Die gute Nachricht kann da nur lauten: Wenn auf den Titelblättern und in den Nachrichtensendungen der Republik so viel Platz für diese Non-Story zur Verfügung steht, dann liegen die schwersten Zeiten hinter uns. Wir müssen uns schon im Aufschwung befinden, keine Frage. Die Kreditklemme liegt hinter uns, die 100 Milliarden EUR (in Worten: Einhundertmilliarden, also einhundert Mal eintausend Millionen) Bürgschaften für die Hypo Real Estate sind so sicher wie bei der Bank von wo auch immer,  und überhaupt stehen wir vor der besten Zukunft von allen.

Und ist es nicht grandiose Werbung für ein Auto, das viele nicht geschenkt haben wollten: Seht her, es gibt Menschen, die gehen hohes Risiko ein, um den Schlitten zu klauen, weil es offenbar ein Markt dafür gibt? Mit einem Chrysler wäre das nicht passiert. So sieht innovatives Marketing aus, aber in Deutschland geben wir uns ja eher der Miesepeterei hin. Was wäre das für ein Marken-Scoop, wenn die S-Klasse bald bei Ebay auftauchen würde: Chauffeurgepflegt, gepanzert, VIP-Sonderausstattung, was ist da schon der Golf eines Kardinals dagegen?

In Schleswig-Holstein ist ein Ministerpräsident nach wie vor im Amt, der den Vorstand einer desaströs geführten Bank mit einer Prämie von 2,4 Millionen EUR von der Fahnenflucht abgehalten hat und die Öffentlichkeit darüber belügt. Und Ulla Schmidt soll wegen ein paar Tankfüllungen zurücktreten? Wenn all die Dienstwagen, die derzeit auf den Straßen Richtung Süden unterwegs sind, in heimischen Garagen stünden, wären Staus kein Thema mehr. Die private Nutzung von Dienstwagen zählt heute zur Standardvergütung – wo ist da die moralische Verwerfung? Letztlich sagt die reflexhafte Heuchelei mehr über die Kritiker aus als über die Kritiserte.

Dabei kann man zur Leistung der Bundesgesundheitsministerin jeder erdenklichen und auch grob unschmeichelhaften Meinung sein. Darum geht es hier nicht. Der Hype um die geklaute Karosse lenkt aber von ungleich wichtigeren Diskussionen ab und drängt sie in den Hintergrund. Zum Beispiel, dass die Regulierung der Finanzbranche nicht vorankommt. Oder dass dem Vernehmen nach schon wieder Millionenboni für Wertpapierhändler ausgelobt werden, mithin das Casino neueröffnet hat. Das ist das eigentliche Ärgernis, das von diesem „Skandal“ übrig blieb.

Stefan Preuß

Die GoingPublic Kolumne ist ein Service des GoingPublic Magazins, Deutschlands großem Kapitalmarktmagazin. Bezogen werden kann das Magazin unter www.goingpublic.de. GoingPublic ist allein für die Inhalte der Kolumne verantwortlich. Informationen zu einzelnen Unternehmen stellen keine Aufforderung zum Kauf bzw. Verkauf von Aktien dar. Die Kolumne erscheint wöchentlich in Zusammenarbeit mit dpa-AFX.

 

Autor/Autorin