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Investor Relations-Manager müssen heute wie „eierlegende Wollmilchsäue“ sein, findet DIRK-Geschäftsführer Kay Bommer – ein Gespräch über gute und schlechte IR-Kommunikation, Widersprüche und Synergien zwischen Nachhaltigkeit und Profitstreben und die Anforderungen einer „grünen“ Erbengeneration an die Kapitalmärkte.

GoingPublic: Der DIRK richtet in Kürze in Frankfurt die erste physische Investor Relations-Konferenz aus nach fast drei Jahren Pandemiepause. Noch dazu ist es ein kleines Jubiläum. Was bedeutet das für Sie persönlich und für die Branche?

Kay Bommer: Ich freue mich tatsächlich sehr. Die DIRK-Konferenz ist für mich immer schon ein Highlight gewesen. Für unser Team liegt der Hauptteil der Arbeit natürlich an dem Tag, an dem es losgeht, schon hinter uns; die Vorbereitungen beginnen ja etwa ein Jahr davor. Momentan überwiegt schon die Vorfreude, ein positiv-angespanntes Kribbeln, zumal wir ob der rein virtuellen Konferenz 2021 und des pandemiebedingten Ausfalls 2020 dieses Mal mehr als 400 Teilnehmer erwarten dürfen.

Wie viele haben sich bei der virtuellen Konferenz im vergangenen Jahr eingeloggt?

Bommer: Tatsächlich hatten wir 2021 per Videoschalte rund 700 Teilnehmer, aber die Formate virtuell und in Präsenz kann man nicht vergleichen. Wir hatten viele positive Rückmeldungen, auch im vergangenen Jahr. Dennoch freuen sich viele Gäste diesmal auf den persönlichen Austausch. Es kommen auch viele österreichische und einige Schweizer Kollegen.

Innerhalb der Branche kennt man sich; für viele andere, die nicht regelmäßig mit Wertpapieren zu tun haben, ist das Kommunikationsfeld für Investoren doch immer noch eine Nischenbranche. Bei Kapitalmarktkritikern wird Investor Relations nicht selten als „Werbung für die Aktie“ abgetan. Was erwidern Sie auf solche Kritik?

Lesen Sie hier das Interview mit Kay Bommer über das geplante Gesetz zur virtuellen Hauptversammlung.

Bommer: Wer so argumentiert, ist in etwa im Jahr 1999 auf der Zeitschiene steckengeblieben. Damals war der deutsche Aktienmarkt gerade erst für Privatanleger interessant geworden, bekannte Schauspieler wie Manfred Krug warben für die T-Aktie und in Marktsegmenten wie dem Neuen Markt stand der Wettbewerb ums Kapital im Vordergrund. Weltweit gingen damals bis zu 75 Unternehmen pro Tag an die Börse. Klar, dass es dabei auch marktschreierische Töne gab, das Stichwort hieß dann Aktienmarketing.

Kay Bommer (Rechtsanwalt, MBA) ist – mit einer Unterbrechung von 2011 bis 2012 – seit 2001 Geschäftsführer des DIRK – Deutscher Investor Relations Verband. Zudem ist er im Aufsichtsrat innovativer Aktiengesellschaften vertreten und nimmt Lehraufträge für Kapitalmarktrecht und Unternehmenskommunikation an renommierten Universitäten wahr.

Das ging ja teilweise so weit, dass neue Kennzahlen erfunden wurden, um die Aktien anzupreisen, wenn tradierte Bewertungen wie das Kurs-Gewinn-Verhältnis oder Cashflowrechnungen nicht zur Story passten.

Bommer: Ja, das gab es, und nach zwei Jahren Börsenhype zu Beginn des Jahrtausends war alles vorbei, die Kurse fielen. Dazwischen liegen jetzt mehr als 20 Jahre und das IR-Geschäft hat sich seitdem sehr stark weiterentwickelt. Das „Overpromising“ und „Underdelivering“ von damals funktioniert doch gar nicht mehr; IR-Manager sind ein wichtiges Sprachrohr für die Unternehmen am Kapitalmarkt, aber sie sind keine Werber. Es geht heute vielmehr um eine möglichst genaue Kommunikation über ökonomisch relevante Kenngrößen und die Auswirkungen dieser auf die Branche und das eigene Unternehmen.

Das klingt abstrakt – können Sie das bitte an einem Beispiel erläutern?

Bommer: Nehmen Sie aktuell den Preis für Rohöl, der im Zuge des Ukrainekriegs auch die Benzin- und Heizölpreise stark ansteigen lässt. Hier möchten Investoren und solche, die es vielleicht noch werden wollen, genau wissen, wie und warum der hohe Ölpreis das Unternehmen X oder die Branche Y beeinflusst. Da reicht es nicht, gut reden oder verkaufen zu können – sie müssen die Zusammenhänge im Markt und im Unternehmen genau verstehen. IR-Spezialisten müssen teils sehr detailliert und transparent auch zu unsicheren Szenarien kommunizieren und stringent erklären, wo und wieso Unsicherheiten bestehen, die es dem eigenen Unternehmen eventuell nicht erlauben, ganz genaue faktische Aussagen zu treffen.

Je detaillierter es wird, desto eher müssen doch dann die Finanzvorstände Auskunft geben.

Bommer: Auch ein CFO kann nicht überall und in allen Zeitzonen gleichzeitig auf dem Laufenden sein, sondern ist doch auf die gute Vor- und Aufbereitung seiner IR-Leute angewiesen und nimmt deren Expertise meist auch dankend an. Gute IR-Manager sind heute längst fester Teil der Finanzfunktion und nicht mehr der PR-Funktion, wie das vielleicht vor 20 Jahren in Teilen noch galt.

Es gibt doch auch Unternehmen, die halten ihre IR-Abteilung auf Abstand zum Vorstand, betrachten sie als Vorhut, die ihnen lediglich die Finanzaufsicht vom Hals halten und die Insiderlisten sauber führen soll.

Bommer: Sie beschreiben die Ausnahme, nicht die Regel. Wie ich schon sagte: Gute Investor Relations ist umfassend und hat strategische Bedeutung. Gute IR-Leute kennen die relevanten Märkte, sie sind nicht Aktienverkäufer, sondern Aktienerklärer. Neben der strategischen Funktion und dem anfangs erwähnten Aktienmarketing geht es vor allem um gute und profunde Erklärungen für Zahlen und Entwicklungen des jeweiligen Unternehmens und seiner Branche, das ist die Finanzfunktion. Es geht auch um Erklärungen rechtlicher Belange und damit um eine juristische Funktion – und obendrauf kommt eben das Kommunikations-Know-how. Dazu gehört, zu antizipieren und rechtzeitig zu recherchieren und aufzubereiten, was vor allem die professionellen Marktteilnehmer, ich spreche z.B. von Fondsmanagern, Vermögensverwaltern und Analysten, gerade interessiert. Gute IR-Leute sind heute eierlegende Wollmilchsäue.

In Zeiten von Klimawandel, Krieg und Coronakrise wird es nicht leichter für börsennotierte Unternehmen, die Erwartungen der Finanzmärkte zu erfüllen. Kurskapriolen häufen sich, die Regulierung nimmt zu. Daher: Ist so ein Erwartungsmanagement ob der vielen Krisenkommunikation überhaupt noch zu erfüllen?

Bommer: Wenn Sie so eine Sondersituation haben wie die Pandemie, dann ist es natürlich schwieriger, in die Zukunft zu blicken. Das gilt auch für Krieg und Klimawandel, Themen, die ja mittel- und langfristig relevant sind. Richtig und wichtig aus Unternehmenssicht ist, dass man auch bei diesen Themen keine Salamitaktik fährt, sondern offen und transparent bleibt, auch wenn man bisweilen sagen muss, dass man nicht genau weiß, ob und wie sich eine neue Situation aktuell auf das eigene Unternehmen auswirken wird. Nehmen Sie wieder das Beispiel mit dem Ölpreis: Hier streiten sich diverse Ökonomen und Wirtschaftsweisen seit Wochen darüber, welches Szenario das realistischste ist, wie stark oder weniger stark sich ein Ölembargo oder gar ein Gaslieferstopp aus Russland auf die deutsche Wirtschaft auswirken wird. Aber auch ohne Krisen muss man konstatieren: IR wird nicht leichter, auch weil die Zyklen kürzer geworden sind.

Was genau meinen Sie damit?

Bommer: Es geht um die Berichtszyklen für die Unternehmen. Es wird ja schon länger eine Diskussion geführt, ob man überhaupt Quartalsberichte benötigt; gefährlich wird es dann, wenn Performance von handelnden Personen daran gemessen wird, wie genau sich die Zahlen in zwölf Wochen verändern – dabei sollte man doch in Leitungsfunktionen nachhaltig oder langfristig planen. In einer Umfrage hatte einmal mehr als die Hälfte aller befragten Vorstände eingeräumt, bestimmte Entscheidungen getroffen zu haben, weil diese kurzfristig wichtig waren für die Quartalsbilanz, aber langfristig eine für das Unternehmen negative Auswirkung implizierten. Diesbezüglich hilft die laufende große Debatte um das Thema Nachhaltigkeit, solche Fehlentwicklungen endgültig zu beenden.

Inwiefern?

Bommer: Wer nachhaltig wirtschaftet und dies auch gesetzlich zunehmend vorgeschrieben bekommt, der nimmt auch für den Geschäftserfolg die lange Frist wieder mehr in den Fokus. Das wirkt sich und hat sich schon auf die Vorstandsvergütung ausgewirkt. Auch hier spielte Investor Relations eine Rolle. Am Markt wollten immer mehr Investoren wissen, wie die Vergütung von Vorstandsmitgliedern zustande kommt. Und siehe da: Long Term Incentives (LTIs) und die transparente Erklärung der einzelnen LTI-Maßstäbe, nach denen heute Unternehmenslenker entlohnt werden, ist ein wichtiges Thema geworden, das die Entscheidung für oder gegen ein Investment in ein Unternehmen mittlerweile stark beeinflusst.

Das Nachhaltigkeitsthema, meist zusammengefasst unter dem Schlagwort Environment, Social and Governance (ESG), hat ja etliche Dimensionen. Die Anforderungen steigen, auch jenseits von Wachstums- und Ertragsaussichten Positives aus den Unternehmen zu berichten – am besten die baldige Klimaneutralität der eigenen Produktion. Hat dies das IR-Geschäft schwieriger gemacht?

Bommer: Ja, natürlich – das IR-Geschäft ist umfassender und anspruchsvoller geworden, auch durch das ESG-Thema und die europäische Regulierung dazu. Man muss praktisch bei allen Themen immer die Art und Weise, wie man kommuniziert, um die Nachhaltigkeit ergänzen. Die verschiedenen Aspekte dazu werden auch Thema der anstehenden DIRK-Konferenz sein.

Widersprechen sich Gewinnstreben und Nachhaltigkeitsanforderungen nicht des Öfteren?

Bommer: Nicht unbedingt. Auch hier gilt es, offen zu kommunizieren, auch wenn es Widersprüche gibt. Vieles ist ein Trade-off, zwischen jetzigem und späterem Erfolg, aber es geht ja für Unternehmen auch darum, unter veränderten ökologischen und sozialen Rahmenbedingungen noch mittel- bis langfristig auf dem Markt zu überleben; ohne nachhaltige Strategien ist das nicht zu schaffen.
Gleichzeitig gilt aber auch: Ohne ökonomische Nachhaltigkeit gibt es kein Überleben, sind auch die anderen Ziele nicht zu erreichen.

Wie sind potenzielle Widersprüche in der Kommunikation aufzulösen?

Bommer: Hier helfen Konferenzen, der Austausch über Trends, auch auf Investorenseite. Und Trends ändern sich, siehe Atomkraft: Diese bringt zwar 0% CO2, aber eben den Müll, der ewig strahlt. Oder nehmen Sie die Rüstung, exemplarisch das Unternehmen RHEINMETALL: Mit Blick auf die EU-Taxonomie ist der Konzern ein No-Go. Nun, ein paar Wochen später kann man Panzern auch Nachhaltiges abgewinnen, immerhin glaubt man, durch deren Einsatz Frieden schaffen zu können. Nächstes Jahr ist sicher wieder etwas anderes en vogue.

Kann man beim Thema Nachhaltigkeit wirklich von Moden sprechen?

Bommer: Nein, das war natürlich überspitzt formuliert. Nachhaltigkeit ist keine Mode, sie hat nur verschiedene Facetten und Ausprägungen; mal ist mehr das „E“ für die Umwelt, mal mehr das „S“ für die Sozialstandards, Stichwort Lieferkettengesetz, und mal das „G“ von ESG im Blickpunkt. Im Grunde ist das ja alles zu befürworten, allerdings drohen manche damit verbundene Vorgaben in der EU-Taxonomie zum Bürokratiemonster zu werden. Es droht ein Wettlauf ums Abhaken von zusätzlichen Berichtspflichten – das könnte absurd werden.

Auf welche Regelung spielen Sie an?

Bommer: Es soll beispielsweise berichtet werden, wie viele Minuten ein Vorstand mit seinen Kollegen über das Thema Nachhaltigkeit gesprochen hat. Das ist meines Erachtens nichts, woran man messen sollte, ob ein Unternehmen Fortschritte macht auf dem Gebiet der Nachhaltigkeit – wer viel darüber redet, aber wenig umsetzt, muss sich am Ende berechtigterweise den Vorwurf des Greenwashings anhören. Wenn Sie zudem sehen, wie viele grüne Produkte es gibt am Markt, dann könnte man auch denken, wir haben gar kein Problem mangelnder Nachhaltigkeit. Und auf der Investorenseite gibt es einen Trend, den Anlegern vorzuschreiben, wie viel sie in nachhaltige Anlagen gehen müssen; unter diesen Gesichtspunkten dürften Sie z.B. niemals in Elon-Musk-Aktien investieren. Er baut in Wasserschutzgebieten E-Auto-Fabriken, nimmt Arbeitnehmerrechte nicht so genau wie andere, twittert nachts marktrelevante Dinge. Sie merken: Das wird uferlos.

Man könnte auch sagen: Der Kapitalmarkt hat bereits einen Mechanismus, der Arbeit und Finanzmittel in die richtige Richtung lenkt – Angebot und Nachfrage.

Bommer: Ja, das ist der eine wirkungsvolle Mechanismus, der andere ist die Regulierung. Und wir haben noch eine weitere Komponente; jetzt kommt zunehmend die Erbengeneration in die Verantwortung, sie möchte „grün“ investieren und sie hat viel Geld. Das heißt auch: Wer nicht nachhaltig denkt, dem laufen die Investoren weg.

Gibt es Erfahrungen, zu welchem Grad positive Nachhaltigkeitsergebnisse gleichfalls den Börsenkurs stützen – wie positive Ertragsaussichten auch?

Bommer: Es gibt Studien, die sagen, wenn Du nachhaltig bist, bist Du auch ökonomisch erfolgreich. Es gibt aber auch Studien, die besagen das Gegenteil. Ich glaube, langfristig wird es kein Widerspruch sein, sondern Nachhaltigkeit wird eine wesentliche Erfolgsvoraussetzung. Nur im Moment gibt es einfach sehr viele verschiedene Maßstäbe – das muss sich noch finden. Auch dazu werden wir auf der DIRK-Konferenz hoffentlich spannendes Neues hören.

Welche weiteren großen IR-Themen neben der Nachhaltigkeit werden auf der die anstehenden DIRK-Konferenz noch eine Rolle spielen?

Bommer: Wie man am besten mit jungen Aktionären kommuniziert, wird ein spannendes Thema sein. Wie wir wissen, hält die Jugend von altbewährten Formaten wie Hauptversammlungen und Geschäftsberichten im klassischen Sinne nicht so viel bzw. bevorzugt andere Informationskanäle. Eine Studie der Universität Leipzig hat untersucht, wie und nach welchen Kriterien die jungen Leute wieder vermehrt in Aktien investieren. Die Ergebnisse werden wir auf der Konferenz vorstellen und dazu auch diskutieren. Auf die daraus entstehenden Strategien bin ich selbst gespannt.

Herr Bommer, besten Dank für das Gespräch und viel Erfolg mit der Konferenz.

Das Interview führte Simone Boehringer.

https://www.dirk.org/

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