29 P R A X I S Ein Gesetz – zwei Systeme Die Unternehmen haben unterschiedlich auf die neuen gesetzlichen Anforderungen reagiert. Grundsätzlich hat sich in diesem Jahr aber gezeigt, dass auch unter dem Regime von ARUG II nach wie vor beides mög- lich ist: sowohl eine intransparente und weitgehend unverständliche Darstellung des Vergütungssystems als auch eine aus- gesprochen klare und aktionärsfreundliche. Einige Unternehmen berichten völlig abs- trakt über ihr System, ohne dabei konkrete Vergütungshöhen, etwa der Grund- oder der variablen Zielvergütung, zu nennen. Im schlimmsten Fall werden die einzelnen Vergütungsbestandteile nicht als konkre- te Werte angegeben, sondern in prozen- tualen Spannen. Das kann dann wie folgt aussehen: Grundvergütung 25% bis 35% der Zielvergütung, STI 20% bis 30% der Zielvergütung. Aus solchen Angaben kann, selbst wenn die Maximalvergütung in Euro genannt wird, nicht entnommen werden, ob die Vergütungsstruktur oder die Zielver- gütung wirklich angemessen ist. Zudem werden in diesen Fällen oft nur Beispiele für die Performancekennziffern der STI genannt. Ob diese dann jährlich geändert oder angepasst werden, steht in der Regel im Ermessen des Aufsichtsrats und ist damit im Vorfeld, also bei Beschlussfassung über das System auf der Hauptversammlung, für die Aktionäre schlecht bis gar nicht nach- vollziehbar. Dieser Ermessensspielraum des Aufsichtsrats führt letztlich dazu, dass Aktionären nicht wirklich ein verständli- ches und transparentes Vergütungssystem vorgelegt wird. Allgemeine Verständlichkeit bleibt oft auf der Strecke Ein großes Problem bleibt also die Trans- parenz. Die Anforderung des ARUG II, dass die Systeme „klar und verständlich“ sein sollen, wird bei vielen der vorgelegten Systeme leider zu einem reinen Lippen- bekenntnis. Die Gründe dafür sind viel- fältig: Die zugrunde liegenden Zahlen in Euro fehlen oder es werden nur Spannen für die einzelnen Vergütungsbestandteile angegeben. Die Performancekennziffern werden nur beispielhaft benannt oder die Systeme sind so komplex, dass eine all- gemein verständliche Darstellung gar nicht möglich ist. Hinzu kommt, dass einige Unternehmen über die Vorstandsvergütung im abge- laufenen Geschäftsjahr nicht mehr auf Basis der vom Deutschen Corporate Gover- nance Kodex entwickelten Tabellen berich- ten. In Folge gehen die Informationen zur Vergütung munter durcheinander. Man- che Gesellschaften nennen nur noch die Zuwendungen, andere nur noch den Zufluss; bei wieder anderen lässt sich nicht einmal erkennen, ob nun Zuwen- dungen oder Zufluss ausgewiesen werden. Dies betrifft aktuell zwar (noch) nicht die DAX-Gesellschaften, mit Ausnahme von Linde, aber schon eine beträchtliche Zahl der in MDAX und SDAX notierten Unter- nehmen. Aktionären wird dadurch die Vergleichbarkeit, die durch die Kodex- Tabellen erst geschaffen wurde, wieder genommen. Zudem eröffnet sich AGs die Möglichkeit, von einem Jahr zum ande- ren von Zufluss auf Zuwendungen umzu- steigen und damit beispielsweise hohe Zuflüsse zu verschleiern. Allianz zeigt, wie es geht Zum Glück gibt es aber auch eine Reihe Unternehmen, die nicht nur bei Grund- und Zielvergütung absolute Zahlen nennen, sondern auch die zugrunde gelegten Performancekennziffern konkret angeben. Ein Beispiel für ein transparentes und ver- ständliches System ist etwa das der Allianz. Hier können Anleger das Vergütungssystem nachvollziehen und sich tatsächlich eine Meinung darüber bilden, ob die Struktur ausreichend anspruchsvoll ausgestaltet ist und die Zielvergütung angemessen ausfällt. Fast alle Systeme formal gesetzeskonform Insgesamt lässt sich trotz der beschrie- benen Probleme feststellen, dass die vor- gelegten Vergütungssysteme nur in sehr wenigen Ausnahmefällen nicht ARUG-II- konform erscheinen. Das wäre etwa dann der Fall, wenn die STI-Zielvergütung die Long-Term-Incentive-Zielvergütung über- steigt. Die große Mehrheit der Gesell- schaften hat nach Einschätzung der DSW die Anforderungen des ARUG II und die Empfehlungen des Kodex durchaus um- gesetzt. Das gilt sowohl für variable Vergü- tungsbestandteile, inklusive Einführung von Nachhaltigkeits- und ESG-Zielen, als auch für nachvertragliche Änderungen, also die Einführung sogenannter Malus- und Claw-back-Regelungen sowie Abfin- dungszahlungen. Unerfreulich ist es aus Sicht der DSW aller- dings, wenn die neuen Vergütungssyste- me nicht für alle Vorstandsmitglieder Anwendung finden oder im Zweifel unklar bleibt, ob und – falls ja – ab wann sowie fürwen sie genau greifen. Klarheit erst durch HV-Saison 2022 Wie gut die Emittenten ARUG II tatsächlich umgesetzt haben, wird zumindest mit Blick auf die Angemessenheit der Zielvergütung sowie auf den Einklang der Vergütung mit der nachhaltigen Unternehmensperfor- mance wohl erst im kommenden Jahr beantwortet werden können: Erst dann stehen schließlich die Vergütungsberichte, also die tatsächliche Vergütung, auf der Agenda der Unternehmen. HV MAGAZIN 02/2021