Bildnachweis: Ping198 – stock.adobe.com, Bioscience Valuation.

Plattform Life Sciences: Bitte erläutern Sie uns das Geschäftsmodell der Bioscience Valuation.

Bode-Greuel: Bioscience Valuation ist eine global engagierte Boutique-Consultingfirma. Aktuell haben wir acht fest angestellte Mitarbeiter und darüber hinaus weitere Experten, die wir zu unseren Projekten jeweils aufgabenspezifisch hinzuziehen können. Wir haben uns auf die finanzielle Bewertung von Life Science-Assets spezialisiert. Unser Team ist interdisziplinär aufgestellt und besteht aus Medizinern und Wissenschaftlern einerseits und Finanz-Experten und Gesundheitsökonomen andererseits. Einige Kollegen von uns haben früher selbst in Pharma- oder Life Science-Unternehmen gearbeitet und darüber auch profunde Erfahrungen gesammelt, wie man z. B. ein R&D Portfolio wertorientiert managed. Wir haben mittlerweile eine Markterfahrung von über 20 Jahren und haben in dieser Zeit unsere Bewertungskriterien immer weiter spezifiziert. Besonders freut uns in diesem Zusammenhang, dass unsere Methoden inzwischen auch Eingang in das Curriculum verschiedener führender Business Schools gefunden haben, in denen wir zitiert werden

Dr. Kerstin Bode-Greuel, Bioscience Valuation.
Dr. Kerstin Bode-Greuel, Bioscience Valuation.

Viele Kunden schätzen unser Corporate Partnership-Programm. Im Rahmen dieses Programms stehen wir unseren Kunden für einen fixen Jahresbeitrag für ihre Aufgaben und Fragen rund um die Bewertung ihrer Assets zur Verfügung. Weiterhin bearbeiten wir natürlich auch vorab definierte Aufträge, etwa im Rahmen von Finanzierungsrunden, Exits, Lizenz- oder M&A-Verhandlungen. Dann ist es unsere Aufgabe, die Asset-Bewertung zu erstellen, manchmal auch im Auftrag von beiden Partnern. So können wir mithelfen, dass es eine für beide Seiten akzeptable Verhandlungslösung gibt.

Wir können den Wert einzelner Entwicklungsprojekte bestimmen, aber auch den von Technologieplattformen, bis hin zu Asset-bezogenen Firmenbewertungen. Dabei setzen wir unsere Bewertungsmethoden dynamisch ein. Wir analysieren zum Beispiel den Wert bestimmter Entwicklungsszenarien sowie die damit verbundene Risikostruktur der Projekte, wodurch sich mitunter auch Ansatzpunkte für eine Wertoptimierung erkennen lassen. Schließlich hat die Risikostruktur von Projekten einen starken Einfluss auf den Wert der Projekte. Gleichzeitig stellen wir in unseren Analysen den zu erwartenden Wertanstieg in der Zukunft dar. Dieser entsteht, wenn die jeweiligen Entwicklungsmeilensteine erfolgreich abgeschlossen werden.

Es ist unser Ziel, evidenzbasiert zu arbeiten, um möglichst robuste Bewertungen zu erzielen. Wir bemühen uns, alle Annahmen mit Referenzen zu belegen. Dazu gehört beispielsweise auch die Herleitung marktkonformer Preise unter Einbeziehung pharma-ökonomischer Methoden und natürlich auch eine Analyse der Wettbewerber, die sich ebenfalls in der Entwicklung befinden.

Unsere Wissenschaftler und Mediziner helfen unseren Kunden auch, für innovative Targets geeignete medizinische Indikationen zu finden. Dazu nehmen wir eine Target-Validierung auf Basis wissenschaftlicher Literatur vor und führen dazu auch Interviews mit Wissenschaftlern. Hinzu kommen Analysen der aktuellen Behandlungsstandards in der jeweiligen Indikation, des Medical Need und der Prävalenz oder Inzidenz der jeweiligen Erkrankung. Schließlich analysieren wir auch die Herausforderung, einen klinischen Proof-of-Concept erfolgreich in die Praxis umzusetzen, auf Basis von Erfahrungswerten aus der Industrie. Dazu verfügen wir über umfangreiche Datenbanken.

Pharma-Firmen engagieren uns typischerweise, wenn sie für Bewertungsfragen nicht über die notwendigen Ressourcen verfügen oder wenn es um die Optimierung des R&D-Portfoliomanagements geht. Dabei geht es nicht nur um die Implementierung von Bewertungsmethoden, sondern auch um die Einführung von effektiven Workflows und Prozessen, um die dazu notwendigen Daten in den Fachabteilungen zu generieren und strukturiert zu verarbeiten.

Ihr Unternehmen bewertet Life Science Start-ups für Pharma-Unternehmen oder potenzielle Investoren. Welche Kriterien sind für Sie ausschlaggebend?

Im Vordergrund der Wertschöpfungsanalyse steht immer der Grad der Innovation. Was ist die Zielsetzung in der Forschung und Entwicklung? Venture Capital-Investoren sind bereit, hohe Entwicklungsrisiken zu akzeptieren, wenn sich mit innovativen Targets, Technologien und Wirkstoffen attraktive Märkte erschließen und hohe Preise erzielen lassen. Pharma-Firmen wägen genau ab, wann der richtige Zeitpunkt für einen Einstieg gekommen ist – eher früh oder nach klinischem Proof-of-Concept.

All diese Perspektiven unterstützen wir mit unseren Bewertungsmethoden. Ausgangspunkt ist unsere intrinsische „expected“ (also risiko-adjustierte) Net Present Value Analyse, soweit möglich, und die Analyse von Comparables, über die wir die Marktperspektive hineinbringen.

Einen großen Einfluss auf die Bewertung hat die Größe des kommerziellen Potenzials, aber auch das Entwicklungsrisiko und das IPR. Das sind die wichtigsten Hebel. Weniger Einfluss auf die Bewertung hat das Investment in die Entwicklung, obwohl sich die Firmen natürlich mit der Zuordnung ihres limitierten Budgets intensiv beschäftigen müssen. Wir fragen uns: Haben wir robuste Studien, die uns zuverlässige Aussagen bringen oder transferieren wir Risiken aus vorherigen Studien in die nachfolgenden? Natürlich plant man Schritt für Schritt. Aber man muss klar definieren, welches Ziel man am Ende mit der Entwicklung erreichen will und die Entwicklungsstrategie dazu festlegen.

Start-ups können ihre Erfolgsaussichten dadurch verbessern, indem sie ihre Assets mit allen zu treffenden Annahmen gut nachvollziehbar darstellen. So können sie den Wert ihrer Assets mit Argumenten untermauern und dem Vorurteil entgegenwirken, sie würden sich als Wissenschaftler mit Fragen der Wirtschaft zu wenig auskennen.

Die Erfahrung lehrt uns, dass Bewertungen nicht ‚eins-zu-eins‘ in Deal-Terms umgesetzt werden. Ein Grund ist sicherlich die Ökonomie von Angebot und Nachfrage, und dass Investoren nicht in absoluter Tiefe mit den Projekten vertraut sind. Zum Teil sehen sie aber auch Risiken, die wir nicht sehen, beispielsweise hinsichtlich der Management-Kompetenz. Ein sehr weiches Kriterium, welches für Investoren aber sehr wichtig ist.

Welche Rolle spielt dann insbesondere das Management des Start-ups?

Es ist natürlich hilfreich, wenn im Management eines Start-ups nicht nur die Wissenschaft abgebildet ist, sondern auch Kompetenz und Erfahrung, die Wertschöpfung des Unternehmens voranzutreiben und gegenüber Investoren zu präsentieren.

Es gilt, eine Vision für die Firma zu entwickeln. Dabei geht es darum, die Forschungsmeilensteine in Form einer erwarteten Wertentwicklung abzubilden. Es ist sehr wichtig, verschiedene Szenarien zu entwickeln und vom Ende, also vom Exit her zu denken. Auch die verschiedenen Exit-Szenarien kann man nach finanziellen Kriterien beurteilen. Start-ups sollten sich überlegen, was sie tun müssen, um ihre Ziele zu erreichen, und welche Risiken das Erreichen der Ziele verhindern können. Und was getan werden kann, wenn definierte Ziele nicht erreicht werden.

Es kann sinnvoll sein, mögliche Risiken pro-aktiv zu lösen. In unseren Analysen haben wir beispielsweise festgestellt, dass es sehr hilfreich ist, schon früh Interviews mit den potenziellen Verschreibern eines Medikaments, mit Ärztinnen und Ärzten, zu führen, um das Risiko zu minimieren, ein kommerzielles Ziel von vornherein zu verfehlen. Und nicht erst dann, wenn man kurz vor der Zulassung steht, denn dann ist es zu spät.

Ein Management, welches sich pro-aktiv mit den Szenarien möglicher Risiken beschäftigt, demonstriert damit auch, dass es die Interessen der Investoren respektiert. Das erhöht unserer Erfahrung nach ganz wesentlich die Chance auf eine konstruktive Zusammenarbeit.

Wie bereits erwähnt, sind u.a. Pharma-Unternehmen zu Ihren Kunden. Worauf schauen diese Firmen aktuell, wenn sie sich für Start-ups interessieren?

Pharma-Firmen beschäftigen sich über zwei Wege mit Start-ups. Einerseits engagieren sich viele Firmen mit eigenen Fonds, um Innovationen zu fördern und mitzugestalten. Dadurch kommt es am Ende häufig auch zu Transaktionen, wodurch die Pharmaindustrie natürlich ihr eigenes Interesse bekundet, wenn sie sich auch als Investor betätigt. Ich halte das für eine sehr gute Entwicklung.

Der zweite Weg führt über Partnering-Konferenzen, auf denen sich Pharma-Firmen und Start-ups präsentieren und über „Speed-Dating“-Formate Kontakt zueinander aufnehmen. Die Firmen können so ausloten, welche Innovationen für ihre Strategie interessant sind oder eine gute Ergänzung für die weitere Entwicklung ihres Portfolios sein könnten.

Auch die Reformulierung bekannter Wirkstoffe, die neue therapeutische Indikationen erschließen, kann für Pharma-Firmen interessant sein. Investoren teilen dieses Interesse allerdings weniger häufig. Sie sind eher auf der Suche nach so genannten „Breakthrough-Innovations“, also der Entwicklung gänzlich neuer Wirkstoffe.

Wir empfehlen Start-ups, frühzeitig eine Business Development-Funktion zu etablieren, um so den Kontakt zu potenziellen Investoren und strategischen Partnern herzustellen. Dadurch können sie sich frühzeitig der Analyse oder auch der Kritik der Gegenseite stellen und das Feedback in der weiteren Entwicklung berücksichtigen.

Unsere Kunden unterstützen wir beispielsweise darin, ihre Assets in Kurz-Präsentationen prägnant darzustellen. Was ist für die Pharma-Firmen wirklich interessant? Häufig wird sehr ausführlich die Forschung beschrieben und im Gegenzug werden entwicklungsstrategische Fragestellungen vernachlässigt. Etwa wie man genau plant, zu einem Proof-of-Concept zu kommen oder wo genau man die Wertschöpfungsansätze seiner Innovation sieht.

Für Start-ups sind die Kommentare von Pharma-Firmen und Investoren sehr wichtig, um deren Perspektiven und Sichtweisen in ihrer Strategie zu berücksichtigen.

Wie haben sich Bewertungen bzw. Bewertungskriterien in den vergangenen Jahren der Pandemie verändert?

Wir haben nicht den Eindruck, dass sich die Bewertungskriterien durch die Pandemie verändert haben. Zudem hat sich das Covid-Geschehen eher wellenförmig abgespielt, mit zwischenzeitlichen Phasen der Beruhigung.

Der größte negative Einfluss auf Biotech-Firmen fand statt, wenn diese sich in klinischen Prüfungen befunden haben. Durch die Pandemie wurden diese Prüfungen in vielen Fällen signifikant behindert, beispielsweise weil sich viele Kliniken auf die Versorgung von Covid-Patienten konzentrieren mussten. In der Folge kam es auch zu Verzögerungen bei der Erreichung von wichtigen Meilensteinen, die aber erforderlich waren, um eine nächste Finanzierung anzustoßen.

Aus unserer Erfahrung heraus kann ich allerdings sagen, dass unsere Kunden wirtschaftlich sehr gut durch die Pandemie gekommen sind.

Biotech ist derzeit in aller Munde. Lohnt es sich mehr denn je, einen neuen VC-Fonds für Life Science-Investments aufzulegen?

Generell ja, auch wenn die Finanzierungssituation für Life Sciences und damit auch die Start-up-Kultur in Deutschland und Europa etwas weniger attraktiv ist als in den USA. Das ist ja bekannt.

Aus unserer Sicht gibt es zu wenige Fonds, die ganz früh investieren und mit in die Firmengründung gehen. Die Erfolgsaussichten der präklinischen Meilensteine, von der Erfindung der Technologie bis vor dem Eintritt in die klinische Prüfung, sind erfahrungsgemäß recht hoch, sie liegen bei bis zu 75 Prozent. Demzufolge verzeichnen Investoren, die ganz früh einsteigen, signifikante Wertzuwächse. Trotzdem liegen die genannten Erfolgschancen nicht genügend im Fokus potenzieller Investoren. Hier wünschen wir uns von Firmen mehr Engagement. Manche zeigen bereits, wie es geht, z.B. Evotec.

Darüber hinaus verzeichnen wir aktuell eine deutliche Minderung der Bewertungen im Biotechnologie-Sektor. Man kann also durchaus der Meinung sein, dass aktuell ein guter Zeitpunkt ist, um in den Sektor einzusteigen.

Wir überlegen selbst, sehr früh in Biotech-Investments einzusteigen. Das können wir aber nicht alleine. Folglich sind wir auf der Suche nach potenziellen Investoren, die bereit sind, diesen Weg mit uns zu gehen. Es ist und bleibt ein sehr spannender Sektor, in den es sich lohnt zu investieren!

Frau Bode-Greuel, haben Sie herzlichen Dank für das interessante Gespräch!

Das Interview führte Holger Garbs.

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