Bildnachweis: Wiener Börse .

GoingPublic: Frau Mag. Lininger, Ihre Aktivitäten sind heuer stark vom 250-jährigen Jubiläum geprägt. Gab es auch besondere Aktionen für Anleger und Emittenten?

Lininger: Neben den laufenden Service- und Infoevents wie IPO-Workshops gab es besondere Aktivitäten wie etwa Stadt­führungen zu den historischen Adressen der Wiener Börse. Zum 250-jährigen ­Jubiläum haben wir zudem Stimmen aus dem Markt gebündelt, um gemeinsam in die Zukunft zu blicken. Im Rahmen unseres eigens eingerichteten „Future Forums“ diskutieren nationale und internationale Experten, Vordenker und Wissenschaftler in unterschiedlichen Veranstaltungen und Formaten über Innovation, Wandel und ihre Vision der Wirtschaft der Zukunft.

Welche Tendenzen zeigt der österrei­chische IPO-Markt im Jubiläumsjahr?

2021 sehen wir ein besonders starkes ­Interesse bei den Einstiegssegmenten ­direct market und direct market plus. Ich bin zuversichtlich, dass zukünftig auch wieder größere Unternehmen den Kapitalmarkt in vollem Umfang nutzen werden. Die Wiener Börse ist der ideale Listingplatz für heimische als auch interna­tionale Unternehmen. Als klarer Marktführer im Handel mit österreichischen ­Aktien verschaffen wir unseren gelisteten Top-Unternehmen den besten Platz im ­globalen Schaufenster. Dies wird auch ­genutzt, mit der BAWAG Group etwa beim größten Börsengang der ­vergangenen ­Jahre, oder von innova­tionsgetriebenen Unternehmen wie ­Marinomed Biotech.

Wie hat sich der direct market plus ­bisher entwickelt – was könnte noch verbessert werden?

Der Vienna MTF als regulatorisches Dach richtet sich mit dem seit 2019 bestehenden Angebot an Klein- und Mittelbetriebe (KMU) sowie expandierende Jungunternehmen. 2021 gab es bereits sechs Neu­zugänge in den Segmenten direct market und direct market plus, davon ein ­Upgrade aus dem direct market. Dieser erste Schritt an die Börse bietet für Unter­nehmen die Basis zur Weiterentwicklung und für neue Finanzierungen über Eigenkapital. Das Börsenlisting wird von vielen Unternehmen für die weitere Finanzierung gut genutzt. Zu Verbesserungen würde die Umsetzung des Regierungsprogramms führen. Dieses beinhaltet wichtige Bausteine, um privates Kapital zu aktivieren und Unternehmen in Österreich zu ­stärken.

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Wie fördert die Wiener Börse das Going Public kleinerer und mittlerer Unternehmen und Start-ups?

Wir führen intensive Gespräche mit potenziellen Kandidaten. Unser sogenanntes ­direct network bietet die ideale Plattform für Unternehmen, um die richtigen Experten für vorbörsliche Finanzierung, Vorbereitung des Listings bis hin zur Begleitung beim Being Public zu finden. Capital ­Market Coaches und Direct Funding ­Partners werden mit den Unternehmen vernetzt. Wir bieten zusätzlich Kommunikationsangebote auf unterschiedlichen Kanälen und Formaten an, wo sich Emittenten präsentieren können. Nicht zuletzt unterstützen wir sie mit Investoren­meetings.

Hat es im Jubiläumsjahr weitere Neuerungen gegeben?

Ja. Wir haben den Kurszettel des global market laufend erweitert und damit auch das Angebot von internationalen Blue Chips für österreichische Retailer. Als ­Infrastrukturbetreiber ist uns die Marktqualität ein wichtiges Anliegen. Im Marktdatengeschäft bieten wir derzeit Daten von elf Börsenplätzen aus dem CEE/CIS-Raum über einen Datenfeed an. Nicht ­zuletzt haben wir wieder unser internationales Roadshowprogramm in Koopera­tion mit Banken virtuell abgehalten und über 300 Investoren global erreicht. Die Initiativen im Finanzbildungsbereich ­werden laufend erweitert, wie z.B. das ­Angebot von Frauen für Frauen bei Wertpapierinvestments.

Was ist typisch für den Anleihenboom an der Wiener Börse und was sind die Gründe für das starke Wachstum?

Die Wiener Börse hat sich mit dem „Vienna MTF für Bonds in Europa“ zu einer festen Größe als Anleihenlistingplatz etabliert. Mit bereits mehr als 5.000 neuen Listings allein in diesem Jahr verzeichnet die ­Wiener Börse ein rasantes Wachstum. ­Dieses Wachstum verteilt sich auf unterschiedliche Kundengruppen und Produkttypen, einschließlich ESG-Bonds, die bei Emittenten und Anlegern immer beliebter werden. Niedrige Zinsen und die Kauf­programme der Notenbanken begüns­tigen diesen Boom.

Warum ist der Leitindex ATX im ersten Halbjahr 2021 so stark gestiegen?

Nach einem sehr volatilen letzten Jahr ist die Ampel wieder auf Grün gesprungen. Der ATX inkl. Dividenden konnte wiederholt sein Allzeithoch knacken und liegt im Jahresverlauf international im Spitzenfeld. Der Grund liegt auch in der zyklischen ­Zusammensetzung der Indexmitglieder. Auch die Aktienumsätze der Wiener Börse bewegen sich stabil auf hohem Niveau.

Frau Mag. Lininger, vielen Dank für das interessante Gepräch.

Zur Interviewpartnerin
Mag. Henriette Lininger leitet seit 2005 die Abteilung Emittenten und Marktdatenvertrieb der Wiener Börse. Die Betriebswirtin verantwortete u.a. die Einführung des neuen KMU-Segments „direct market plus“. Der Marktdatenhub wurde unter ihrer Leitung auf elf Börsen ausgebaut.

Autor/Autorin

Thomas Müncher

Thomas Müncher ist Wirtschafts- und Finanzjournalist und freier Autor beim GoingPublic Magazin.