Bildnachweis: Foto: Indivumed.

In den letzten Jahren hat sich viel beim Hamburger Gewebeprobenspezialisten Indivumed getan. Sein Ziel – eine Individualisierung und damit Verbesserung von Krebstherapien – wird bei einem oberflächlichen Blick auf das vor fast 20 Jahren gegründete Unternehmen leicht übersehen, wenn man die Hamburger einmal in die gedankliche Schublade
einer kommerziellen Biobank gesteckt hat. Die Plattform Life Sciences sprach mit Prof. Dr. Hartmut Juhl ausführlich über die Anfänge des Unternehmens, Herausforderungen, Hamburger Besonderheiten und die nächsten Schritte.

Plattform Life Sciences: Prof. Dr. Juhl, gegründet wurde Indivumed 2002 – dann sollten wir auch einen historischen Blick werfen auf den Trigger, der Sie zum Unternehmertum getrieben hat. Was war der Auslöser?

Prof. Dr. med. Hartmut Juhl studierte Medizin in Hamburg und habilitierte 1996 in chirurgischer Onkologie. Nach einem Forschungsaufenthalt in den USA gründete er Indivumed 2002. Neben dem zwischenzeitlich veräußerten Geschäftsbereich der Liquid-Biopsy-Technologie zur Analyse der zirkulierenden Tumor-DNA in Plasmaproben (Inostics GmbH als Tochtergesellschaft der Indivumed GmbH, drei Jahre nach der Gründung an Sysmex Corp. verkauft) hat er im Frühjahr 2021 die Ausgründung der Ix Therapeutics GmbH, ein Joint Venture mit der Xlife Sciences AG, vorangetrieben.

Prof. Dr. Juhl: Vor dem Hintergrund der sich damals erst abzeichnenden Entwicklung personalisierter Krebstherapien und der damit verbundenen Herausforderungen, die Komplexität des Krebsgeschehens bei dem einzelnen Patienten zu ­entschlüsseln, war der Ausgangspunkt, Proben und Daten standardisiert in einer hohen Qualität zu sammeln, um eine ­komplexe Gewebeanalytik in vergleich­barer Form zu ermöglichen und dadurch Forschung auf einem anderen Niveau ­betreiben zu können. Der Schritt zur ­Unternehmensgründung wurde getriggert aus einem US-Aufenthalt, wo ich gesehen habe, dass dort solche Dinge einfacher sind und üblich. Das unternehmerische Gefühl ist dort einfach ausgeprägter – da habe ich etwas nach Hamburg mitgenommen. Hinzu kam der Biotechhype um die Jahrtausendwende, wo alles möglich schien – diese Blase platzte aber dann, bis wir wirklich starten konnten. Das hat uns genötigt, einen sehr soliden Businessplan aufzustellen, was sicherlich kein Schaden war. Ein weiterer wichtiger Faktor für die Gründung war die Möglichkeit einer engen Klinikkooperation als Ausgangspunkt für die Standardisierung einer Proben- und Datengewinnung, und auch weitere Personen haben eine wichtige Rolle gespielt: ein Kreis Hamburger Kaufleute, ein kleinerer VC-Fonds z.B., die BioAgency.

Hat sich der Fokus der Zielrichtung in den Jahren verändert?

Wir wollten mit unserem Ansatz die personalisierte Onkologie vorantreiben und ­haben uns dafür zuerst sehr gründlich mit der wichtigen Grundlage beschäftigt: mit den Biomaterialien, den Proben, den ­Daten daraus, die diese neuen Erkennt­nisse für neue, bessere Medi­kamente ­liefern sollten. Das war immer der Plan – und ist es heute umso mehr.

War der Digitalisierungsansatz von Anfang an dabei oder ist dieser in den letzten Jahren hinzugewachsen?

Damals gab es diese Begriffe so noch gar nicht in unserem Bereich, Daten und ­Digitalisierung. Datenbanken, wie wir sie heute haben, konnte man sich noch gar nicht in dem Maße vorstellen und wären viel zu teuer gewesen. Limitierend war noch der Kostenfaktor des Arbeitens mit Daten, ein Humangenom kostete noch eine Milliarde – heute haben wir davon Tausende in unserer Datenbank. Unser ­Fokus war zunächst, die „Rohdaten“, also tiefgefrorene Gewebeproben, standar­disiert und in großer Zahl von verschiedenen Regionen der Welt abzulegen, in der Erwartung, dass sich die technischen Analysemöglichkeiten weiterentwickeln. Die notwendigen hochempfindlichen und bezahlbaren Analysetechniken zusammen mit den Möglichkeiten der Digitalisierung durch Cloudlösungen und Datenanalytik inkl. künstlicher Intelligenz stehen uns erst seit Kurzem zur Verfügung. Hierdurch verwandeln sich nun heute unsere „Rohdaten“ zu einem unglaublichen Schatz für Erkenntnisgewinn – wie wir es uns einst erhofft hatten.

Ein Kurzporträt von Indivumed begleitend zu diesem Interview findet sich hier

Kann man Indivumed als einen Pionier im Biobanking bezeichnen?

Vermutlich ist das so, auch wenn ich mich nicht als Pionier wahrnehme, denn eigentlich war der Ansatz ja fast trivial. In der Realität hat vor allem der Prozess der Standardisierung der Probennahme gedauert, das elementare erste Glied in einer komplexen Prozesskette, an deren Ende dann erst die wertvollen Daten stehen. Diese Standardisierung auf globalem Level war und ist alles andere als trivial. Das ist mühsame Arbeit am Detail, und wenn Sie so etwas verrichten, kommt Ihnen der ­Gedanke an Pioniertaten überhaupt nicht in den Sinn. Doch als 2004 das US-amerikanische National Cancer Institute bei uns anklopfte, um sich eine „Blaupause“ abzugucken, und zu einem engen Kooperationspartner wurde, war das dann keine so ganz schlechte Referenz und entschädigte etwas für die Mühen.

Wie interagieren Sie mit den staatlichen Förderprogrammen zu Deutschen Biobanken, zu europäischen Biobankennetzwerken?

Ich sehe das aus der Warte eines Unternehmens, das sich mit dem Biobankaufbau die Umsetzung einer personalisierten Onkologie zum Ziel gesetzt hat: Wir waren anfangs dort auch eingebunden, haben uns aber zurückgezogen. Bei der Standardisierung wurde ein kleiner gemeinsamer Nenner vereinbart, der von möglichst vielen trotz oft fehlender Finanzierung umsetzbar ist, was dann aber nicht unserem wissenschaftlichen Anspruch entspricht. Es geht für die höchstmögliche Qualität der Probe hier wirklich um fundierte Details und eben nicht um Kompromisslösungen. Ich möchte aber nicht abstreiten, dass all diese Initiativen zu einer Verbesserung der Forschungsgrundlagen beitragen.

Die Finanzierung aus solchen Förderprogrammen wird ja oft für einen neuen Kühlschrank oder die Etablierung einer Untersuchungsmethode an der Klinik ­gebraucht, aber es muss auch das Personal da sein und geschult werden, und dann auch nachhaltig. Und nach meinen Erfahrungen funktioniert dies in der Privatwirtschaft besser, weil mit dem eigenen Qualitätsanspruch eben auch das Geschäftsmodell steht oder fällt. Da können wir keine Abstriche bei der Qualität hinnehmen.

Kommen wir nun zum inhaltlichen Kern von Indivumed, der Onkologie. Was können Sie nun mit Ihrer Wissensdatenbank für die Krebstherapie der Zukunft bewirken?

Wir versuchen, die Tumorbiologie in ihrer Komplexität zu verstehen – und wir sind diesem Ziel sehr nahe. Wir haben uns nun 18 Jahre mit diesen Grundlagen beschäftigt. Proben im gleichen Format, mit der gleichen Qualität, zehn Minuten nach der Entnahme tiefgefroren – weltweit. Mit den technischen Möglichkeiten einer umfassenden Gewebeanalytik und den heutigen Möglichkeiten bei der Digitalisierung können wir jetzt den entscheidenden Schritt gehen. Dank der Verfügbarkeit von Cloudlösungen können wir mit diesen Daten nun auch arbeiten. Unsere Advanced Analytics, die KI- und ML-Tools beschleunigen dabei ungemein, und innerhalb von nur einem Jahr intensiver Arbeit sehen wir Zusammenhänge, die niemand sonst sehen kann – das einzige Limit ist die Personal­ressource, das alles auszulesen.

Wie kommt man damit zu neuen Therapeutika?

Wir vergleichen unterschiedliche Tumor­arten/-proben, betrachten das „Whole ­Genome“ des Tumorgewebes zusammen mit sämtlichen Omics-Daten, dazu Image­analysen, vergleichen die Daten mit dem Normalgewebe desselben Patienten und können durch die Integration verschiedener biologischer Datensätze Dinge erkennen, z.B. „Pan-cancer-Muster“, zu denen niemand sonst Zugang hat. Warum? Weil niemand das Ausgangsmaterial der Probe in dieser Menge und in der gleichen Qualität hat. Unsere Gründlichkeit macht sich nun einfach bezahlt und der Schritt zur ­eigenen Therapieentwicklung ist evident und logisch. Natürlich wollen Pharma­firmen diese Daten haben, gerne für einen Freundschaftspreis. Wir haben uns nun zumindest für die ersten Schritte mit ­einem Finanzinvestor verbunden, der speziell an einer Entwicklung therapeutischer Antikörper interessiert ist. Durch Zusammenarbeit mit einem Unternehmen, das eine besondere Antikörpertechnologie hat, wollen wir in kurzer Zeit schon erste Kandidaten präsentieren.

Später werden wir Pharma in den klinischen Studien einbinden. Auch die schon länger bestehende Kooperation mit Evotec, die den Wert unserer Daten sofort und früh erkannt hat, fußt ja darauf, dass wir wesentlich dazu beitragen können, Targets zu identifizieren, die bei dem Drug­screening erfolgreich sind. Mittelfristig werden wir die Targetvalidierung sicher auch mehr unter eigener Kontrolle durchführen.

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