Aufgrund des COVID-19-Gesetzes konnten Unternehmen in Zeiten der Pandemie virtuelle Hauptversammlungen auch ohne Satzungsermächtigung abhalten. Doch Corona ist nicht vorüber. Deshalb haben über 60 Vorstände börsennotierter Unternehmen Anfang September in einem Brief an Bundesjustizministerin Lambrecht gefordert, bereits jetzt die COVID19-Regelungen zur virtuellen Hauptversammlung zu verlängern.

Voraussetzungen für die Verlängerung der Regelungen

Das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19 Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht (COVID19-Gesetz), in dem die virtuelle Hauptversammlung geregelt ist, ist bis Ende 2020 befristet. Bei Andauern des Infektionsgeschehens kann es jedoch per Verordnung bis zum 31. Dezember 2021 verlängert werden. Der aktuelle Verlauf der Ansteckungen mit COVID-19 zeigt, dass man jederzeit mit einem Ansteigen der Infektionszahlen rechnen muss, solange kein Impfstoff gefunden wurde.

Die Durchführung von Präsenz-Hauptversammlungen wird insofern mit hoher Wahrscheinlichkeit auch im Jahr 2021 nicht möglich sein. Vorstände von 64 börsennotierten Unternehmen haben sich deshalb in einem Brief an Bundesjustizministerin Lambrecht gewandt. Sie repräsentieren zusammen eine Marktkapitalisierung von mehr als 87% der deutschen börsennotierten Unternehmen und plädieren für eine frühzeitige Entscheidung über die Verlängerung der Regelungen zur virtuellen Hauptversammlung. Da Unternehmen mit abweichenden Geschäftsjahren bereits Anfang 2021 ihre Hauptversammlungen abhalten müssen, ist bei der Entscheidung Eile geboten.

Verordnungsentwurf des Bundesjustizministeriums

Das Bundesjustizministerium hat reagiert und jüngst einen Verordnungsentwurf zur Verlängerung der Regelungen zur virtuellen Hauptversammlung vorgelegt. Es betont in dem Entwurf die Bedeutung der Planungssicherheit, die dadurch gewonnen wird. Das schnelle Handeln des Ministeriums ist sehr zu begrüßen. Allerdings enthält die Begründung Ausführungen, die zu Missverständnissen führen können. So heißt es in dem Verordnungsentwurf, sofern die konkrete Pandemiesituation dies zuließe, können und sollten auch wieder Präsenzversammlungen abgehalten werden.

Die Entscheidung über das Format der Hauptversammlung erfolgt jedoch zeitlich weit vor der Hauptversammlung. Eine kurzfristige Änderung des Formats ist nicht möglich. Es wird jedoch der Eindruck erweckt, als ob der Vorstand dies könne, wenn das konkrete Pandemiegeschehen dies zum Zeitpunkt der Hauptversammlung zuließe.

Auch wenn diese Ausführungen keine rechtliche Bindung haben, werden so falsche Erwartungen bei den Aktionären geweckt. Dies sollte auf jeden Fall vermieden werden.

Zeitnahes Inkrafttreten der Verordnung erforderlich

Unternehmen, die gesetzlich zur Durchführung von Hauptversammlungen verpflichtet sind, werden bis zur Entscheidung über eine Verlängerung der Ausnahmeregelung gezwungen sein, sich auf alle Eventualitäten vorzubereiten. Sie müssen eine physische Hauptversammlung planen und eine virtuelle als Rückfalloption vorbereiten. Dies ist mit einem ganz erheblichen Kosten- und Ressourcenaufwand verbunden.

Die Kosten für eine Präsenz-Hauptversammlung liegen im hohen sechs- bis siebenstelligen Bereich. Für die nächste Hauptversammlungssaison müssten in den kommenden Wochen verbindlich Veranstaltungshallen angemietet werden, obwohl derzeit nicht davon auszugehen ist, dass im kommenden Jahr Großveranstaltungen durchgeführt werden dürfen.

Gute Akzeptanz der virtuellen Hauptversammlungen durch die Aktionäre

Virtuelle Hauptversammlungen waren für die allermeisten Unternehmen 2020 ein Novum. Im Jahr 2021 können die Unternehmen auf den Erfahrungen mit dem neuen Format aufbauen. Schon im Laufe der Hauptversammlungssaison 2020 wurden neue Wege eingeschlagen, um virtuelle Hauptversammlungen attraktiver und aktionärsfreundlicher zu gestalten. So wurden beispielsweise Statements von Aktionärsvertretern eingespielt.

Klar ist aber auch, dass virtuelle Hauptversammlungen jetzt weitere Investitionen in Onlinesysteme erfordern, wenn diese möglichst aktionärsfreundlich und rechtssicher ausgestaltet werden sollen. Je früher deshalb das Bundesjustizministerium die Verlängerung beschließt, desto mehr Möglichkeiten und Ressourcen haben die Unternehmen, um ihre Onlinesysteme zu verbessern.

Kritik der Aktionäre und Lösungsansätze

Dass die virtuelle Hauptversammlung nach dem COVID-19-Gesetz zu gewissen Einschränkungen der Aktionärsrechte geführt hat, ist nicht zu bestreiten. Bedingt durch die Geschwindigkeit, mit der das Gesetz beschlossen werden musste, und das rechtliche wie auch technische Neuland, auf dem man sich bewegte, ließen sich nicht alle Aktionärsrechte eins zu eins in das virtuelle Format übertragen. Beispielsweise mussten Fragen vorab eingereicht und konnten in der Regel nicht während der Hauptversammlung gestellt werden.

Trotzdem lässt sich feststellen, dass die virtuelle Hauptversammlung von der überwiegenden Mehrheit der Aktionäre gut angenommen wurde. Die zum Teil sehr hohe Anzahl vorab eingereichter Fragen belegt die aktive Mitwirkung der Aktionäre. Nach 23 Jahren erreichte die Präsenz des Grundkapitals der DAX30-Unternehmen sogar einen Höchststand und liegt nun bei fast 70%

Die Nutzung des verkürzten Fristenregimes hat bei der Einberufung der Hauptversammlung teilweise zu Kritik geführt, weil es wohl zu Problemen im Einladungsprozess bei Inhaberaktiengesellschaften gekommen ist. Die Einführung des verkürzten Einladungsregimes war aber dem Umstand geschuldet, dass das COVID-19-Gesetz mitten in der HV-Saison 2020 erlassen wurde. Es hat sich jedoch gezeigt, dass das verkürzte Fristenregime hauptsächlich in der Anfangszeit zur Anwendung gekommen ist.

Die geforderte direkte Kommunikation zwischen Aktionären und Vorstand während einer virtuellen Hauptversammlung ist technisch, aber auch rechtlich komplex. Lösungen dafür müssen spätestens in einem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren zur Hauptversammlung der Zukunft gefunden werden.

Fazit

Angesichts der anhaltenden Pandemie hat das Bundesjustizministerium mit dem Verordnungsentwurf zur Verlängerung der Regeln zur virtuellen Hauptversammlung einen großen Schritt in die richtige Richtung getan. Um den Unternehmen Planungssicherheit zu geben, muss die Verordnung jetzt zeitnah in Kraft treten.

Die virtuelle Hauptversammlung hat sich grundsätzlich bewährt. Sie wird mittel- bis langfristig die Partizipation inländischer und ausländischer Aktionäre deutlich steigern. Anleger, die beispielsweise aus zeitlichen Gründen oder aufgrund der Entfernung zum Versammlungsort normalerweise nicht teilnehmen, werden mit diesem Format besser eingebunden.

Je früher das Ministerium die Verordnung erlässt, desto mehr Möglichkeiten und Ressourcen haben die Unternehmen, die virtuelle Hauptversammlung möglichst aktionärsfreundlich auszugestalten.

Dieser Artikel ist eine Vorabveröffentlichung. Dieser und viele weitere spannende Beiträge erscheinen am 10.Oktober in unserem HV-Magazin