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Neben dem Dauerbrenner „virtuelle Hauptversammlung“ haben es insbesondere die Neuerungen im österreichischen Übernahmerecht sowie die – aus einigen aktuellen Gerichtsentscheidungen gewonnenen – Erkenntnisse zum Ob und Wann der Ad-hoc-Publizitätspflicht in das kapitalmarktrechtliche Update geschafft.

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Die virtuelle Hauptversammlung (HV) ist in ihrem dritten Bestandsjahr in Österreich – jedenfalls aus der juristischen Diskussion – kaum (mehr) wegzudenken. Während im ersten Jahr der Pandemie das Format der virtuellen HV, und mit ihm das betretene juristische Neuland, zu ausgiebigen Debatten unter Juristen und anderen Kapitalmarktinteressierten führte, ebbte die rechtliche Diskussion im zweiten Jahr ein wenig ab, um im dritten Jahr wieder etwas aufzuleben.

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Was war geschehen? Nach wiederholter Verlängerung der legistischen Bestimmungen zur virtuellen HV fanden im Jahr 2022 die Zusammenkünfte der Aktionäre börsennotierter Gesellschaften teils physisch, teils virtuell und in einem Fall auch hybrid statt. Mit dem vermeintlichen Abflauen der Pandemie wurde dann die Frage, inwieweit rein virtuelle HVs noch notwendig seien, auch in den Hauptversammlungen selbst teils heftig diskutiert. Es drängt sich somit die Frage auf, was von der virtuellen HV in Österreich nach fast drei Jahren Pandemie bleiben wird.

Während in Deutschland im Juli 2022 das virtuelle Format von Hauptversammlungen in § 118a dAktG dauerhaft etabliert und von der befristeten Coronagesetzgebung losgelöst wurde, ist in Österreich bisher lediglich anzunehmen, dass es nicht zu einer kompletten Rückkehr zum Status quo ante kommen wird. Das öffentlich wahrnehmbare legistische Geschehen beschränkt sich derzeit allerdings auf einen parlamentarischen Initiativantrag der Regierungsparteien, der auf eine neuerliche Verlängerung der COVID-19-Gesetzgebung zu virtuellen Versammlungen bis 30. Juni 2023 gerichtet ist. Es bleibt daher abzuwarten, welche Elemente der virtuellen HV schließlich ihren Eingang ins Dauerrecht finden werden. Für ausreichend Diskussionsbedarf (und wahrscheinlich einen neuerlichen Podiumsplatz) im Jahr 2023 ist jedenfalls gesorgt.

Übernahmerecht

Nach Jahren legistischer Zurückhaltung stand in Österreich im Jahr 2022 die Novelle des Übernahmegesetzes (ÜbG), des Pendants zum deutschen WpÜG, auf der Tagesordnung. Die Übernahmegesetz-Novelle 2022 (in Kraft seit 1. Juli 2022) hat zum Ziel, einerseits einen europarechtskonformen Instanzenzug zu schaffen (nunmehr Rekurs an das OLG Wien gegen Entscheidungen der Übernahmekommission) und andererseits die „Creeping-in-Bestimmungen“ zu modernisieren.

Während der erste Teil der Novelle wohl hauptsächlich Feinspitze des Europa- sowie des Verfahrensrechts in Verzückung versetzt, erscheint die Modernisierung der Creeping-in-Bestimmungen als etwas „leichtere Kost“, auch für sonstige Kapitalmarktteilnehmer von Interesse.

Unter „Creeping-in“ wird der weitere Ausbau einer bereits kontrollierenden Beteiligung verstanden. Nach der grundsätzlichen Konzeption des ÜbG soll ein schleichender Kontrollausbau im Bereich zwischen 30% und 50% an einer börsennotierten AG ohne Angebot an alle Aktionäre verhindert werden. Die Übernahmegesetz-Novelle 2022 entschärft nun diese Angebotspflicht, indem sie einerseits den relevanten Schwellenwert des Beteiligungsausbaus von 2% auf 3% erhöht und andererseits auf einen Beobachtungszeitraum von einem Kalenderjahr abstellt, in dem zuvor erfolgte Veräußerungen zu berücksichtigen sind (bisher: 2% innerhalb eines revolvierenden Zwölf-Monats-Zeitraums).

Zudem wurden zwei Tatbestände vorgesehen, bei denen statt einer Angebotspflicht nunmehr lediglich eine Anzeigepflicht an die Übernahmekommission besteht. Dies gilt einerseits dann, wenn der kontrollierende Aktionär bereits über eine Mehrheitsbeteiligung verfügte, diese dann aber bloß vorübergehend unterschritten hat, ohne dadurch die Kontrolle über die Gesellschaft zu verlieren (Beispiel: Eine Beteiligung von 51% wird kurzzeitig auf 47% verringert und dann wieder auf 51% erhöht). Andererseits soll ein Creeping-in im Bereich unterhalb der Mehrheitsbeteiligung grundsätzlich nur einmal eine Angebotspflicht auslösen: Hat etwa der kontrollierende Aktionär bereits ein Creeping-in-Angebot wegen eines Beteiligungsausbaus von 30% auf 35% innerhalb eines Kalenderjahres gestellt, so wird er bei einer weiteren Erhöhung seiner Beteiligung in jährlichen 5%-Schritten (also auf 40% und 45%) zunächst nicht neuerlich angebotspflichtig (bei Überschreitung der 50%-Schwelle muss allerdings wieder ein Angebot gestellt werden).

Ad-hoc-Publizität

Schließlich bewegt auch das Thema Ad-hoc-Publizität in regelmäßigen Abständen den österreichischen Kapitalmarkt. So stellen sich für Emittenten vielfach, insbesondere bei gestreckten Sachverhalten wie M&A-Transaktionen, schwierige Abwägungsfragen, die in Hinblick auf die Verpflichtung zur unverzüglichen Veröffentlichung von Insiderinformationen oftmals ebenso unverzüglich beantwortet werden müssen.

Kurz zur Rekapitulation: Bei einer Insiderinformation i.S.d. Art. 7 der Marktmissbrauchsverordnung (MAR) handelt es sich um eine nicht öffentlich bekannte präzise Information, die direkt oder indirekt einen oder mehrere Emittenten oder ein oder mehrere Finanzinstrumente betrifft und die, wenn sie öffentlich bekannt würde, geeignet wäre, den Kurs dieser Finanzinstrumente oder den Kurs damit verbundener derivativer Finanzinstrumente erheblich zu beeinflussen (Kursrelevanz).

Während die verwendeten Formulierungen auf den ersten Blick weitgehend einleuchtend erscheinen, können dem Rechtsanwender gerade der Begriff der präzisen Information und das Tatbestandsmerkmal der Kursrelevanz einiges an Kopfzerbrechen bereiten. So ist etwa eine Information nur dann präzise, wenn sie u.a. geeignet ist, einen Schluss auf den Kurs von Finanzinstrumenten zuzulassen. Wir sprechen hier von der Kursspezifität.

Mit Dankbarkeit studieren Juristen daher Entscheidungen der österreichischen Gerichte zu diesem Themenbereich, insbesondere wenn sie mehr Klarheit in diese nicht einfache Rechtsmaterie bringen. So lässt sich aus einigen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts etwa ableiten, dass reine Vorbereitungshandlungen zu Beginn einer Transaktion (wie Diskussionen, Überlegungen, Machbarkeitsstudien, Prüfungen oder Meinungen) mangels Kursspezifität in aller Regel noch keine Ad-hoc-Pflicht auslösen. Stattdessen kommt es auf die „klare Absicht“ des Emittenten zur Durchführung einer Maßnahme an, die sich in der Regel wohl in einem Vorstandsbeschluss manifestieren wird. Zudem kann in Ausnahmefällen auch bereits dann eine Ad-hoc-Pflicht bestehen, wenn – unabhängig vom Vorliegen eines formellen Vorstandsbeschlusses – aufseiten des Emittenten eine „klare Absicht“ zur Durchführung einer ad-hoc-pflichtigen Maßnahme besteht, sodass insbesondere eine Umgehung der Veröffentlichungspflicht nach Art 17 MAR durch Hinauszögern eines Vorstandsbeschlusses nicht möglich ist.

Fazit

Diese im Jahr 2022 viel diskutierten Themen sind auf dem kapitalmarktrechtlichen Parkett keine völlig unbekannten. Zum Teil werden sie uns auch im Jahr 2023 in entsprechenden Diskussionen und juristischen Aufsätzen wieder begegnen und mitunter neue Argumente und Standpunkte zu Tage fördern. Gespannt sind wir insbesondere darauf, wie sich das Thema virtuelle HV im Jahr 2023 weiter entwickeln wird und welches Resümee wir nächstes Jahr zu diesem Thema werden ziehen können.

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Autor/Autorin

Dr. Clemens Hasenauer

Dr. Clemens Hasenauer (LL.M/MBA) ist Managing Partner bei CERHA HEMPEL Rechtsanwälte GmbH.