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Während die weltweiten Aktienmärkte weiterhin unter Druck stehen, stabilisiert sich das Handelsvolumen der Wiener Börse im dritten Quartal auf Vorkrisenniveau. Der Anleihenlistingplatz gewinnt zahlreiche internationale Kunden und trotzt dem verhaltenen Emissionsumfeld. Das neue ESG-Bond-Segment schafft mehr Transparenz nach internationalen Standards. Zu den ersten Neuzugängen zählte im Mai die grüne österreichische Staatsanleihe.

Der Russland-Ukraine-Krieg, geopolitische Unsicherheit sowie die Zinsentscheidungen der Notenbanken ließen die Anleger nervös werden – die ersten neun Monate zeigten eine hohe Handelsaktivität an der Wiener Börse. Der Austrian Traded Index (ATX) verlor seit Jahresbeginn rund 30%, der ATX Total Return knapp 28%. Letzterer ist ein Performanceindex, bei dem die Dividenden eingerechnet werden, während der ATX die reine Kursentwicklung ohne Ausschüttungen darstellt.

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Krisenstimmung abgeflaut

Nach einem sehr starken, von Volatilität geprägten ersten Halbjahr pendelten sich die Aktienumsätze im dritten Quartal mit 15,5 Mrd. EUR auf Vorkrisenniveau ein. Insgesamt liegt der Aktienumsatz im bisherigen Jahresverlauf 2022 mit 58,3 Mrd. EUR um 6% über dem Vorjahr – ein Zehnjahreshoch. Rund 80% dieser Umsätze stammen von internationalen Handelshäusern. Durchschnittlich wurden im dritten Quartal an einem Handelstag in Wien rund 235 Mio. EUR umgesetzt. Die drei stärksten Tage in den ersten neun Monaten waren der 31. Mai mit 1,12 Mrd. EUR, der 28. Februar mit 911 Mio. EUR und der 18. März mit 870 Mio. EUR.

Abb 1.: ATX, 01.04.2017 – 01.10.2022 (6 Jahre, 1 Monat). Quelle: stock3

Hohe Umsätze mit Blue Chips

Die fünf höchsten Aktienumsätze im ATX nach neun Monaten erzielten Erste Group Bank AG (10,21 Mrd. EUR), OMV AG (7,94 Mrd. EUR), VERBUND AG (5,96 Mrd. EUR), Raiffeisen Bank International AG (5,40 Mrd. EUR) und voestalpine AG (4,18 Mrd. EUR). Im prime market trotzten vier Unternehmen dem diesjährigen weltweiten Abwärtstrend: Im Jahresverlauf liegen Schoeller-Bleckmann Oilfield Equipment AG (+45,07%), Flughafen Wien AG (+24,25%), STRABAG SE (+5,32%) und S IMMO AG (+4,37%) im Plus. Die Marktkapitalisierung aller österreichischen, in Wien notierten Unternehmen (Stichtag: 30. September 2022) betrug 104,88 Mrd. EUR.

Stabile Geschäftsmodelle mit Innovationsprojekten

„Österreichische börsennotierte Unternehmen überzeugen mit hoher Managementqualität“, freut sich Börsenchef Christoph Boschan. „Sie haben stabile Geschäftsmodelle bei gleichzeitig starken Forschungs- und Entwicklungsausgaben für Innovationsprojekte, die ihre Marktstellung und damit auch Dividenden für die Zukunft absichern.“ Die Anleger sollten deshalb ihren Fokus weniger auf das Tagesgeschehen, sondern mehr auf die langfristige Unternehmens- und Marktentwicklung richten. „So schläft man nicht nur besser, es ist auch der einzige Weg, von den langfristig realen Renditen über der Inflation zu profitieren“, ist Boschan überzeugt.

IPOs in der Warteschleife

Wie werden sich die Neuemissionen in diesem und im nächsten Jahr entwickeln? „Die Unternehmen sind hier im Driving Seat und entscheiden, wann für sie der richtige Zeitpunkt ist“, weiß Boschan. Neuemissionen sind stark von zahlreichen Faktoren abhängig, etwa von der Marktlage. Unabhängig davon sind die Vorbereitungen für einen Börsengang wichtig. „Wir stehen mit den Unternehmen in laufendem Austausch und beraten auch mit Events in Präsenz oder virtuell“, so Boschan. „Aktuell blicken wir zuversichtlich auf das nächste halbe Jahr.“

Abb 2.: Wiener Börse: anhaltend starke Handelsaktivität. Quelle: Wiener Börse AG, Stand: 30. September 2022

Hohes Level bei neuen Anleihen

In einem schwierigen Emissionsmarkt hat die Wiener Börse auch eine hohe Zahl an neuen Anleihenlistings erreicht. Diese Notierungen gingen nur leicht zurück, nämlich auf 4.803 von 5.116 im Vorjahreszeitraum. Sie stammen vor allem von internationalen Geldinstituten wie Development Bank of Kazhakhstan, der polnischen mBank SA oder Europcar UK. Der österreichische Handelsplatz konnte sich als einer der Top-Listing-Plätze in Europa behaupten und die Zahl neuer internationaler Kunden um ein Drittel steigern.

Neue Plattform für ESG-Bonds

Schon seit 2018 gibt es an der Wiener Börse eine Plattform für nachhaltige Anleihen. Diese erhielt einen neuen Anstrich – unter dem Namen „Vienna ESG Segment“ wurden die Kriterien verschärft (siehe Interview mit Matthias Szabo, Director Debt Listings der Wiener Börse AG, auf S. 12). In den ersten neun Monaten 2022 gab es an der Wiener Börse weitere Neuerungen. „Allen voran im Handel, wo ein neues Market-Making-Modell die Handelsqualität und die Attraktivität des Marktplatzes steigert“, erläutert Boschan. „Mit Optiver konnten wir auf der Handelsseite einen sehr prominenten Kunden gewinnen.“

Stärkung der öffentlichen Kapitalmärkte

Die europäischen Gesellschaften befinden sich in einer Phase der Transformation. „Erfolgreiches Unternehmertum ist ein Anker für unseren Standort“, sagt Boschan. „Klimawandel und die alternde Gesellschaft rufen nach Innovation, europäische Visionäre suchen Kapital für die Umsetzung ihrer Zukunftsprojekte.“ Dafür müsse unbedingt privates Kapital aktiviert werden. Damit Europa nicht ins Hintertreffen gerät und global mitmischen kann, sei es notwendig, die öffentlichen Kapitalmärkte zu stärken. „Als Unternehmen macht sich die Wiener Börse mit laufenden Neuerungen zukunftsfit. Als Nationalbörse ist sie die ideale Plattform, um heimische Emittenten mit internationalen Marktteilnehmern zu vernetzen.“

Börsenwissen für Schüler

Wer über Wissen und aktuelle Informationen verfügt, kann besser am Wirtschaftssystem teilnehmen und zwischen Investition und Spekulation unterscheiden. Die Wiener Börse setzt sich deshalb schon seit Jahren dafür ein, das Wissen um Kapitalmarkt und Aktien populär zu machen. Auf deren Initiative erarbeitete 2022 ein Experten- und Lehrerteam neues Unterrichtsmaterial für die Sekundarstufe I (Unterstufe). Kostenfrei und ohne Anmeldebarriere sind die Unterlagen jetzt digital oder gedruckt erhältlich.

Fazit

Trotz vieler Krisen und schwieriger Marktbedingungen ist die Wiener Börse 2022 auf ihrem Erfolgsweg weiter vorangekommen. Den Herausforderungen der nächsten Jahre – Ukrainekrieg, Energieverteuerung, hohe Inflation, Klimawandel und Digitalisierung – stellt sich der Finanzplatz Österreich optimistisch und tatkräftig. Um diese Probleme in den Griff zu bekommen, ist es für die europäischen Staaten notwendig, mit attraktiven Finanzprodukten privates Kapital zu mobilisieren. Davon wird – neben Unternehmen sowie Sparern und institutionellen Anlegern – auch die Wiener Börse profitieren.

www.wienerborse.at

Autor/Autorin

Thomas Müncher

Thomas Müncher ist Wirtschafts- und Finanzjournalist und freier Autor beim GoingPublic Magazin.