Als „historischen Schritt“ bezeichnete die FDA im August 2017 die Zulassung von Tisagenlecleucel (KymriahTM von Novartis), der ersten Gentherapie gegen bestimmte Formen der akuten lymphoblastischen Leukämie. Die Tisagenlecleucel-Therapie ist eine sogenannte „Chimeric-Antigen-Receptor-T-Zelltherapie“, kurz CAR-T-Zelltherapie. Bei diesem Ansatz werden T-Zellen genetisch dahingehend verändert, dass sie chimäre Proteinstrukturen auf der Oberfläche bilden, mit diesen – vergleichbar einem Schlüssel-Schloss-Prinzip – Zielstrukturen auf Tumorzellen binden und so die Zerstörung der Tumorzelle einleiten. Eine weitere Art der T-Zelltherapie nutzt tumorspezifische T-Zellrezeptoren, die in die T-Zellen eingeschleust werden (TCR-Gentherapie). CAR-T und TCR gehören beide zu den sogenannten adoptiven T-Zelltherapien. Von Dr. Claudia Englbrecht

 

Die T-Zelltherapien haben in der Pharma- und Biotechnologieindustrie in der letzten Zeit Goldgräberstimmung ausgelöst. So bezahlte das Unternehmen Gilead im Oktober 2017 rund 12 Mrd. USD für den CAR-T-Entwickler Kite Pharma, und im Januar dieses Jahres übernahm Celgene das Unternehmen Juno für 9 Mrd. USD, ebenfalls wegen deren CAR-T Programme. An der Entwicklung adoptiver T-Zelltherapien arbeiten auch noch weitere Unternehmen und akademische Forschungseinrichtungen. Zahlreiche klinische Studien laufen. So hat beispielsweise der Münchner Biotechpionier Medigene kürzlich mit einer kombinierten Phase-I/IIStudie für seine TCR-Immuntherapie gegen verschiedene Formen des Blutkrebses begonnen.

Komplexe Prozesse

Adoptive T-Zellen werden für jede Therapie individuell für den Patienten gestaltet. Diese T-Zelltherapien sind also im tatsächlichen Sinn des Wortes personalisiert. Die Herstellung der Zellen ist ein komplexer Prozess, an dessen Anfang die Blutent nahme beim Patienten, am Ende die Infusion der veränderten Zellen zurück in den Patienten steht. Nach der Entnahme erfolgt die Isolierung der T-Zellen aus dem Blut. Diese müssen anschließend in weiteren Schritten aktiviert, vermehrt, genetisch verändert, aufgereinigt, gefroren und verpackt werden, bevor sie zurück zum Patienten gebracht werden können. Die Zeitspanne zwischen Beginn und Ende des Prozesses, auf Englisch auch „needle-to-needle time“ oder „vein-to-vein time“ genannt, sollte so kurz wie möglich sein, um die Therapie zügig beginnen zu können.

Dr. Claudia Englbrecht, BIO Deutschland: „Es besteht die berechtigte Hoffnung, zukünftig weitere Krankheiten mittels Gentherapie heilen zu können.“ Bild: BIO Deutschland

„Upscaling“ der Zellproduktion

Mit der Zunahme der klinischen Prüfungen und dem erhofften Erfolg der adoptiven T-Zelltherapien, auch für häufigere maligne Tumorerkrankungen, wird der Bedarf für diese Therapeutika steigen. Bisher wurden nur einige hundert Patienten an wenigen klinischen Zentren behandelt. Die Herstellung der Zellen individuell für jeden Patienten in wenigen zentralen Einrichtungen mit den erforderlichen Reinraumkapazitäten hat zur Folge, dass die „vein-to-vein time“ teilweise lang ist und durch die Prozesse auch die Qualität der Zellen leiden kann. Das „Upscaling“ der Zelltherapie für größere Patientenmengen erfordert daher, Herstellungsprozesse zu verbessern, zu vereinfachen und auch an mehreren Standorten verfügbar zu machen. Bei der konventionellen Pharmaproduktion z.B. von kleinen Molekülen werden Chargengrößen verändert. Beim Upscaling der Herstellung von patienteneigenen Zellen muss für verschiedene Patienten ausreichend und reproduzierbar Material hergestellt werden. Die gesamte Prozesskette muss unter Good-Manufacturing-Practice(GMP)-Bedingungen durchgeführt werden und erfordert großes technisches Know-how.

Verfügbarkeit der Genfähren

Die genetische Veränderung der T-Zellen wird in der Regel mit viralen Vektoren durchgeführt. Die ausreichende Verfügbarkeit dieser nach GMP hergestellten Vektoren ist einer der kritischen Punkte bei der Produktion der Zellen. Durch die stark gestiegene Nachfrage haben sich hier schon Engpässe ergeben. So befasste sich die New York Times November 2017 mit dem Thema und titelte: „Gene Therapy Hits a Peculiar Roadblock: A Virus Shortage“[1]. Wie wichtig die zuverlässige Verfügbarkeit der Viren ist, zeigt der Vertrag zwischen Novartis und Oxford Biomedica vom Juli letzten Jahres.[2] Das britische Biotechnologieunternehmen liefert dem Schweizer Pharmaunternehmen virale Vektoren für ihre CAR-T-Therapien und könnte so bis zu 100 Mio. USD über drei Jahre einnehmen. Andere Entwickler etablieren ihre eigene Virenproduktion, um sich von Engpässen unabhängig zu machen.

All-in-one-Technologieplattformen

Aufgrund des steigenden Bedarfs an individuellen T-Zellen muss deren Herstellungsprozess automatisiert werden, idealerweise mit möglichst geringer menschlicher Interaktion. Auch ist es wünschenswert, die Herstellung zu dezentralisieren und somit die individuellen Therapeutika in mehreren klinischen Zentren – nah am Patienten – produzieren zu können. Die Automatisierung und Standardisierung der Herstellung der Therapeutika kann auch dazu beitragen, die noch hohen Kosten der Therapien zu senken. Die diversen Herausforderungen der Automatisierung zu meistern, hat sich das EU-geförderte Projekt CARAT (Chimeric Antigen Receptors (CARs) for Advanced Therapies) zum Ziel gesetzt.[3] Acht Partner aus Frankreich, Deutschland, Italien und dem Vereinigten Königreich wollen eine effiziente und sichere Technologieplattform für fortschrittliche Zelltherapien, für die Herstellung von CAR-T-Produkten entwickeln und so die personalisierte Behandlung von Patienten voranbringen. CARAT vereint europäische Experten für die klinische Zellherstellung (Miltenyi Biotec), CAR Design (University College London, UCL), „GeneDelivery-Technologien“ (Universitätsklinikum Freiburg und Paul-Ehrlich-Institut), für Zelldesign und -translation (Ospedale San Raffaele), für präklinische Monitoring-Technologien (Institut national de la santé et de la recherche médicale, INSERM) und logistische Prozesskontrolle (TrakCel). Der Startschuss für das Projekt fiel im Januar 2016. Rund 6 Mio. EUR stehen den Partnern für die Entwicklungsarbeiten bis Dezember 2019 zur Verfügung. Die CARAT-Technologieplattform soll es ermöglichen, CAR-T-Zellen automatisiert, sicher und kosteneffizient herzustellen. So soll der klinische Einsatz der Technologie überall in Europa möglich werden. Miltenyi Biotec, einer der deutschen Partner und wissenschaftlicher Koordinator des Projekts, ist Vorreiter bei der Automatisierung der Herstellung patienteneigener, genetisch veränderter T-Zellen. Mit der Plattform CliniMACS Prodigy bietet das Unternehmen ein einzelnes Gerät an, das Zellaufbereitung und -anreicherung, Aktivierung, Transduktion, Expansion und Aufbereitung des Endprodukts in einem leisten kann. Alle Bestandteile des Workflows werden mit angeboten, sodass der Prozess voll geschlossen ist und in einem Reinraum unbegrenzt viele Patienten mit dem System behandelt werden können. Auch das Problem mit der Standardisierung der Zellqualität ist durch den hohen Grad an Automatisierung gelöst und es kann dezentral in kleinen Einrichtungen produziert werden. Die Weiterentwicklung solcher All-in-one-Geräte wird es zukünftig ermöglichen, den wachsenden Bedarf an individuellen Zelltherapeutika zu bedienen und gleichzeitig Kosten zu senken.

Ausblick

28 Jahre nach der ersten Gentherapie am Menschen, damals zur Heilung eines schweren kombinierten Immundefekts, besteht nun berechtigte Hoffnung, zukünftig weitere Krankheiten mittels Gentherapie heilen zu können. Seit KymriahTM wurde noch das Zelltherapeutikum Yescarta (Gilead/Kite Pharma) gegen B-Zell-Lymphome zugelassen. Neben der Erforschung neuer potenter Zelltherapien ist die Weiterentwicklung der individualisierten Zellproduktionsprozesse ein wichtiger Faktor in der Zulassung und Anwendung dieser neuen Arzneimittel.

 

ZUR AUTORIN

Dr. Claudia Englbrecht verantwortet den Bereich Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation bei der Biotechnologie-Industrie-Organisation, BIO Deutschland e.V.

 

[1] Gene Therapy Hits a Peculiar Roadblock: A Virus Shortage, New York Times, 27. November 2017 http://gp-mag.de/biod1

[2] http://gp-mag.de/biod2

[3] CARAT http://carat-horizon2020.eu/

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