Bildnachweis: © Blue Planet Studio_AdobeStock, © Greenbond Wiener Börse.

GoingPublic: Frau Stenitzer, das Vienna-ESG-Segment ist sehr erfolgreich gestartet. Wie ist dieses Projekt entstanden und welche Vorarbeiten waren notwendig?

Silvia Stenitzer ist Expertin für Sustainable Bonds bei der Wiener Börse AG. Sie verfasste das Regelwerk des Vienna-ESG-Segments der Börse, das die Aufnahme- und Folgepflichten für Emittenten regelt. Neben ihrem Kapitalmarkt-Know-how hat sie langjährige Erfahrung im Corporate-Finance- und Bankenbereich.

Silvia Stenitzer: Die Anfänge liegen bereits im Jahr 2018, als wir an der Wiener Börse begonnen hatten, unseren Emittenten eine Plattform für grüne Anleihen anzubieten. Aufgrund des steigenden Investoreninte­resses und ihrer Erwartungen an Transparenz und Integrität erstellten wir 2022 ein eigenes Regelwerk für ein Segment mit klaren Aufnahmekriterien und Folgepflichten: das Vienna-ESG-Segment.

Welches sehr erfolgreich ist – im August hat die Börse das Listing des 100. Green Bonds verkündet.

Ja, mit den steigenden Zinsen haben wir ­einen deutlichen Anstieg der Anzahl an ­begebenen Nachhaltigkeitsanleihen beobachtet. Bonds sind wieder attraktiv – auch für Retailinvestoren. Insgesamt wurden bereits mehr als 20 Mrd. EUR aufgenommen, die nachhaltigen Projekten zugutekommen.

An welche Sustainable Bonds richtet sich dieses spezielle Segment?

Das Segment umfasst im Wesentlichen Anleihen, deren Emissionserlös der Finanzierung oder Refinanzierung umweltfreund­licher, nach­haltiger oder sozialer Projekte dient – sogenannten Use-of-Proceeds-­Anleihen. Eine neuere Variante sind die Sustainability-linked-­­Bonds: Sie dienen der Unternehmensfinanzierung mit spezifischen Nachhaltigkeitszielen und sind an bestimmte Kennzahlen geknüpft.

Welche Anforderungen müssen diese Anleihen in puncto Transparenz, ­Qualität und Publizität erfüllen?

Das Regelwerk orientiert sich an internationalen Standards wie den Green Bond Principles der International Capital Market Asso­ciation (ICMA). Herzstück ist die zweckgebundene Verwendung des Emissionserlöses für nachhaltige Projekte mit klarem Umwelt- oder Gesellschaftsnutzen bzw. mit messbaren Nachhaltigkeitszielen. Die Projekte und Ziele müssen in Anleihebedingungen, Green Bond Framework oder anderen Dokumentationen veröffentlicht werden. Darin sind auch der Prozess der Projektauswahl, Management des Emissionserlöses und geplantes Reporting festgehalten.

Was bedeuten diese Regeln konkret für die einzelnen Bonds?

Für das Vienna-ESG-Segment haben wir ganz bewusst strenge Aufnahmekriterien gewählt. Neben der Einhaltung von Börsengesetz und Regelwerk muss unter anderem eine sogenannte Second-Party-Opinion vorgelegt werden, also die Zertifizierung durch eine dritte, unabhängige Partei. Diese beurteilt die geplante Verwendung der Erlöse und gewährleistet, dass die internationalen Standards eingehalten werden.

Wie überprüfen Sie die Einhaltung Ihrer Anforderungen?

Zu den Folgepflichten gehört ein jährliches Reporting über die Verwendung der Emissionserlöse, das bis zur vollständigen ­Zuteilung in einem Allocation-Report veröffentlicht wird. Außerdem empfehlen wir unseren Emittenten das Verfassen von ­Impact Reports, in denen sie erzielte Klima- und Umweltergebnisse darstellen – z.B., wie sich ihre CO2-Bilanz verbessert hat.

Wer sind die größten Emittenten und wie hoch sind die Volumina ihrer ESG-Bonds?

Die Republik Österreich ist der größte Emittent mit zwei grünen Bundesanleihen und einem Emissionsvolumen von insgesamt 7 Mrd. EUR. Most Frequent Issuer ist die Raiffeisen Bank International mit 20 platzierten nachhaltigen Anleihen und einem Emissionsvolumen von mehr als 1 Mrd. EUR. Daneben sehen wir Benchmark-Emissionen von Banken mit durchschnittlich 500 Mio. EUR. Heuer haben wir allerdings auch einige Corporate-Green-Bonds gelistet, z.B. den S IMMO oder UBM, die in erster Linie Privatinvestoren ansprechen sollten.

Warum ist der Finanzsektor die ­treibende Kraft hinter Green Bonds?

Der Finanzsektor wurde mit dem European Green Deal der EU durch regulatorische Maßnahmen in die Pflicht genommen, um Geld- und Kapitalströme in die Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft zu lenken. Green Bonds haben sich dabei erfolgreich als Schlüsseltool etabliert.

Wie ist Ihre Rolle als Anleihenhandelsplatz im internationalen Vergleich?

Im börsenregulierten Segment Vienna-MTF hat sich die Wiener Börse in Europa klar als Anleihelistingplatz Nummer eins eta­bliert. Allein im ersten Halbjahr 2023 kamen über 3.300 neue Listings hinzu. Das Wachstum ist weiter auf hohem Niveau.

Das Interview führte Thomas Müncher.

www.wienerborse.at

Autor/Autorin

Thomas Müncher

Thomas Müncher ist Wirtschafts- und Finanzjournalist und freier Autor beim GoingPublic Magazin.