Während Börsengänge aktuell Mangelware sind, ziehen sich viele Unternehmen von der Börse zurück. Es gibt mehrere Varianten für ein Delisting – ein Überblick. 

Bei Siemens Gamesa und SLM Solutions ist der Börsenrückzug absehbar. Linde hat den Rückzug von der Frankfurter Wertpapierbörse im Januar beschlossen, die Umsetzung erfolgt aller Voraussicht nach bereits zum 1. März. Vor allem die hohen Kosten für die Börsennotiz und der damit einhergehende Mehraufwand bei gleichzeitigem Fortfall der mit dem Listing verbundenen Vorteile bewegen börsennotierte Unternehmen immer wieder dazu, ihre Präsenz an mehreren Börsen zu reduzieren. Andere entscheiden sich gar für den vollständigen Rückzug von der Börse.

Als Delisting bezeichnet man den dauerhaften Fortfall der Zulassung einer Aktie zum Handel an einer Börse. Differenziert wird zwischen dem regulären Delisting und dem Cold Delisting. Beim Ersteren wird die Zulassung der Aktien zum Handel aktiv von der Gesellschaft widerrufen; beim Zweiteren führt eine Strukturmaßnahme zum Wegfall der Zulassungsvoraussetzungen für den Handel.

Voraussetzungen für den Börsenrückzug

Am Anfang des regulären Delisting steht der Antrag der Gesellschaft bei der Zulassungsstelle der Börse auf Widerruf der Handelszulassung der Aktien. In der „FRoSTA-Entscheidung“ hat der Bundesgerichtshof (BGH) klargestellt, dass dieser Antrag als eine reine Geschäftsführungsmaßnahme zu qualifizieren ist. So obliegt es allein dem Vorstand, ggf. mit Zustimmung des Aufsichtsrats, über den Widerruf der Handelszulassung zu entscheiden. Eine Zustimmung der Aktionäre ist nicht notwendig.

Über den Antrag entscheidet die Zulassungsstelle der Börse gemäß § 39 Börsengesetz (BörsG) nach pflichtgemäßem Ermessen. Sie darf diesem nur stattgeben, wenn der Widerruf nicht dem Schutz der Anleger widerspricht. Das Delisting aus dem regulierten Markt hat weitere gesetzliche Voraussetzungen: Wenn die Aktie nicht weiterhin zum Handel im regulierten Markt einer inländischen Börse oder in einem vergleichbaren ausländischen organisierten Markt zugelassen ist, muss die Gesellschaft oder ihr Hauptaktionär den Aktionären ein Erwerbsangebot unterbreiten. Dieses richtet sich nach den Vorschriften des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes (WpÜG). Die in Euro taxierte Geldleistung muss mindestens dem Sechs-Monats-Durchschnittskurs vor Veröffentlichung des Erwerbsangebots entsprechen. Die Zulassungsstelle der Börse prüft dabei lediglich, ob ein Erwerbsangebot veröffentlicht wurde oder insoweit ein Ausnahmetatbestand eingreift. Die Überprüfung der angebotenen Geldleistung obliegt allein der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin).

Dagegen ist kein Erwerbsangebot erforderlich, wenn ein Unternehmen aus dem Freiverkehr ausscheidet. Dies war zuletzt etwa beim im qualifizierten Freiverkehr der Börse München (m:access) notierten Finanzinvestor AURELIUS der Fall. Dessen Vorstand hat Anfang 2023 die Einstellung der Börsennotiz im m:access und den Widerruf der Einbeziehung in den Freiverkehr der Börse München beantragt. Diesem Antrag hat die Börse München inzwischen stattgegeben. Damit verabschiedet sich AURELIUS vollständig von der Börse, sofern die Aktien nicht künftig auf Antrag einer Bank im einfachen Freiverkehr einer Börse gehandelt werden.

Kein ordnungsgemäßer Handel mehr

Anders als beim regulären Delisting wird beim Cold Delisting kein Antrag auf Widerruf der Handelszulassung gestellt. Diese wird vielmehr von Amts wegen widerrufen, weil der ord-nungsgemäße Handel der Aktie infolge einer aktien- oder umwandlungsrechtlichen Strukturmaßnahme nicht mehr gewährleistet ist. Strukturmaßnahmen mit besonderer praktischer Bedeutung sind insoweit der Squeeze-out der Minderheitsaktionäre, die übertragende Verschmelzung auf einen anderen Rechtsträger und der Formwechsel in eine nicht-börsenfähige Rechtsform. Da diese Strukturmaßnahmen wiederum die Zustimmung der Hauptversammlung mit qualifizierter Mehrheit voraussetzen, obliegt die Entscheidung über den Börsenrückzug in diesen Fällen nicht allein dem Vorstand, sondern auch dem Aktionariat.

Auch wenn das Cold Delisting nur eine Nebenfolge einer Strukturmaßnahme ist, wird es – wie etwa die Umstrukturierung von Linde, mit dem alleinigen Ziel einer Börsenpräsenzreduktion, zeigt – immer wieder gezielt für den Rückzug von der Börse eingesetzt. Es hat den Vorteil, dass kein förmliches Widerrufsverfahren mit Anlegerschutzprüfung nach den Voraussetzungen des § 39 BörsG durchgeführt werden muss. Gleichzeitig muss den Aktionären auch kein Delisting-Erwerbsangebot nach den Vorschriften des WpÜG unterbreitet werden.

Allerdings setzt die Durchführung der zugrunde liegenden Strukturmaßnahmen häufig voraus, dass den Aktionären eine Barabfindung anzubieten ist. Nach der Rechtsprechung des BGH bildet insoweit aber der Drei-Monats-Durchschnittskurs – nicht der Sechs-Monats-Durchschnittskurs gemäß § 39 BörsG – die Untergrenze für das Abfindungsangebot. Anders als der Mindestpreis im Rahmen des regulären Delisting kann die Angemessenheit der Barabfindung im Rahmen eines gerichtlichen Spruchverfahrens überprüft werden. Da im Spruchverfahren jedoch nur die Angemessenheit der Gegenleistung geprüft wird, wird der Börsenrückzug durch das Spruchverfahren nicht blockiert. Einer Barabfindung bedarf es wiederum nicht in den Fällen einer Verschmelzung auf eine andere börsenfähige Gesellschaft oder eines Formwechsels in eine andere börsenfähige Rechtsform. Dies setzt aber voraus, dass die dabei von den Aktionären erworbenen neuen Aktien zeitnah zum Handel an einer Börse zugelassen werden.

Wechsel in ein anderes Segment

Vom Delisting zu unterscheiden ist das Downlisting, der bloße Segmentwechsel. Dabei wechselt die Aktie aus einem höheren in ein niedrigeres Qualitätssegment. Das Downlisting aus dem regulierten Markt einer Börse in den Freiverkehr ist nur unter den anlegerschützenden Voraussetzungen des § 39 BörsG zulässig. Daher kann auch in diesem Fall ein Erwerbsange-bot nach den Vorschriften des WpÜG erforderlich sein.

Letztendlich führen viele Wege zum Delisting. Börsennotierte Unternehmen, die einen Rückzug von der Börse erwägen, sind daher gut beraten, sämtliche Optionen im Blick zu halten – denn abhängig von der gewählten Variante des Delisting wirkt sich der Rückzug von der Börse regelmäßig zugleich gestaltend auf das Unternehmen aus.

Autor/Autorin

Dr. Richard Mayer-Uellner

Dr. Richard Mayer-Uellner, LL.M. (UCL) ist Rechtsanwalt und Partner bei der internationalen Wirtschaftskanzlei CMS Deutschland. Er ist auf Unternehmensübernahmen sowie auf Aktien- und Kapitalmarktrecht spezialisiert.

Dr. Dirk Schmidbauer

Dr. Dirk Schmidbauer ist Rechtsanwalt bei der internationalen Wirtschaftskanzlei CMS Deutschland. Zu seinen Tätigkeitsschwerpunkten gehört die Beratung im Aktien-, Konzern- und Kapitalmarktrecht, einschließlich des Wertpapiererwerbs- und Übernahmerechts.