Value-Fondsmanager Hendrik Leber erläutert im Interview mit dem GoingPublic Magazin, warum er die Geschäftsmodelle von Zalando und Rocket Internet für nicht belastbar hält, wie die Aktienaversion deutscher Privatanleger sowie die Aktienfurcht deutscher Institutionen zur „Blutarmut“ im deutschen Markt führen und weshalb ihn die Digitale Agenda nicht mit Zuversicht erfüllt.

GoingPublic: Herr Dr. Leber, haben Sie die jüngsten Börsengänge von Zalando und Rocket Internet mitgezeichnet? Oder sind diese Unternehmen für Sie nicht interessant?
Leber: Ich halte beide Unternehmen für unseriös. Sie erinnern mich an einige Börseneinführungen der Jahre 1999 und 2000. Es ist keine Kunst, unter Verzicht auf Gewinne schnell zu wachsen, denn wer Geld an seine Kunden verschenkt, ist schnell beliebt. Dahinter stecken keine belastbaren Geschäftsmodelle. Wenn der absolute Spitzenkonzern im E-Commerce, nämlich Amazon, nur mit Mühe Gewinne erzielt, dann traue ich einem kleineren Wettbewerber wie Zalando auch keine hohen Gewinne zu. Wenn Amazon keine Schuhe mit Rückgabemöglichkeit anbietet, so wahrscheinlich, weil es sich nicht rechnet. Dann rechnet es sich auch bei Zalando nicht. Wenn die Tochtergesellschaften von Rocket Internet querbeet Verluste machen, dann will ich für die Aktie auch nichts bezahlen. Wenn zudem die Tochtergesellschaften nicht konsolidiert werden, dann vermute ich dahinter eine bewusste Augenwischerei für Aktionäre. Also: nicht mit mir – es gibt doch so viele bessere, profitable, schnellwachsende Firmen.

Chart Acatis DeutschlandGoingPublic: Auch im kommenden Jahr wird es wohl mehr Delistings an der Frankfurter Börse als Neuzugänge geben. Aus dem Blickwinkel des Investors: Wie können die deutschen Börsen für hiesige Unternehmen wieder interessanter werden – was fehlt im Vergleich zu anderen Märkten wie den USA?
Leber: Da die Aktien der deutschen Konzerne mehrheitlich im Ausland gehalten werden, und auch da die Mehrheit der Deutschen Aktien für gefährlich hält, ist es kein Wunder, dass die deutschen Umsätze im Ausland stattfinden – es hat einen guten Grund, warum die Anlegerkonferenzen für deutsche Gesellschaften auf Englisch abgehalten werden. Die Gründe für die Anämie des deutschen Marktes sind also die Aktienaversion deutscher Privatanleger und die Aktienfurcht deutscher Institutionen. Eine Lösung könnte in einer Pflichtquote Aktien für deutsche Versicherungen liegen, z.B.10 bis 20% – aber da steht natürlich die Aufsicht im Weg.

GoingPublic: Was erwarten Sie für den deutschen Aktienmarkt im Jahr 2015: weiterhin – wie in den letzten Monaten – volatil oder Rebound?
Leber: Sobald die Russlandkrise beigelegt ist, was wohl im nächsten halben Jahr passieren wird, dürften die deutschen Aktien wieder anziehen. Allerdings nicht in den Himmel, denn wir sind als Exportnation doch sehr von unseren Abnehmermärkten China und Russland abhängig.

GoingPublic: Welche Sektoren oder Subsektoren schätzen Sie mittelfristig, also in den nächsten sechs bis zwölf Monaten, als aussichtsreich ein?
Leber: Uns sind deutsche Autozulieferer wie Leoni sehr sympathisch, die in aller Stille Weltmarktführerschaften aufbauen. Generell mögen wir die Diversität der Firmen der zweiten Reihe – vom Gabelstapler zum Industrieroboter, von der Getränkeabfüllung zur Küchentechnik, von der Architektensoftware zum Industrielaser.

GoingPublic: Die digitale Agenda der Bundesregierung: Kann diese die deutsche Wirtschaft voranbringen oder fehlt es an den Grundlagen, wie einer gesellschaftlich gewachsenen und angesehenen sowie von der Anlegerseite stark geförderten IT-Gründerkultur wie in den USA?
Leber: Eine digitale Agenda der Bundesregierung erfüllt mich nicht mit Zuversicht. Auf der Regierungsbank sehe ich niemanden, der weiß, wie die Internetökonomie funktioniert, und das beziehe ich sowohl auf das Internet als auch auf die Ökonomie. Zu einer IT-Gründerkultur gehört eine datentechnische Infrastruktur – die ist in Deutschland ok, aber nicht Spitze –, ein befruchtendes fachliches Umfeld – das ist in Berlin schwach ausgeprägt zu finden –, ein Kapitalmarktumfeld – das hat sich nach einem guten Start vor der Jahrtausendwende wieder zurückentwickelt – und schließlich ein weltweiter Vermarktungswille – der existiert in Deutschland kaum. Die deutsche IT-Szene wird darum eine Nischenszene bleiben.

GoingPublic: Herr Dr. Leber, vielen Dank für das spannende Gespräch.

Das Interview, das zuerst in der aktuellen Ausgabe des GoingPublic Magazines erschien, führte Konstantin Riffler.

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