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Diesen und weitere Artikel zum Thema Hauptversammlung finden Sie in der neuen Ausgabe des HV Magazins 01-2022.

OLG Düsseldorf, Urteil vom 16.12.2021 – 6 U 87/20 – LS Invest AG

Für Hauptversammlungsbeschlüsse gilt das Mehrheitsprinzip. Eine gerichtliche ­Inhaltskontrolle findet nur in ­Ausnahmefällen statt und die Hürden sind vergleichsweise hoch. Greift hingegen ein Stimmverbot, kann dies ­unabhängig vom Beschlussinhalt ­ausschlaggebend für das Beschlussergebnis sein.

Wesentliche Rechtfertigung für die Geltung des Mehrheitsprinzips ist die Einhaltung der Verfahrensregeln für das ­Zustandekommen von Hauptversammlungsbeschlüssen. Unter diesen Verfahrensregeln bilden die Stimmverbote eine besondere Gruppe. Dabei verzichtet das Aktiengesetz bewusst auf ein allgemeines Stimmverbot, das bei jedem erdenkbaren Interessenkonflikt greift, weshalb z.B. niemand daran gehindert ist, sich selbst in den Aufsichtsrat zu wählen.

Anstelle eines allgemeinen Stimmverbots bei Interessenkollisionen definiert das Aktiengesetz konkrete Situationen, in denen typischerweise von einem Interessenkonflikt auszugehen ist. Musterbeispiele sind hier die in § 136 Abs. 1 Satz 1 AktG genannten Beschlüsse über die Entlastung und Beschlüsse über die Geltendmachung von Ansprüchen.

Analogien nur sehr eingeschränkt möglich

Aus der Gesetzessystematik wird gemein­hin gefolgert, dass die gesetzlichen ­Regeln über Stimmverbote nur sehr ­zurückhaltend erweitert oder auf vergleichbare Sachverhalte erstreckt werden dürfen. Die Praxis hat dies freilich nicht ­davon abgehalten, die Grenzen des Möglichen immer wieder neu in Frage zu stellen. So ist heute z.B. anerkannt, dass ein Stimmverbot bei Einzelentlastung von ­Organmitgliedern nicht nur in Bezug auf die Beschlussfassung zu jenem Organmitglied greift, das selbst Aktionär ist, sondern auch in Bezug auf die Beschlussfassung zu den weiteren Organmitgliedern, wenn diese an einer im Raum stehenden Pflichtverletzung mitgewirkt haben.

Entscheidung des OLG Düsseldorf

In dem durch das OLG Düsseldorf entschiedenen Fall ging es um die Frage, ob ein Stimmverbot zu Lasten des (Mehrheits-) Aktionärs auch dann gilt, wenn Anspruchsgegner der nach einem Beschluss geltend zu machenden Ansprüche (§ 147 AktG) nicht der (Mehrheits-) Aktionär selbst, sondern die handelnden Organmitglieder sind. Dabei bestand die Besonderheit des Falles darin, dass die behauptete Pflichtverletzung der Organmitglieder im Abschluss eines für die Gesellschaft ungünstigen Vertrages mit dem (Mehrheits-) Aktionär bestand, so dass das Gericht davon ausgehen musste, dass der (Mehrheits-) Aktionär an der ­potenziellen Pflichtverletzung mitgewirkt hatte.

Das OLG Düsseldorf bestätigte die Auffassung der Vorinstanz und bejahte das ­Bestehen eines Stimmverbots des (Mehrheits-) Aktionärs. Hervorhebung verdienen dabei zwei Aspekte der Begründung:

Mittelbare Betroffenheit ausreichend

Nach Auffassung des OLG Düsseldorf soll es für die Annahme eines Stimmverbots genügen, wenn der Aktionär von der ­Beschlussfassung nur mittelbar betroffen ist. Dies sei im entschiedenen Fall insbesondere deshalb zu bejahen, weil in Bezug auf die Organmitglieder und den (Mehrheits-) Aktionär eine gemeinsame Pflichtverletzung im Raum stehe und ­eine gesamtschuldnerische Haftung gegeben wäre, wenn sich die Vorwürfe pflichtwidrigen Verhaltens bestätigen würden.

An einer gemeinsamen Pflichtverletzung soll es nach Auffassung des Gerichts nicht schon dann fehlen, wenn Organmitgliedern und dem (Mehrheits-) Aktionär bei genauer Betrachtung unterschiedliche Pflichtverletzungen zur Last gelegt werden, wie dies bei den konzernrechtlichen Haftungsregelungen für den faktischen Konzern der Fall ist. Ausreichend sei, dass die Ansprüche aus einem einheitlichen Lebenssachverhalt hergeleitet werden könnten.

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Im Urteil angesprochen, im Ergebnis aber wohl nicht entscheidend war für das ­Gericht die Tatsache, dass bereits in einer früheren Hauptversammlung die Geltendmachung von Ansprüchen gegen den (Mehrheits-) Aktionär Beschlussgegenstand war. Dieser Umstand war allerdings insoweit relevant, als dem Gericht hierdurch bereits sehr konkrete Anhaltspunkte zu den Vorwürfen vorlagen, die gegen den (Mehrheits-) Aktio­när vorgebracht wurden, was dem Gericht die Feststellung einer gemeinsamen Pflichtverletzung erleichterte.

Missbrauchskontrolle

Im Sinne einer Missbrauchskontrolle wies das OLG Düsseldorf in seiner Entscheidung darauf hin, dass es für die Annahme eines Stimmverbots des (Mehrheits-) ­Aktionärs nicht ausreiche, seine mittel­bare Betroffenheit einfach nur „ins Blaue hinein“ zu behaupten. Vielmehr müssten die mit dem Beschlussantrag behaupteten Ansprüche gegen die Organmitglieder zumindest in Betracht kommen. Dies wurde durch das OLG Düsseldorf im konkreten Fall bejaht. Die (möglichen) Ansprüche ­gegen die Organmitglieder und die (mög­lichen) Ansprüche gegen den (Mehrheits-) Aktionär könnten zudem auch nur einheitlich beurteilt werden.

Fazit

Die Frage, wann zu Lasten eines Aktionärs Stimmverbote greifen, bleibt in ­vielen Fällen eine Frage des Einzelfalls. Festzuhalten ist allerdings, dass eine nur formale Aufspaltung von Beschlussanträgen das Eingreifen von Stimmverboten meist nicht verhindern kann.

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Autor/Autorin

Dr. Thomas Zwissler

Rechtsanwalt Dr. Zwissler berät bei gesellschafts-, bank- und kapitalmarktrechtlichen Fragen sowie in allen Fragen der Unternehmensfinanzierung.

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