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Auf der 6. goetzpartners COMPASS-Veranstaltung am Freitag, 6. Mai, werden Zukunft und Chancen digitaler Gesundheitsökosysteme diskutiert. Aus diesem Anlass hat die Plattform Life Science ein Interview geführt mit Ulrich Kinzel, Managing Director und Head of Healthcare, goetzpartners, und Prof. Dr. Christian Burholt, Partner und Head der Healthcare & Life Sciences Industry Group von Baker McKenzie.

Plattform Life Sciences: Die Digitalisierung in der Gesundheitsbranche schreitet unvermindert voran. Aber warum brauchte es erst eine Pandemie als Innovationstreiber?

Kinzel: Covid war für die Gesundheitsindustrie in der Tat ein ganz wichtiger Katalysator in Sachen Digitalisierung. Solche Katalysatoren erleben wir regelmäßig auch in anderen Industrien, beispielsweise im Automotive-Bereich: Das erste Elektroauto wurde kurz nach dem legendären Ölpreis-Schock entwickelt. Ein zweiter Motivator war beispielsweise der Diesel-Skandal bei Volkswagen, der den Konzern in der Folge dazu veranlasst hat, künftig mehr auf elektrische Antriebe zu setzen.

Ulrich Kinzel, Managing Director und Head of Healthcare, goetzpartners.

Letztlich hat Corona allen Beteiligten noch einmal den Entwicklungsdruck im Gesundheitswesen vor Augen geführt. In der Folge haben Patienten digitale Lösungen eingefordert, etwa einen elektronischen Zugang zu Impfterminen ohne physische Arzt-Sprechstunde. Telemedizinische Software-Anbieter haben von der Pandemie enorm profitiert.

Darüber hinaus sind Investoren vermehrt auf den Sektor aufmerksam geworden und haben substantiell investiert. Allein 2021 sind 265 deutsche Medizintechnik-Start-ups finanziert worden, mehr als in jeder anderen Branche. Das ist eine wichtige Voraussetzung, dass, wenn es um Innovationen geht, auch das nötige Kapital zur Verfügung steht. Und Covid hat dazu geführt, dass sich Investoren erneut für den innovativen Gesundheitssektor interessieren.

Burholt: Wir können die Eingangsfrage vielleicht etwas präzisieren. Warum brauchte es erst in Deutschland bzw. in Europa einen Innovationstreiber? Die Wahrheit ist ja, dass die Digitalisierung der Gesundheitsbranche in anderen Ländern schon viel weiter war und ist und wir uns fragen müssen, warum wir so weit hinterherhinken. Überregulierung, insbesondere im Bereich des Datenschutzes, das immer noch verbreitete Denken in Sektoren und fehlende Refinanzierungsmöglichkeiten von Investitionen in die Digitalisierung sind Ursachen, die immer wieder genannt werden.

Prof. Dr. Christian Burholt, Partner und Head der Healthcare & Life Sciences Industry Group, Baker McKenzie

Was die Pandemie bewirkt hat ist, dass das Gesundheitswesen mit allen Stärken und Schwächen viel stärker als in „normalen“ Zeiten in den Fokus der Gesamtgesellschaft und der großen Politik geraten ist. Und endlich kommt Bewegung in lange diskutierte Fragen: Ist für jedes Anliegen ein Arzttermin nötig oder können auch telemedizinische Lösungen zum Einsatz kommen? Können Arzttermine wirklich nur per Telefon vereinbart werden oder muss es auch hier innovative Lösungen geben?

Mit der Digitalisierung sind auch regulatorische Hürden verbunden. Welche Hürden sehen sie insbesondere und warum werden diese nicht schnell genug abgebaut?

Kinzel: Das Gesundheitssystem ist vergleichbar mit einem „Multi Stakeholder“-System. Es gibt viele Interessen, die nicht immer deckungsgleich sind. Andererseits müssen in der Gesetzgebung alle Akteure und Interessensgruppen berücksichtigt werden. Aber das ist eine große Hürde. Beispiel „Elektronisches Rezept“, dieses sollte schon längst implementiert sein. Letztlich gibt es wie überall auch im Gesundheitswesen Gewinner und Verlierer. Aus Schweden wissen wir, dass mit der Einführung des E-Rezepts sehr viele Marktanteile bei den verschreibungspflichtigen Medikamenten von den niedergelassenen Apotheken auf Online-Pharmacies übergegangen sind, aktuell rund 17 Prozent. In Deutschland liegt der Marktanteil der Online-Apotheken aktuell noch bei rund 1 Prozent.

Es gibt naturgemäß bei regulatorischen Veränderungen im Gesundheitsmarkt oft bestimmte Stakeholder, die Wettbewerbsnachteile oder Zusatzaufwendungen fürchten und deswegen kein großes Interesse entwickeln, diese Innovationen zu pushen. Es ist eben auch ein Wettbewerb der Systeme und manchmal würde man sich wünschen, dass der Staat vereinzelt auch Druck hinter die einzelnen Stakeholder bringt.

Burholt: Einzelne Stakeholder oder Stakeholder-Gruppen, die Wettbewerbsnachteile fürchten und deswegen der Innovation nicht aufgeschlossen gegenüberstehen, gibt es in der Tat. Alle anderen Beteiligten wollen hingegen die Digitalisierung, und alle wollen dabei verständlicherweise auch Innovationsrenditen einfahren. Aber bevor man in den Genuss von Renditen kommt, muss man eben investieren. Und hier stellt sich die Frage: Wer nimmt das Geld in die Hand, wer refinanziert die Investitionen und wer streicht die Rendite ein? Ärzte unterstützen einerseits die Einführung von telemedizinischen Lösungen einschließlich der nötigen Infrastruktur. Gleichzeitig stellen sie aber auch zurecht die Frage nach der Refinanzierung. Natürlich kann man den einzelnen niedergelassenen Arzt verstehen, der ohne Aussicht auf einen finanziellen Return eine fünf- oder sechsstellige Investition nicht tätigen will. Hier muss notfalls der Staat eingreifen und z.B. die gesetzlichen Krankenkassen entsprechend finanziell ausstatten und verpflichten, Investitionskosten zu erstatten.

Eine weitere Beobachtung aus der Praxis:  Häufig werden regulatorische oder datenschutzrechtliche Themen nicht nur von den Stakeholdern vorgetragen, die die Innovation überhaupt nicht vorantreiben wollen. Häufig hört man diese Bedenken auch von auch Stakeholdern, die damit eigentlich sagen wollen: Wir würden es zwar grundsätzlich gerne machen, aber nicht ohne Aussicht auf eine angemessene Kostenerstattung durch die Kassen. Mittel- oder langfristige Innovationsrenditen reichen als Anreiz häufig nicht aus.“

Kinzel: Niemand möchte in Deutschland das chinesische Datenschutzrecht implementiert sehen. Aber aus Gesprächen mit Patienten und Patientenverbänden aus dem Bereich „Seltene Krankheiten“ weiß ich beispielsweise, wie viele dieser Patienten ihre genetischen Daten breit zugänglich machen würden, um damit die Erforschung von Seltenen Krankheiten zu fördern. Wir müssen die Möglichkeit schaffen, dass Patienten autonomer über die Verwendung ihrer eigenen Daten entscheiden können.

Wir haben eben durch Datenschutz auch große Nachteile, etwa bei der verzögerten Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA). Ein Beispiel aus dem Krankenhausalltag: Ist ein Notfallpatient Träger von multiresistenten Keimen, so könnte dies in der ePA verzeichnet werden. Aber ohne ePA wird dies in der Notaufnahme niemand erfahren und der Träger kommt in den OP, in dem anschließend weitere Patienten behandelt und möglicherweise von den Keimen befallen werden.

Pharma setzt also vermehrt auf Digitalisierung. Führt dies auch zu einer vermehrten Zusammenarbeit mit Unternehmen aus eher „Pharma-fremden“ Industrien?

Kinzel: Ich sehe hier einen großen Trend. Natürlich gibt es verschiedene Vehikel und Instrumente. Bayer hat beispielsweise den Bayer Leaps-Fonds gegründet und investiert als Venture-Geber Kapital in Daten und Software außerhalb der klassischen Pharma-Industrie. Das ist ein sehr gutes Vehikel, um zu Lernen und Kollaborationen zu untermauern.

Ein anderes Beispiel ist Novo Nordisk, ein dänischer Produzent und Vermarkter von pharmazeutischen Produkten und Dienstleistungen. Novo Nordisk arbeitet mit der Zur Rose Group zusammen, dem Inhaber der DocMorris-Versandapothekenkette und der TeleClinic. Hier fungiert eine Apotheken- und eHealth-Gruppe als Multiplikator für ein Pharmaunternehmen. Das erleichtert die Wahrnehmung von neuen Behandlungsoptionen bei Ärzten und Patienten. Darüber hinaus ist es möglich, Daten von Online-Apotheken aus dem Verkauf nicht-verschreibungspflichtiger Medikamente zu nutzen. Hier kann man neue Erkenntnisse über Märkte und Konsumentenverhalten sammeln, die auch für das Marketing von verschreibungspflichtigen Medikamenten wertvoll sind.

Auch Roche arbeitet etwa im Bereich Diabetes mit einigen interessanten Software-Unternehmen zusammen. Ein Beispiel ist die Kooperation mit dem Wiener App-Entwickler mySugr, um Patienten, die lebenslang ihren Blutzucker-Spiegel überwachen müssen, bessere technische Möglichkeiten zu verschaffen. Die Zusammenarbeit zwischen Pharma-Firmen mit Software-Entwicklern im Bereich Telemedizin, App-Entwicklung oder Device-Entwicklung wird weiter zunehmen.

Klinische Studien sind das „A und O“ in der Entwicklung von Wirkstoffen. Wie werden sich klinische Studien künftig verändern? Wird man in Zukunft ganz ohne menschliche Probanden auskommen?

Kinzel: Eine spannende Frage, die vielleicht noch einen Schritt früher beginnt, nämlich mit der prä-klinischen Entwicklung. Hier ist die Hamburger Firma Evotec seit mehren Jahren weltweit führend. Mit einer seiner Technologie nutzt das Unternehmen Stammzellen von Spenderpatienten. Diese Stammzellen lassen sich einzeln ausprägen in typische Gewebezellen, die man anschließend im Labor dazu benutzen kann, Medikamenten-Kandidaten in-vitro zu testen. Dieses Verfahren beschleunigt die Entwicklung von Medikamenten, es müssen anschließend weniger Patienten in die klinische Entwicklung geschickt werden, da die in-vitro-Testung im Labor damit eine Qualität von Daten generiert, die vorher nur mit der Testung im Patienten zugänglich war. Man kann damit auch schon im vor-klinischen Bereich mehr potenzielle Wirkstoffkandidaten identifizieren, daraus den besten auswählen und hat dann in der Folge weniger Versager in der eigentlichen klinischen Phase.

In der klinischen Phase selbst können wir heute viel mehr mit Biomarkern arbeiten, ergänzende Endpunkte, an denen man die Wirkung eines Kandidaten im Patienten messen kann. Diese Biomarker können z.B. molekularer Art sein oder aus der diagnostischen Bildgebung kommen. Auch damit können wir die Zahl der Patienten in der klinischen Phase verringern. Schlussendlich können wir mit Hilfe besserer und umfangreicherer „multi-omics“ Daten frühzeitig mehr Versager identifizieren und weniger Patienten in die späteren, besonders teuren klinischen Studien bringen. Das ist wichtig, denn die Patientenrekrutierung ist in der Regel der größte Verzögerungs- und Kostenfaktor in der Wirkstoffentwicklung.

Burholt: Digitale Lösungen helfen bei der hybriden oder zukünftig vielleicht auch komplett virtuellen Durchführung von klinischen Entwicklungen. Im Bereich der klinischen Studien hat die Corona-Pandemie den Weg freigemacht für den Einsatz digitaler Lösungen und hybrider und dezentraler Modelle. Hier bestehen aber noch überkommende regulatorische Hürden, die während der Pandemie nur provisorisch überwunden wurden und die Stakeholder derzeit vor einige schwierige rechtliche Fragen stellen. Trotzdem wird dieser Innovationsschub im Bereich der hybriden und dezentralen klinischen Studien die Pandemie überdauern. Persönlich glaube ich aber nicht, dass klinische Studien einmal komplett ohne Patienten durchgeführt werden können.

Medizinprodukteunternehmen gelten als Vorreiter der Digitalisierung. Was können klassische Pharmaunternehmen von ihnen lernen?

Kinzel: Was Pharmaunternehmen als erstes lernen können ist, dass man mit Digitalisierung auch viel Shareholder Value schaffen kann. Ein gutes Beispiel ist das US-Unternehmen Intuitive Surgical, ein Spezialist für roboterassistierte Chirurgie. Das Unternehmen hat quasi nur ein Produkt, einen Operationsroboter. Heute hat Intuitive Surgical eine höhere Marktkapitalisierung als die Bayer AG. Mit anderen Worten: Man kann mit modernen Technologien und Digitalisierung enorm viel Geld verdienen.

Was die Medizintechnik ebenfalls auszeichnet ist die enge Zusammenarbeit mit den Anwendern im Hospitalbereich. Hier sind die Spezialisten zum Teil im Operationssaal anwesend um festzustellen, wie die neuen Systeme eingesetzt werden. Oft sind die forschenden Pharmaunternehmen aus meiner Sicht noch zu weit weg von den Ärzten und Medizinern in den Krankenhäusern. Das hat aber auch regulatorische Gründe, in wie weit und in welcher Form Kommunikation überhaupt stattfinden darf.

Schauen wir auf die Krankenkassen: Wie sind diese auf die zunehmende Digitalisierung eingestellt?

Burholt: Ich sehe die Krankenkassen in einem gewissen Dilemma. Wie eingangs erwähnt, bedeutet Digitalisierung, dass man zunächst Geld in die Hand nehmen muss, was einem dann im laufenden Haushalt fehlt. Hier kann Corona durchaus auch ein Innovationshemmer sein, weil die Pandemie viel Geld gekostet hat. Dieses Geld fehlt nun, um neue Innovationen anzustoßen. Es kann also durchaus sein, dass z.B. Krankenhäuser neue digitale Produkte einsetzen möchten, nur lässt es die duale Krankenhausfinanzierung durch die Länder und die Kassen derzeit nicht zu, solche in der Anschaffung teuren Produkte zu kaufen.

Entscheidend ist  die Frage, wie neue digitale Produkte in der dualen Krankenhausfinanzierung abgebildet werden können. Welche Investitionsmittel stehen zur Verfügung? Oder können neue Produkte über DRG-Fallpauschalen abgerechnet und so refinanziert werden? Eigentlich müsste die Digitalisierung im Interesse der Krankenkassen sein, weil diese ihre Kosten mittel- und langfristig senkt. Aber auch ihnen stehen die Mittel derzeit nicht unbegrenzt zur Verfügung, um diese Innovationen anzuschieben. Wir müssen raus aus diesem „Teufelskreis“ und die Lösung ist aus meiner Sicht, dass der Staat Geld in das System gibt, um im Krankenhaus und in anderen Bereichen Anschubfinanzierungen für digitale Lösungen zu ermöglichen.

Kinzel: Ein weiteres Beispiel sind die Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGAs), die einen hohen Mehrwert haben, beispielsweise bei neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen sowie weiteren Indikationen. Hier monieren die Krankenkassen zu Recht die Einführung einer Innovation mit der staatlich gewollten Einwilligung, dass die DiGA-Entwickler über einen Zeitraum von einem Jahr ihre Leistungen ohne Nutzennachweis erstattet bekommen.

Wie kann Datenpooling zu einer Verbesserung von Therapieergebnissen führen?

Kinzel: Ein gutes Beispiel ist die Behandlung von Krebserkrankungen. Eine solche Erkrankung ist wie eine Art Schachspiel, bei der der Krebs auf der einen Seite sitzt und versucht, das Immunsystem des Menschen Zug um Zug schach-matt zu setzen. Das bedeutet, dass Dank vielfältigerer und besserer Behandlungsoptionen Krebserkrankungen heute besser in Schach gehalten werden können und oft einen langen Krankheitsverlauf haben, der mit vielen Daten begleitet werden müsste. Es gibt einerseits sehr gute Imaging-Systeme und auch eine Fülle weiterführender analytischer Methoden. Man kann inzwischen auf molekularer Ebene die Entwicklung des Tumors bildhaft machen und sehen, wie das Immunsystem des Patienten auf einen bestimmten Tumor reagiert. Diese Fülle von Daten muss aus verschiedenen multi-omics Quellen kommen und in möglichst hoher Qualität vorliegen. Es gibt inzwischen eine Reihe von sehr guten Laboren, etwa das Münchener Leukämielabor (MLL), das mit einer Vielzahl von Methoden Blutkrebs diagnostiziert oder das Hamburger Unternehmen Indivumed, welches Gewebeproben für große Krankenhäuser auswertet.

Mit Datenpooling und längeren Daten-Zeitreihen können wir gerade Patienten mit chronischen Erkrankungen oder mit akuten Erkrankungen, die einen chronischen Verlauf nehmen, wie etwa Krebs bei einer guten Behandlung, besser begleiten. Es gibt einfach immer mehr und immer bessere diagnostische Quellen, die Behandlungs-relevant sind. Das ist ja auch Teil der Personalisierten Medizin, dass man für einzelne Patientengruppen immer speziellere Therapien oder Kombinations-Therapien entwickelt.

Entscheidend ist nicht nur die Digitalisierung selbst, sondern auch die Nutzung und Vernetzung von Daten aus unterschiedlichen Quellen. Wie funktioniert die Verzahnung von modernen Ecosystems mit bestehenden Strukturen?

Kinzel: Der erste Schritt ist oft, dass man die Daten in ein strukturiertes, einheitliches Format bringt. Nehmen wir als Beispiel die radiologische Befundung. Diese fließt einerseits in die Therapieentscheidungen für den einzelnen Patienten ein. Andererseits möchte aber ein Krankenhaus beispielsweise den Outcome bei 95 ähnlichen Hüftbrüchen feststellen, von denen zwölf genagelt und der Rest konservativ behandelt wurde. Hier ist ein Pooling bei unstrukturierten Daten schlecht möglich, etwa um einen Behandlungserfolg und Zeitverläufe zu messen. Die größte Herausforderung bleibt also die Strukturierung der Daten von Anfang an. Hier gibt es Unternehmen wie Mint Medical, heute ein Teil der Brainlab AG, oder Smart Reporting, die sich bemühen, dieses Problem zu lösen. Ein weiteres Problem sind die unterschiedlichen Formate der Abspeicherung.

Schauen wir uns das Ecosystem insgesamt an, ist es wichtig zu sehen, dass die Daten an vielen verschiedenen Stellen erhoben werden. Für die Vernetzung könnte die ePA eine wichtige Rolle spielen. Hier müssen wir alle an einem Strang ziehen, vor allem die Krankenkassen müssen hier aktiver werden. Die Techniker Krankenkasse (TK) beispielsweise ist hier bereits gut aufgestellt. Es gibt in Deutschland derzeit 380.000 Patienten, die bereits in einer ePA erfasst sind, davon sind 260.000 bei der TK versichert. Die ePA wird eines der wichtigsten Bindeglieder im Ecosystem zwischen Labors, Röntgenkliniken, allgemeinen und Fachärzten sowie Krankenhäusern werden.

Burholt: Es ist völlig unstreitig, dass wir Datenpooling und Ecosysteme brauchen werden und wir werden die Systeme auch bekommen. Die Frage ist nur: Wo? In den USA, in Asien oder auch in Europa? Es wichtig, dass wir rechtliche Rahmenbedingungen schaffen, die es für Unternehmen interessant machen, in die entsprechende Systeme zu investieren, die Rechtssicherheit schaffen und einen Return-on-investment garantieren. Schaffen wir es also, dass Investoren ihr Geld auch bei uns in Deutschland und Europa anlegen? Da sind andere Regionen derzeit weiter.

Kinzel: Am meisten wird Datenpooling derzeit finanziert von der Pharmaindustrie in den USA, die diese Daten für die Medikamentenentwicklung einsetzt. Dieser zum Teil sehr teure Dateneinkauf treibt die Innovation im Datenpooling maßgeblich voran. Firmen wie Flatiron Health sammeln umfangreiche Patientendaten und verkaufen sie dann an die Pharmaindustrie. Spreche ich aber mit in Deutschland tätigen Pharmafirmen, dann höre ich oft: „Wir hätten gerne mehr Patientendaten aus Deutschland für die lokale klinische Entwicklung oder zur Klärung regulatorischer Fragen.“ Aber in Europa können Patientendaten nur sehr eingeschränkt gesammelt werden.

Und wo wird die Digitalisierung an ihre Grenzen stoßen?

Kinzel: Der Mensch muss immer im Vordergrund stehen, das darf nie vergessen werden, egal ob es um Effizienz im Gesundheitswesen oder um neue Medikamente geht. Wir müssen die Menschen mit auf die Reise nehmen und im Moment sind die Patienten besonders interessiert, moderne digitale Möglichkeiten zu nutzen.

Burholt: Wir sehen aktuell, vor allem in der jüngeren Bevölkerung, dass gerne mit Gesundheits-Apps gearbeitet wird. Einzelne Routine-Untersuchungen werden in Zukunft standardmäßig telemedizinisch durchgeführt werden können. Trotzdem werden und müssen persönliche Arzt-Patienten-Kontakte möglich bleiben. Es wird immer Anlässe geben, die man mit Mitteln der Telemedizin nicht bewältigen kann.

Herr Kinzel, Herr Burholt, ich danke Ihnen herzlich für dieses sehr interessante Gespräch!

Das Interview führte Holger Garbs.

Autor/Autorin

Holger Garbs ist seit 2008 als Redakteur für die GoingPublic Media AG tätig. Er schreibt für die Plattform Life Sciences und die Unternehmeredition.