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Mit dem EU Listing Act liegt ein aktueller Vorschlag der EU-Kommission vor, der die bereits 2015 initiierte Kapitalmarktunion zur Integrierung der Märkte und zur Steigerung der Attraktivität der Unternehmensfinanzierung über den öffentlichen Kapitalmarkt vertiefen will. Davon können kleine und mittlere Unternehmen profitieren.

Der EU Listing Act beabsichtigt die Verbesserung der Rahmenbedingungen für das Going und Being Public kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU). Hierzu wer­den u.a. das bestehende Konzept eines erleichterten Zugangs zum Kapitalmarkt für KMU punktuell überarbeitet und bei den kapitalmarktrechtlichen Folgepflichten Unklar­heiten in der Rechtsanwendung beseitigt.

Den Kern des EU Listing Act bildet der Verordnungsvorschlag der Kommission vom 07.12.2022 (COM [2022] 762 final), der im Wesentlichen Neuerungen zum Prospektrecht sowie KMU-freundliche Änderungen der Marktmissbrauchsverordnung (MAR) enthält. Flankiert wird der Legislativakt durch zwei Richtlinienvorschläge, die sich mit den Themen „KMU-Wachstumsmarkt“ und „Finanzanalysen für KMU“ (COM [2022], 760 final), sowie mit der Einführung von Mehrstimmrechtsaktien COM [2022], 761 final) befassen.

Erweiterung der Prospektausnahmen

Die bestehenden Prospektausnahmen sollen erweitert werden. Hiermit sollen klei­nere (Primär-) Emissionen gefördert und Sekundäremissionen erleichtert werden. Der derzeit geltende Höchstbetrag für prospektfreie Angebote von EUR 8 Mio. soll auf EUR 12 Mio. erhöht werden. Zudem sollen in einem KMU-Wachstumsmarkt notierte Unternehmen innerhalb von 12 Monaten eine oder mehrere Kapitalerhöhungen pros­pektfrei durchführen können, sofern diese insgesamt weniger als 40% des Aktienka­pitals ausmachen. Bei Überschreiten der Schwelle soll die Einreichung und Veröffentlichung eines maximal zehnseitigen Informationsdokuments genügen.

Die Praxis hat gezeigt, dass KMU sehr rege von den geltenden Prospektausnahmen Gebrauch machen, da der Kapitalbedarf und damit die Emissionsvolumina häufig im einstelligen Millionenbereich liegen. Eine Erhöhung des Höchstbetrages von prospekt­freien Emissionen auf 12 Mio. EUR ist sinnvoll, wenn der Kapitalbedarf zwar geringfügig höher, jedoch immer noch vergleichsweise „mittelstandstypisch“ ist. So hätten 2022 beispielsweise knapp 78% aller im Segment m:access der Börse München durchgeführten Barkapitalerhöhungen prospektfrei durchgeführt werden können. Auch die Prospektausnahme für Sekundäremissionen in einem KMU-Wachstumsmarkt kann die Eigenkapitalbeschaf­fung von bereits notierten Unternehmen erheblich einfacher und günstiger gestalten. Sie würde die früher von der BaFin gehandhabte Rechtspraxis wieder aufleben lassen, (reine) Bezugsrechtsemissionen prospektfrei durchzuführen. Auch hiervon wurde in der Vergangenheit regelmäßig Gebrauch gemacht.

Einführung neuer Prospektformate

Mit dem EU-Folgeprospekt („EU Follow-On Prospectus“) und dem EU-Wachstumsemissionsdokument („EU Growth Issuance Document“) werden neue Prospektformate eingeführt.

Der EU-Folgeprospekt schließt inhaltlich an den (auslaufenden) EU-Wiederaufbau­prospekt an und vereinfacht Sekundäremissionen für die Emittenten eines KMU-Wachs­tumsmarktes, für die keine Prospektausnahme gilt. Das EU-Wachstumsemissi­onsdokument löst inhaltlich den bisherigen EU-Wachstumsprospekt für KMU bzw. für Emittenten eines KMU-Wachstumsmarktes ab. Bereits die bisherigen Prospektformate sind in Inhalt und vor allem Umfang gegenüber Standardprospekten privilegiert und wurden daher in der Vergangenheit bei Emissionen von KMU häufig genutzt.

Die grundsätzliche Fort­führung dieser, auch von Investoren akzeptierten, Privilegierung durch die neuen Pros­pektformate, verbunden mit einer „Straffung“ des Prospektbilligungsverfahrens, ist ausdrücklich zu begrüßen, auch wenn Detailfragen noch zu klären sind, wie etwa die der Anwendbarkeit der prospektrechtlichen Haftungsgrundsätze auf ein solches „Emissions­dokument“.

Änderungen der Marktmissbrauchsverordnung

Auch das Being Public soll durch gezielte Änderungen der Marktmissbrauchsverordnung (Verordnung [EU] Nr. 596/2014 – „MAR“) vereinfacht werden. Zu den geplanten Maßnah­men gehören Neuerungen bei der Ad-hoc Publizität, dem Führen von Insiderlisten und bei Directors‘ Dealings. Sämtliche Änderungen vereinfachen die Rechtslage und entlasten den Verwaltungsaufwand von KMU, ohne dass der Informationsgehalt für den Kapitalmarkt wesentlich sinkt.

Vor allem die Konkretisierung des Begriffs der Insiderinformation, die Voraussetzungen eines Aufschubes der Veröffentlichung sowie die beabsich­tigte spätere Publizitätspflicht bei gestreckten Sachverhalten sind zu begrüßen, wobei hier noch nicht sämtliche Fragestellungen zufriedenstellend gelöst sind, etwa bzgl. der „frühen“ Übermittlung der Aufschubgründe an die Aufsichtsbehörde. Positiv wirkt die nun generelle Möglichkeit, „permanente In­siderlisten“ anstelle aufwändiger „anlassbezogener Insiderlisten“ zu führen. Auch die Erhöhung von Meldeschwellen von Directors‘ Dealings von derzeit 5.000 EUR auf 20.000 EUR im Kalenderjahr mit der Möglichkeit für nationale Aufsichtsbehörden, diese auf 50.000 EUR anzuheben, ist positiv zu werten.

Finanzanalysen und Auftrags-Research

Die vorgeschlagene Anhebung der Schwelle für eine Geltung der Entflech­tungsregeln beim Angebot von Finanzanalysen (Research) auf eine Marktkapitalisierung von 10 Mrd. EUR (von bisher 1 Mrd. EUR) ist sinnvoll, um eine angemessene Versorgung des Kapitalmarktes mit Research auch für Unternehmen dieser Größen­ordnung sicherzustellen.

Soweit für das Auftrags-Research durch den Emittenten künf­tig gewisse, in einem Verhaltenskodex niedergelegte Standards gelten sollen, ist darauf zu achten, dass die Anforderungen verhältnismäßig sind und nicht dazu führen, dass eine Coverage von KMU aus wirtschaftli­chen Gründen unterbleibt. Positiv zu bewerten ist, dass die Veröffentlichung des Auftrags-Research auf einer EU-Plattform (European Single Access Point – „ESAP“) fakultativ und nicht ob­ligatorisch ist.

Einführung von Mehrstimmrechtsaktien

Auch die Einführung von Mehrstimmrechtsaktien bei Börsengängen in einen KMU-Wachstumsmarkt* ist als eine positiv wirkende flankierende Maßnahme hervorzuheben, welche den kontrollierenden Aktionären die Möglichkeit einräumt, ihren maßgeblichen Einfluss auch nach einem Börsengang behalten zu können. Dies kann der vielfach anzutreffenden Befürchtung von Gründern, durch einen Börsengang die Kontrolle über ihr Unternehmen zu verlieren, entgegenwirken und schafft damit eine weitere Alternative zu bekannten Gestaltungformen (wie etwa durch Kapitalmehr­heit in der Hauptversammlung, Rechtsform der KGaA etc.).

Das Modell der Mehrstimm­rechtsaktien wird als Paradigmenwechsel des geltenden Aktienrechts aber nur dann erfolgreich sein, wenn die hieran anknüpfenden Folgefragen, etwa die nach der ausreichenden Transparenz oder der flexiblen und praktikablen „Exit-Lösungen“ für Inhaber derartiger Aktien gelöst werden.

Ausblick

Die dargestellten Maßnahmen dienen dem übergeordneten Ziel des Listing Acts, die Attraktivität der öffentlichen Kapitalmärkte für KMU zu steigern, indem der (zeit-, personal- und kostenintensive) Aufwand des Going und Being Public reduziert wird bei gleichzeitiger Berücksichtigung der berechtigten Transparenzanforderungen potenzieller Investoren. Auch wenn Detailfragen sicherlich diskussions- und ausfüllungsbedürftig sind, handelt es sich doch um eine bemerkenswerte Initiative zu Stärkung der Kapitalmarktunion.

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*Zukunft des KMU Wachstumsmarktes

Einige Erleichterungen schließen an eine Notierung in einem „KMU-Wachstumsmarkt“, wie etwa dem Segment Scale der Deutschen Börse AG, an. Die Börse München hat die Entwicklung dieser 2015 im Rahmen der MiFID II (und Umsetzung in § 48a BörsG) speziell für KMU geschaffenen Kategorie von Handelsplätzen aufmerksam beobachtet. Bislang gab es gute Gründe dafür, das Mittelstandssegment m:access nicht als KMU-Wachstumsmarkt registrieren zu lassen. Dies ist auch das Ergebnis eines engen Austausches der Börse mit Emittenten und Emissionsbegleitern. Sollte der Listing Act in der hier besprochenen Form tatsächlich umgesetzt werden, ist gemeinsam mit den Stakeholdern ggf. eine Neubewertung vorzunehmen.

Autor/Autorin

Dr. Marc Feiler

Dr. Marc Feiler ist Geschäftsführer und Justiziar der Börse München. Nach fünfjähriger Tätigkeit in einer internationalen Wirtschaftskanzlei kam er 2004 zur Börse und hat dort das Mittelstandssegment m:access mit aufgebaut.

Dr. Rainer Wienke

Dr. Rainer Wienke ist Direktor Primärmarkt an der Börse München. In den Bereich des Juristen fallen die Zulassung von Emittenten, die Betreuung von Handelsteilnehmern und Emittenten, die börslichen Regelwerke sowie die Compliance und das Mittelstandssegment m:access.