Prof. Dr. Wolfgang Blättchen

Vor Kurzem verblüffte der Konzern Evonik die Öffentlichkeit mit seiner Nachricht, den im letzten Jahr verschobenen Börsengang doch noch durch die „Hintertür“ in den nächsten Monaten stattfinden zu lassen. Dabei werden zunächst Aktienpakete im Rahmen einer Privatplatzierung an ausgewählte institutionelle Pre-IPO-Investoren verkauft und anschließend nach Erreichen einer mindestens 10%-igen Free-Float-Schwelle ein Listing im Prime Standard der Deutschen Börse vollzogen. Diese Technik einer Börseneinführung ist eigentlich nichts Neues und in der Emissionspraxis auch durch die Begriffe „IPO Light“ oder „Safe IPO“ bekannt. In Anbetracht des Volumens von über 1,5 Mrd. EUR vorbörslicher Platzierung (entspricht 10% Streubesitz) ist das IPO light von Evonik ein Novum am deutschen Kapitalmarkt. Vorbörsliche Platzierungen fanden zwar auch bei Facebook statt, die in der Summe ähnliche Größenordnungen erreichten, aber nicht in Deutschland.

Der Vorteil dieser Emissionstechnik liegt vor allem darin, dass im Rahmen der Pre-Marketing- bzw. Pilot-Fishing-Gespräche interessierte Investoren direkt für eine Zeichnung angesprochen werden können, ohne dabei den sensiblen und oft kurzfristigen Weg einer öffentlichen Zeichnungsfrist gehen zu müssen, in der externe Ereignisse die gesamte Transaktion gefährden können. Die Konditionen bzw. Preisverhandlungen des Engagements können somit bilateral zwischen dem Emittenten, Altaktionär und den potenziellen Pre-IPO-Investoren festgelegt werden. Die von den Investoren benötigte Fungibilität bzw. Börsenzulassung der erworbenen Aktien kann innerhalb eines überschaubaren Zeitraums (zwei bis drei Monate) erfolgen. Die Erstnotierung und die fortlaufende Kursentwicklung in den ersten Monaten hängen dann stark vom Verhalten der Altinvestoren und Pre-IPO-Investoren ab, die jedoch durch sogenannte Lock-up-Vereinbarungen gesteuert werden können. Letztlich aber liegt es im Interesse des Emittenten und der Investoren mittel- bis langfristig durch weitere Kapitalmaßnahmen und Umplatzierungen den Free Float zu steigern, um somit die Liquidität in der Aktie zu erhöhen. Voraussetzung für spätere Kapitalmaßnahmen ist eine aktive IR-Arbeit und Finanzkommunikation in der Öffentlichkeit. Daher ist es unerlässlich geworden, einen Wertpapierprospekt zum Zeitpunkt der erstmaligen Notierungsaufnahme billigen zu lassen.

Der wesentliche Nachteil gegenüber einem „klassischen IPO“ ist, dass im ersten Schritt im Rahmen der Privatplatzierung i.d.R. nur ein kleiner Teil an Dritte verkauft werden kann und meistens kein Geld in das Unternehmen fließt. Im Fall Evonik sind das immerhin 1,5 Mrd. EUR, was durchaus genügen würde, um in den MDAX zu gelangen. Jedoch war ursprünglich der Anspruch höher. Das DAX-Ziel kann jetzt über einen längeren Zeitraum erreicht werden, indem die bestehenden Aktionäre (RAG Stiftung, CVC) weitere Stücke in den Markt geben, um den Free Float zu erhöhen. Jedoch müssen diese Umplatzierungen marktschonend erfolgen, indem entweder größere Aktienpakete außerbörslich platziert oder kleinere Pakete über einen längeren Zeitraum an der Börse verkauft werden.

Aus unserer Sicht stellt sich natürlich die Frage, inwieweit dieses IPO-Light-Konzept auch für kleinere Emittenten Anwendung finden kann. Grundsätzlich spricht nichts dagegen, jedoch muss der Emittent bereit sein, mit dem Listing einen Wertpapierprospekt zu veröffentlichen. In einem volatilen und schwierigen Marktumfeld kann ein Börsengang durch die Hintertür eine Alternative zum klassischen IPO sein. Bereits in den früheren Jahren wurde diese Technik mehrfach angewandt, wobei die Mehrzahl der Emittenten im Freiverkehr ohne Wertpapierprospekt an den Markt ging. Dieser Weg ist durch die Neusegmentierung an der Frankfurter Börse und die Einstellung des First Quotation Boards nicht mehr möglich. Entscheidend für den mittelfristigen Erfolg ist, dass Kapitalerhöhungen funktionieren, um die notwendige Wachstumsfinanzierung und den Exit-Kanal für Investoren sicherzustellen. Im Interesse der Privatanleger ist ein klassisches IPO dem IPO Light vorzuziehen, jedoch ist der erste Weg zurzeit der schwierigere.

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