Seit einiger Zeit besteht die Möglichkeit, auch Publikums-AGs innerhalb der EU grenz­überschreitend zu verschmelzen. Aktuell gibt es praktische Erfahrungen auch für die Konstellation, dass deutsche börsennotierte Gesellschaften auf eine ausländische (börsen­notierte) Gesellschaft verschmolzen werden. Nachfolgend geben wir einen Überblick über die wesentlichen Schritte und die entscheidenden Stellschrauben im praktischen Ablauf.

Der europäische Binnenmarkt soll stärker zusammenwachsen. Durch eine EU-weite Richtlinie besteht für Unternehmen die Möglichkeit, diesen Programmsatz wörtlich umzusetzen: (Kapital-)Gesellschaften können innerhalb der EU grenzüberschreitend miteinander verschmolzen werden. Eine gewisse Routine in den Abläufen hat sich diesbezüglich schon bei der Verschmelzung nicht notierter Gesellschaften innerhalb von Konzernen entwickelt. Inzwischen gibt es erste Erfahrungen auch mit grenzüberschreitenden Verschmelzungen, bei denen deutsche börsennotierte Aktiengesellschaften auf ausländische Gesellschaften (weg-)verschmolzen wurden und somit (jedenfalls als deutsche AG) vom Kurszettel verschwanden.

Gute Gründe für den Abschied?

Sollen innerhalb der EU mehrere Unternehmen zusammengeführt werden und handelt es sich hierbei um börsennotierte Gesellschaften, stellt sich stets die Frage, wie dies unter rechtlichen, steuerlichen und operativen Gesichtspunkten am effektivsten durchgeführt werden kann. Anwendungsfälle können Unternehmenszusammenschlüsse sein ebenso wie konzerninterne Umstrukturierungen. Entsprechende Maßnahmen sind mit – häufig sehr hohem – Einmalaufwand verbunden. Auf der Haben-Seite stehen neben einer Optimierung der operativen Organisation beispielsweise laufende Kostenvorteile etwa aus dem Wegfall eines zweiten Verwaltungsapparats oder einer zweiten Börsennotierung, Halbierung der Anzahl an Jahresabschlüssen, Eliminierung der Länder, mit deren Rechtsordnung sich der Konzern auseinander setzen muss, etc. Auch steuerliche Vorteile können zu Buche schlagen.

Dr. Thorsten Kuthe und Madeleine Zipperle
Dr. Thorsten Kuthe und Madeleine Zipperle

Wer bekommt wie viel?

Ein Umtauschverhältnis muss auch durch einen gerichtlich bestellten Prüfer bestätigt und in einem ausführlichen Bericht des Vorstands erläutert werden. Hier ergeben sich in der Praxis bereits die ersten Probleme. Es ist nämlich nicht europaweit geregelt, welche Bewertungsmethode anzuwenden ist. In Deutschland wird üblicherweise auf die Ertragswertmethode abgestellt. In den meisten anderen Ländern werden andere Verfahren genutzt, mit einem Schwerpunkt auf Discounted Cash Flow- und teilweise auch auf Multiple-Verfahren. Eine Lösung kann hier sein, mehrere Bewertungsverfahren parallel anzuwenden. Befriedigend ist das jedoch nicht, da dies den Aufwand natürlich weiter erhöht. Zumal der Aufwand ohnehin bereits dadurch erhöht ist, dass zwei verschiedene Gesellschaften in unterschiedlichen Ländern und Rechtsordnungen (getrennt) bewertet werden müssen.

Aktien oder doch lieber Bargeld?

Immer dann, wenn die übernehmende Gesellschaft nicht dem deutschen Recht unterliegt, muss den deutschen Aktionären ein Angebot unterbreitet werden, ihre Aktien gegen eine Barabfindung zu veräußern statt Anteile der ausländischen Gesellschaft anzunehmen. Dieses Recht besteht jedoch nur, falls der jeweilige Aktionär in der Hauptversammlung gegen den Verschmelzungsbeschluss Widerspruch zur Niederschrift erklärt.

Im Rahmen der Hauptversammlung kommt es bei derartigen beabsichtigten Beschlüssen zumeist zu den üblichen Auseinandersetzungen mit sogenannten Berufsklägern. Die Regelungen zur grenzüberschreitenden Verschmelzung im Umwandlungsrecht sind kurz und stellen viele Details nicht ausdrücklich klar. Dies wird dann als Angriffspunkt genutzt, um vermeintliche Fehler zu finden, teilweise schlicht nach dem Motto: Alles was so nicht ausdrücklich im Gesetz steht, kann man auch anders sehen. Ausländische Unternehmenslenker und Berater erleben hier teilweise einen regelrechten „Kulturschock“ hinsichtlich Inhalt und Stil der Debatte auf deutschen Hauptversammlungen. Aber die Erfahrung zeigt, dass selbst die fernliegendsten Aktionärs­fragen irgendwann alle vorgetragen und ausreichend abgehandelt sind.

Stolpersteine auf dem Weg ins Ausland?

Wie auch sonst bei Hauptversammlungsbeschlüssen über Strukturmaßnahmen ist – was die ersten Erfahrungen bestätigen – davon auszugehen, dass die entsprechenden Beschlüsse dennoch mit Anfechtungsklagen attackiert werden. Damit jedoch solch bedeutende Maß­nahmen nicht durch jahrelange Rechtsstreitigkeiten blockiert werden können, hilft hier (wie auch in anderen Fällen) die Einleitung eines Freigabeverfahrens. Dabei wird seitens des Gerichts innerhalb von drei Monaten entschieden, ob trotz der laufenden Anfechtungs­verfahren eine (unumkehrbare) Eintragung der Verschmelzung in das Handelsregister möglich ist.

Eine Kernfrage ist hierbei nicht selten, ob im Rahmen der Anfechtungsklagen und damit auch des Freigabeverfahrens Rügen über die Höhe der Abfindung zu berücksichtigen sind, oder ob diese (wie es bei einem rein deutschen Sachverhalt der Fall wäre) einem getrennten Spruchverfahren vorbehalten bleiben. Im grenzüberschreitenden Kontext ist dies eine Frage des Einzelfalls. Bewertungsthemen sind aus dem An­fechtungsverfahren häufig ausgenommen. Dann sind (langwierige) Auseinander­setzungen über Bewertungsfragen nicht Teil des Anfechtungs- und Freigabeverfahrens, so dass gute Chancen bestehen, mit der Umsetzung der Maßnahme zügig voranzukommen.

 Fazit

Der europäische Gesetzgeber hat mit der grenzüberschreitenden Verschmelzung eine weitere Variante für die Umstrukturierung oder Zusammenführung von Unternehmens­gruppen geschaffen. Die „Wegverschmelzung“ deutscher börsennotierter AGs hat sich 2013 erstmalig in der Praxis bewährt und kann für das ein oder andere Unternehmen gewiss eine interessante Alternative darstellen.

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