Bildnachweis: © VITRONIC Bildverarbeitungssysteme GmbH.

Die VITRONIC Dr.-Ing. Stein Bildverarbeitungssysteme GmbH wurde 1984 von Norbert Stein gegründet und schon ein Jahr später das erste optische Navigationssystem für fahrerlose Transporte entwickelt und vermarktet. 1986 erfolgte erstmalig das Auslesen von Barcodes von Industriecontainern. Später waren es die Wiesbadener, die eines der ersten Systeme zur Inspektion in der Photovoltaikproduk­tion auf den Markt brachten. Einstweilen noch wichtiger ist aber das Geschäft mit ­Geschwindigkeitsmessgeräten, das für drei Viertel des Umsatzes steht: VITRONIC, das sind die Herren der Blitze.

Verkehrstechnik als solides Standbein

Mit weltweiten Standorten bietet VITRONIC nahen Service in wichtigen Kundenregionen. Das Europageschäft wird im Wesentlichen von der Unternehmenszentrale in Wiesbaden für sämtliche Geschäftsbereiche betreut. Während die Verkehrstechnik stete Einnahmen verspricht, aber nicht für besondere Wachstumserwartungen steht, gilt die Bildverarbeitungstechnologie als ein Treiber hochgradiger Automation und schlanker, stark digitalisierter Abläufe. „Wir haben uns auf Bildverarbeitungssysteme für den Einsatz in bestimmten Branchen spezialisiert. Das erlaubt uns einen klaren Fokus auf die speziellen Anforderungen in diesen Bereichen. Hinzu kommt jahrzehntelange Erfahrung im direkten Austausch mit unseren Kunden auf der ganzen Welt – ein Wissensschatz, der immer aufs Neue in unsere Lösungen und Services einfließt“, lässt das Unternehmen dazu wissen.

Die Technik überprüft etwa die Schweißnähte bei der Automobilherstellung und ebnet den Weg für eine leistungsstärkere Automatisierung, kontrolliert aber ebenso die saubere Verarbeitung von Pharma- und Medizintechnikprodukten (z.B. Insulin-Pens) sowie die vorgeschriebene Geschwindigkeit auf den Straßen dieser Welt. Moderne stationäre Blitzer und die mobilen Enforcement Trailer werden stetig weiterentwickelt. Schließlich fertigt VITRONIC Mautsysteme, die die Nutzung von ­Infrastruktur abrechnen. 2020 übergab der Gründer das Unternehmen an Daniel Scholz-Stein. „Als Global Player mit Niederlassungen auf fast allen Kontinenten haben wir uns eine familiäre Atmosphäre erhalten. Nicht zuletzt durch die Eigen­tümerstruktur blicken wir als Unternehmen über den Shareholder Value hinaus und stehen für Kontinuität, langfristige Qualität und Freude an der Zukunft“, betont der neue Chef die Familientradition.

Fast 10% der Gesamtleistung fließt in F&E

Die technische Expertise sichert VITRONIC durch hohe Ausgaben für Forschung und Entwicklung ab. 2020 wurden 13,2 Mio. EUR und damit etwa 9,4% der Gesamtleistung investiert. Dies eröffnet die Erschließung neuer Branchen. Neuestes Projekt ist eine Anlage zur Überprüfung der technischen Sauberkeit bei der Herstellung von Akkus für die E-Mobilität. Verunreinigungen lassen sich nicht verhindern, da die Herstellung in der Großserie nicht in Reinräumen stattfinden kann.

Daher werden zuverlässige Prüfverfahren benötigt, um Verunreinigungen nachträglich zu detektieren. Idealerweise wird an zwei Prozessschritten geprüft: bei der Herstellung der Batteriezellen (in der Regel beim Zulieferer) sowie bei der Modulmontage (in der Regel beim Fahrzeughersteller). Für diesen Einsatzzweck hat VITRONIC ein neues Prüfsystem entwickelt, mit dem sich Batteriezellen und -module direkt in der Montagelinie auf Partikelverunreinigungen prüfen lassen. Die eingesetzten Kamerasensoren können kleinste Partikel detektieren, um die Prozesssicherheit zu gewährleisten. Die Definition der zulässigen Partikelgröße erfolgt stets unter Berücksichtigung von geforderten Parametern wie Genauigkeit, Schnelligkeit und Kosten.

Die Omertà der Familienunternehmen

Bei der Frage, wie das Wachstum finanziert wurde und ob angedacht wird, bei Bedarf den Kapitalmarkt anzuzapfen, gibt sich das Familienunternehmen sehr zugeknöpft, eine entsprechende Anfrage blieb unbeantwortet – die übliche Omertà. Das Gesamtvermögen der Gesellschaft nahm 2020 um 20,3 Mio. auf 177,3 Mio. EUR zu. Das Eigenkapital erhöhte sich aufgrund des positiven Geschäftsergebnisses um 0,2% und beträgt nun 54,8 Mio. EUR. Die Eigenkapitalquote 2020 sank daher auf 31%. Die Verbindlichkeiten führten 2020 zu Zinsaufwendungen in Höhe von mehr als 2 Mio. EUR und Avalprovisionen in Höhe von 578.000 EUR.

„Insbesondere die starken zeitlichen Verschiebungen von kommerziellen Meilensteinen im Zusammenhang als Folge der Coronapandemie sorgten für wesentliche Belastungen im Cashflow und daraus resultierende Liqui­ditätslücken mussten durch zusätz­liche Mittelaufnahmen ausgeglichen werden“, heißt es dazu im Geschäftsbericht. Darüber hinaus wurde im Geschäftsjahr 2020 eine Konsortialfinanzierung unter der Beteiligung der Hausbanken und Einbeziehung der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) abgeschlossen, die den zukünftigen Finanzmittelrahmen sicherstellen werde.

Wachstum durch neue Anwendungen

Weiteres Wachstum will das Unternehmen durch die weitere Diversifikation der Einsatzbereiche der Bildverarbeitungstechnik realisieren. Die Verteilung des Auftragseingangs auf die Geschäftsbereiche entfiel bislang zu 77% auf Verkehr, zu 23% auf Automation. Bei den Produkten dominierten die Gruppen POLISCAN Speed, POLISCAN Redlight und der Enforcement Trailer. In der Gesamtleistung 2020 dominierte erwartungsgemäß die Verkehrstechnik, insbesondere aufgrund des hohen Auftragsbestands zu Beginn, der Projektabrechnungen und der laufenden Auftragsbearbeitung im Geschäftsjahr. Das Servicegeschäft trug mit 10,6 Mio. EUR bei. Trotz der deutlich vereinfachten und robusten Hardware im Bereich der Verkehrstechnik und damit eines geringeren Reparaturbedarfs sollte das Servicegeschäft in den kommenden Jahren weiter zunehmen, insbesondere durch langfristige Rahmenverträge mit internationalen Kunden.

Fazit

VITRONIC hat seit 1984 eine beeindruckende Wachstumsstory geschrieben, die angesichts der technologischen Kompetenz an der Börse sicherlich mit großem Interesse aufgenommen würde. Das zeigen Beispiele wie die Viscom AG, Basler AG oder auch JENOPTIK AG. Der neue CEO von VITRONIC, Schwiegersohn des Gründers, betont die Vorzüge eines Familienunternehmens. Insofern deutet nichts auf ein Going Public hin.

Autor/Autorin

Stefan Preuss

Stefan Preuß ist Mitglied der GoingPublic Redaktion.