die Einschätzung des Wachstumspotenzials im DIRK-Stimmungsbarometer. Der Zukunftsindikator macht einen Sprung um 70 Punkte zum Vorjahr und steht mit einem Wert von 63 Punkten auf dem bisher höchsten Niveau im Vergleich zu den Einschätzungen der vergangenen Jahre.

Dann also mit frischem Mut auf zu den nächsten Herausforderungen. Es bleibt die Frage, welche Themen für Investor-Relations-Officer heute schon wichtig sind, um fit für die Zukunft zu sein. Wir überraschungslüsterne Journalisten halten es da mal pragmatisch mit den Vorlieben des Aufsichtsrats und gehen nicht von viel Unerwartetem aus – digitaler, grüner und innovativer wird es werden, denn: „Psychology is probably the most important factor.

(1) David N. Dreman (geb. 1936) ist ein Contrarian und als solcher für seine antizyklischen Investments bekannt.

Autor/Autorin

Isabella-Alessa Bauer