Bildnachweis: Erste Group AG, GPM.

Der österreichische Kapitalmarkt hat diverse Vorteile zu bieten – aber auch einige Baustellen für die kommenden Jahre, wie Günther Artner von der Erste Group im Gespräch mit dem GoingPublic Magazin erläutert.

GoingPublic: Herr Artner, vor einem Jahr rätselten wir noch, warum der ATX im europäischen Vergleich in der Erholung etwas hinkte – jetzt wurde doch ein neues Zehnjahreshoch seit der Finanzkrise 2008 verzeichnet. Was hat sich geändert in den vergangenen zwölf Monaten?

Artner: Der ATX hinkt bei einer positiven Börsenentwicklung oft um einige Monate hinterher – das haben wir die letzten ­Jahre schon öfter beobachtet. Die erste Aufschwungsphase trifft große Börsenplätze, erst später suchen Investoren an Randbörsen zurückgebliebene aussichtsreiche Werte. Zusätzlich hat Wien natürlich auch von der Sektorrotation in Richtung Zykliker, Finanz- und Rohstoffwerte profitiert.

Aber wie ist es 2021 angesichts dieser Ausgangslage um IPOs bestellt?

Üblicherweise müssen Bewertungen eine Zeit lang stabil höher sein, um Unternehmen ein IPO schmackhaft zu machen. Nachdem die Wiener Börse erst zuletzt ­andere Indizes outperformt hat, braucht es hier noch etwas Vorlaufzeit. Ich bin ­daher aber auch optimistisch für das Jahr 2022.

Die Börse Wien feiert heuer 250-jähriges Jubiläum – Non-Event oder Gelegenheit für eine versöhnliche Bestandsaufnahme?

Die Wiener Börse hat aufgrund ihrer langjährigen Geschichte schon viele Krisen ­gesehen und überstanden. Das sollte ­Investoren Zuversicht geben, dass die Wiener Börse mit einem sicheren technischen Rahmen attraktive Listing- und ­Investitionsmöglichkeiten bietet. Wir ­sehen viele Marktführer in Zentral- und Osteuropa, aber auch globale Marktführer in ihren Nischen in Wien gelistet. Es gäbe weitere spannende Unternehmen – die sich aktuell leider nur in Privatbesitz ­befinden.

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Wenn schon keine IPOs zu verzeichnen waren: Wie sieht es am Markt für Kapital­erhöhungen wie auch am Anleihemarkt aus?

Kapitalerhöhungen waren schon 2020 ein Thema in Österreich, ich denke hier nur an die Transaktionen von S IMMO, IMMOFINANZ und AMS. Auch gerade ­aktuell hat die PORR AG eine Kapital­erhöhung angekündigt. Im Anleihesegment haben wir mit der ersten grünen Retail­anleihe für die S IMMO, Volumen 150 Mio. EUR, bzw. mit der ersten kombinierten grünen und ESG-KPI-linked-Anleihe für VERBUND, Volumen 500 Mio. EUR, wirk­liche Innovationen gesehen. Zusätzlich haben wir im noch schwierigen COVID-Umfeld Anfang 2021 eine sehr erfolgreiche Wandelanleihe für DO & CO gesehen.

In Österreich wird – wie in Deutschland – die (verstärkte) Mitarbeiterbeteiligung diskutiert. Ging es hierbei in den letzten ein bis zwei Jahren voran?

Wir sehen hier einige Projekte in Vorbereitung. Bei vielen Unternehmen hatte aber das COVID-Management die letzten Monate Vorrang, was nachvollziehbar ist. Das könnte sich 2022 wieder ändern.

Man blickt ja auch über den Tellerrand hinaus, in Österreich ggf. etwas mehr Richtung Osteuropa. Zog es heimische Unternehmen eventuell nach Warschau oder auch nach Amsterdam? In Deutschland haben wir einen gewissen Trend, dass Biotech- und Medtechfirmen verstärkt über Frankfurt hinaus auf New York oder mindestens Amsterdam blicken.

Aus meiner Sicht ist die Wiener Börse nach wie vor der Nummer-eins-Handelsplatz für österreichische Unternehmen. Bei Biotechs kann die NASDAQ aufgrund der Anzahl der spezialisierten Investoren sicher eine Alternative sein. Amsterdam etabliert sich derzeit als mögliche Alter­native für große CEE-Unternehmen. Es müssen aber die Vor- und Nachteile klar gegenübergestellt werden. Wir sehen in den Niederlanden keine wirkliche lokale Investorenbasis, weshalb kleinere und mittelgroße IPOs sicher weiterhin besser an ihrer Lokalbörse aufgehoben sind.

Was fehlt der Wiener Börse, um auch IPOs von CEE-Unternehmen anzuziehen, bzw. was macht die Warschauer Börse besser als Wien?

Österreich hat im Vergleich zu Polen eine deutlich kleinere Anzahl an lokalen Investoren. In Polen müssen Pensionsfonds durch regulatorische Rahmenbedingungen einen Minimumprozentsatz ihrer ­Investments an der Heimatbörse investieren. Das mag zwar nicht EU-konform sein, hat aber den Börsenplatz groß und liquide gemacht. Österreichische Pensionsfonds sind im internationalen Vergleich noch sehr klein, da von Regierungsseite leider kaum steuerliche Anreize geschaffen wurden, und sie investieren auch kaum direkt in Aktien an der Wiener Börse. Um ein ­Beispiel zu nennen: Man kann ein 100 Mio. EUR schweres IPO in Polen leicht rein über lokale polnische Investoren platzieren – das Gleiche ist in Österreich leider unmöglich. Hier braucht es die Unterstützung internationaler Investoren.

Was würden Sie sich wünschen, um den österreichischen Kapitalmarkt weiter zu beleben?

Initiativen zur Steigerung der Investorenbasis! Auf institutioneller Seite könnten dies steuerliche Anreize zur begünstigten Pensionsvorsorge sein, auf Privatanlegerseite die Wiedereinführung der Kapital­ertragsteuerfreiheit ab einer Mindest­behaltefrist, eine generelle KESt-Reduktion oder auch die steuerliche Begünstigung von nachhaltigen Investments.

Herr Artner, wir sehen also: noch hin­reichend Betätigungsfelder für die ­kommenden Jahre. Ganz herzlichen Dank an Sie!

Autor/Autorin

Falko Bozicevic ist Mitglied des Redaktionsteams des GoingPublic Magazins sowie verantwortlich für das Portal BondGuide (www.bondguide.de)