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Wie man Vertrauen in und für die eigene Unternehmenskommunikation schafft, welche Rolle Hierarchien spielen und wie man auf Markterwartungen in unsicheren Zeiten reagiert.

GoingPublic: Wir leben in bewegten Zeiten, operativ wie kommunikativ. Was sind typische kommunikative Fauxpas, die Ihnen in den vergangenen Monaten begegnet sind?

Regine Petzsch: Unternehmen in der Krise unterschätzen leider oftmals, wie wenig sich geheim halten lässt. Es gibt fast immer irgendwo ein Informationsleck, seien es Geschäftspartner, seien es eigene Mitarbeiter; daran ändert auch die Verteilung von Maulkörben nichts. Denken Sie nur an den Lieferdienst Gorillas: Noch bevor das Management im Mai die eigenen Mitarbeiter von der geplanten Entlassungswelle informieren konnte, stand die Nachricht online im manager magazin. Dass Mitarbeiter solche Hiobsbotschaften aus den Medien erfahren, ist mehr als ein Fauxpas, kommt aber leider immer wieder vor.

GoingPublic: Solch extreme Kommunikationspannen zu vermeiden muss sicherlich für die Chefetage jedes Unternehmens ­oberstes Gebot sein.

Regine Petzsch: Richtig, und das gilt natürlich erst recht für börsennotierte Firmen, die per se verstärkt unter öffentlicher Beobachtung stehen. Wenig zielführend finde ich es hier z.B., wenn diese kritische News, etwa eine Korrektur ihrer Prognose, in der Ad-hoc-Meldung nicht direkt adressieren, sondern diesen Anlass zunächst mit nichtssagenden Headlines verbrämen. Natürlich ist das eine unangenehme Situation für das Management, aber eine Ad-hoc-Meldung mit der Überschrift „XY hat Zahlen für das erste Halbjahr vorgelegt“ führt die Idee einer Headline ad absurdum. Als ob sich nicht ohnehin jeder denken kann, was der Anlass für die Ad-hoc ist. Gelebte Transparenz sieht anders aus, obwohl sie gerade in Krisenzeiten das A und O ist, um Vertrauen zu schaffen.

GoingPublic: Erst die Pandemie, dann Lieferengpässe und jetzt Energiekrise und Inflation, vieles auch infolge des Kriegs in der Ukraine – wie können sich Unternehmen bei der Kommunikation in dieser Gemengelage überhaupt noch gut aufstellen?

ZUR INTERVIEWPARTNERIN: Regine Petzsch ist seit 30 Jahren in der Finanzkommunikation tätig, als Unternehmenssprecherin und IR-Verantwortliche (u.a. bei Roland Berger und der NEMETSCHEK AG) ebenso wie als Vorstandsmitglied einer IR-Agentur für mittelständische Unternehmen. Seit 2012 ist sie selbstständige Unternehmensberaterin für Investor Relations und Corporate Communications und arbeitet bei größeren Mandaten mit Partneragenturen zusammen.

Regine Petzsch: Dass die Unternehmen derzeit vor enormen Herausforderungen stehen, wissen auch ihre Anleger und übrigen Stakeholder. Und in jeder Krise liegt auch eine Chance: Wer seine Situation gut erklärt, stets im Dialog mit den Zielgruppen bleibt und keine relevanten Fragen offen lässt, kann nachhaltig Vertrauen aufbauen. Allerdings ist es nicht damit getan, gebetsmühlenartig auf die schwierige geopolitische und konjunkturelle Entwicklung zu verweisen – es geht darum, die Auswirkungen auf das eigene Unternehmen nachvollziehbar zu machen und aufzuzeigen, wie man damit umgeht. Das war übrigens in der Finanzkrise 2008 nicht anders.

GoingPublic: Was raten Sie konkret Newcomern an der Börse und kleineren Unternehmen jenseits der großen Börsenbarometer? Die Kapazitäten für Kapitalmarktkommunikation sind ja hier oft eher knapp bemessen.

Regine Petzsch: Transparente Kommunikation ist keine Frage der internen Kapazitäten, sondern der Einstellung – allen voran des Vorstands selbst. Es fängt damit an, dass er die Kommunikationsverantwortlichen nicht mit formellen Sprachregelungen abspeist, sondern kritische Themen offen diskutiert. Dazu braucht es allerdings auch erfahrene Kommunikatoren, die sich als Mittler zwischen Unternehmen und Kapitalmarkt begreifen und ggf. auch mal gegenhalten.

Welche Must-haves oder To-dos sehen Sie im Fall einer Krisensituation?

Regine Petzsch: Fehler sind menschlich und passieren überall. Das Management sollte ein Problem mit Relevanz für seine Stakeholder ­offen adressieren und deutlich machen, dass es sich um eine Lösung kümmert. Das gilt auch dann, wenn noch nicht alle notwendigen Informationen vorliegen; auch das kann man ja erklären. Um eventuell ­Betroffene wie entlassene Mitarbeiter sollte es sich nachweislich kümmern und das ebenfalls kommunizieren – und dabei stets die sozialen Medien im Auge behalten. Es gilt, die Schritte aufzuzeigen, die das ­Unternehmen zur Bewältigung der Krise unternimmt. Und nach der Lösung des ­Problems sollte man aufzeigen, was man daraus gelernt hat. Das schafft Vertrauen, und das ist nun mal in jeder Krise die wichtigste Währung.

GoingPublic: Oft sind sich Unternehmen auch unsicher, ob und ab wann eine Nachricht ad-hoc-pflichtig ist? Gibt es hier eine Daumenregel, einen Rat, den Sie geben können?

Regine Petzsch: Es gibt natürlich Standardsituationen, in ­denen es absehbar zu Kursreaktionen kommt und es daher sicher eine Ad-hoc braucht. Das gilt z.B. für die bereits erwähnte Korrektur der Prognose, für Kapitalmaßnahmen, getätigte oder geplatzte Übernahmen, einen neuen Riesenauftrag – um nur einige wenige zu nennen. Aber es gibt viele Grauzonen und nicht zuletzt infolge der Marktmissbrauchsverordnung der EU ist die Thematik heute um ein Vielfaches komplexer als vor 30 Jahren, als ich erstmals IR-Verantwortung übernommen und tatsächlich gewisse Daumenregeln befolgt habe. Sonst gäbe es heute wohl auch nicht so viele­ gut beschäftigte Kapitalmarktanwälte.

Aber Worte können Kurse bewegen – in der Ad-hoc muss folglich jedes Wort sitzen …

Regine Petzsch: Natürlich, wobei es hier nicht nur um formale Korrektheit geht – sonst könnte man gleich den Anwälten das Texten überlassen, was leider nicht immer zum Wohle der Allgemeinverständlichkeit ausgeht. Wobei die Herausforderung der korrekten Wortwahl keineswegs auf Ad-hocs beschränkt ist – das betrifft z.B. auch schon mal die Guidance, also den Ausblick. Ich bin immer wieder überrascht, was für unbedachte Formulierungen ich manchmal vorgesetzt ­bekomme, die bereits im Vorstand besprochen wurden. Da wird dann beispielsweise die Prognose durch ein falsches Wort indirekt gleich wieder infrage gestellt, aber ­intern hat es keiner gemerkt. In solchen Fällen hilft der externe Blick.

GoingPublic: Last but not least: Welchen Schnaps trinken Sie, wenn die Aktien- oder ­Anleihekurse trotz aller Profikommunikation in den Keller rauschen?

Regine Petzsch: Ich brauche keinen Beruhigungsschnaps, falls Sie das meinen. Man darf sich nicht nervös machen lassen von kurzfristigen Kursbewegungen, da stecken oft Entwicklungen dahinter, auf die das Unternehmen sowieso keinen Einfluss hat. Das Management sollte sich darauf konzentrieren, den Unternehmenswert nachhaltig zu steigern und Enttäuschungen der Anleger zu vermeiden, also die Erwartungen professionell managen. Wenn das gelingt, profitiert längerfristig auch der Aktienkurs.

Frau Petzsch, eine ruhige Art in diesen bewegten Zeiten zu bewahren ist sicher eine Kunst an sich. Herzlichen Dank für diesen Einblick.

Autor/Autorin

Simone Boehringer

Simone Boehringer ist die Redaktionsleiterin "Kapitalmarktmedien" der GoingPublic Media AG.