Professionelle Translation in der Biotechnologie

Ein Hebel für die Risikoreduzierung im Innovationsprozess?

Bildnachweis: EY.

Seit Jahren dreht sich die Diskussion der Biotechnologiebranche in Deutschland um ein zentrales Thema: das unbestritten enorme Potenzial aus der Life-Sciences-Forschung wird zu wenig in echte Innovationen und volkswirtschaftliche Wertschöpfung am Standort Deutschland umgesetzt.

 

Der Innovationsmotor „Biotech“ zeigt dabei mehrere Schwachstellen, die wir in unserer Innovationsgleichung immer wieder adressiert haben:

Da sich jedoch zumindest die letzten beiden Aspekte eher als „Mindset-“ oder gar als „Kulturhürden“ darstellen, schien deren Überwindung allenfalls durch eine Änderung der gesellschaftlichen Einstellung und somit nur über längere Zeiträume möglich; direkte Hebel – vor allem Rahmenbedingungen für bessere Finanzierungsbedingungen – konnten bisher nicht etabliert werden.

Eigenkapitalmangel vs. Allokationsungleichgewicht

Eine aktuelle Studie (EY Start-up-Barometer 2020) untermauert jedoch, dass in Deutschland kein Mangel an Eigenkapital vorliegt; allein im Jahr 2019 wurden 6,2 Mrd. EUR in deutsche Start-ups investiert – mit einem beachtlichen Jahreswachstum von 36%.

Der Blick auf die Nutznießer zeigt allerdings sofort: Vor allem die Bereiche mit hohem IT- und Digitalisierungsgrad profitieren überdurchschnittlich. Biotech muss sich mit lediglich 1,5% des Volumens begnügen. Es geht also vielmehr um ein exorbitantes Allokationsungleichgewicht, das zu hinterfragen ist.

Kapitalallokation und Risikoprofil

Ein offensichtlicher Unterschied zwischen den stark kapitalanziehenden Sektoren und Biotech besteht in den Risikoprofilen. Die inhärent großen Risiken im Biotechbereich wirken klar als Differenziator bei der Kapitalzuteilung: Produktideen unterliegen einer statistisch belegten hohen Ausfallrate – unternehmerisches Risiko erstreckt sich über lange Zeiträume und durch den hohen Kapitalbedarf ist auch das Finanzierungsrisiko sehr hoch.
Muss also die Innovationsgleichung nicht dahingehend modifiziert werden, dass sie die Risikokomponente entsprechend abbildet? Oder anders formuliert: Kann der Innovationsprozess nicht entscheidend verbessert werden, wenn an den Risikostellschrauben gedreht wird?

Stellhebel für Risikoreduzierung – professionelle Translation?

Als wichtiger Ansatzpunkt für Risikoreduzierung bietet sich ein professionelleres Vorgehen bei der Translation an, der „Übersetzung“ von Forschungsideen in kommerzielle Assets und deren Entwicklung in Richtung Markt.

In Analogie zur Chemie kann die professionell angelegte Translation wie ein Katalysator die Aktivierungsenergie (= Risikohürde) erniedrigen und den Innovationsprozess beschleunigen.
Professionelle Translation beinhaltet demnach konkret die Selektion, Evaluierung und „Maturierung“ (also das „Zur-Industrietauglichkeit-Bringen“) der besten Ideen aus der Forschung ebenso wie die professionelle Unterstützung beim Aufbau und der initialen Unternehmensentwicklung von innovativen Start-ups.

In diesem Paradigma sollte nicht nur durch Qualitätssteigerung primär das Produktrisiko reduziert werden; die besten Ideen sollten auch bessere Finanzierungschancen auf ihrem Weg haben. Vor diesem Hintergrund könnte durch eine Verringerung des unternehmerischen Risikos die Motivation für Unternehmer und die Dynamik für Neugründungen in Biotech neu entfacht werden.

Translationsinitiativen in Deutschland – Inkubatoren

Eine systematische Analyse von verschiedenen Translationseinrichtungen in Deutschland zeigt gute Ansätze und beispielhaft deren Aufstellung:

Dabei fällt sofort ins Auge: Die meisten der hier untersuchten „Inkubatoren“ setzen ihren Schwerpunkt eindeutig auf Projekte aus der akademischen Forschung mit dem „Ziel einer Start-up-Gründung oder Industriekollaboration“ als Exit.
Kommerzielle Inkubatoren für etablierte Start-ups existieren allenfalls im Umfeld von großen Pharmafirmen (z.B. Bayer, Merck), die den jungen Unternehmen meist ein professionelles Umfeld bieten. Hier besteht sicherlich Bedarf an weiteren Einrichtungen.

Die „Projektinkubatoren“ haben definierte KPIs als Grundlage:

  • Thematische Ausrichtung am Marktbedarf: meist durch enge Anbindung an Pharmaunternehmen, wo die Partner entweder die Fragestellungen vorgeben (z.B. BioMedX mit globalem Crowdsourcing nach Lösungsansätzen) oder in Kollaborationen von vorneherein an den relevanten Themen mit den industrieüblichen Maßstäben (z.B. TRON, LDC) oder auf Basis etablierter Technologieplattformen (z.B. Evotec) gearbeitet wird;
  • klar definierte Geschäftsmodelle: von Sponsorships (z.B. BioMedX) über „Fee for Service“ und Kollaborationen (z.B. TRON, LDC) zu „Service for Equity“ (z.B. Evotec Bridge, LDC);
  • Einbindung von Finanzierungsvehikeln:B. spezifisch aufgelegte Projektfinanzierungsfonds mit Möglichkeiten zur Beteiligung an späteren Start-ups.

Professionelle „Full-Service-Start-up-Inkubatoren“ befinden sich in Deutschland bisher allenfalls in Planung, wie z.B. die vorgesehene Ansiedlung des erfolgreichsten US-Inkubators – BioLabs – in Heidelberg. Dessen Vorzüge liegen in einer vollumfänglichen Betreuung von qualitätsselektionierten Start-ups mit Laborausstattung, Infrastruktur (Technik, Service, Behördengenehmigungen, Trainingsmöglichkeiten etc.) und dem Zugang zu einem globalen Netzwerk von Investoren und strategischen Partnern. Die zentrale USP: Nicht nur werden den Start-ups Risiken abgenommen, sondern ihre Kapitaleffizienz in der kritischen Initialphase wird noch dazu signifikant erhöht.

Aktive Translation durch TTOs und Investoren

Neben den etablierten Inkubatoren übernehmen zunehmend auch einige professionell aufgestellte TTOs (z.B. Ascenion, EMBLEM etc.), aber auch Frühphasen-Risikokapitalinvestoren (z.B. Kurma Partners, HTGF) und vor allem Corporate-Venture-Capital-Gesellschaften (z.B. Boehringer Ingelheim Venture Fund (BIVF)) immer mehr die Rolle des „Company Builder“. Wichtige Inhalte ihrer Aktivitäten sind u.a. das Projektmanagement für die kommerzielle Entwicklung von Forschungsideen zu wirtschaftlich brauchbaren Assets, die Projektfinanzierung sowie schließlich die professionelle Gründung von Start-ups und deren Kapitalausstattung.

Professionelle Translation zeigt Wirkung

Dass der Hebel der Translation tatsächlich in der geschilderten Weise durch Reduzierung von Risiken (Projekt-, unternehmerisches und Finanzierungsrisiko) wirkt, belegt einerseits der dokumentierte „Track Record“ dieser Einrichtungen. Die Anzahl der erfolgreich initiierten und in Ausgründungen überführten Projekte ebenso wie die Bilanz der Finanzierungsereignisse und Partnerschaften lassen sich sehen.

Wenngleich der Vergleich zu den USA noch hinkt, wo BioLabs in den letzten beiden Jahren jeweils über 10% des US-amerikanischen Frühphasen-Wagniskapitals für Start-ups in seinen Einrichtungen verbuchen konnte, so zeigen sich doch auch erste Ergebnisse in Deutschland.

Die aktuelle Statistik der Branchenfinanzierung für Biotech in Deutschland dokumentiert in insgesamt 20 Runden immerhin acht mit Beteiligung der „Company Builder“ (z.B. HTGF, EMBLEM, Evotec, BIVF). Ausgründungen wie z.B. Topas, Breakpoint Therapeutics aus Evotec, Abalos Therapeutics oder Tacalyx durch BIVF, Velabs Therapeutics durch EMBLEM und einige andere mit initialer Beteiligung von HTGF zeigen in dieselbe Richtung.

Zusammenarbeit in einem Translationsökosystem

Die beschriebenen Initiativen zur professionellen Translation tragen allesamt positiv zu einer Verbesserung der Innovationsleistung bei. Sie sollten auch nicht in Konkurrenz zueinander gesehen werden, sondern vielmehr als Stakeholder in einem Translationsökosystem, wo die unterschiedlichen Ansätze synergistisch ineinandergreifen und zu einem konstruktiven Innovationsnetzwerk beitragen.

Dieser Beitrag ist eine Vorveröffentlichung aus unserer Ausgabe „Biotechnologie“, die am 26. September erscheint.

Autor/Autorin

Dr. Siegfried Bialojan
Executive Director at Ernst & Young GmbH

Der studierte und promovierte Naturwissenschaftler und Mediziner Dr. Siegfried Bialojan ist Executive Director, Life Science Center, Mannheim, bei der EY GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft.