Bildnachweis: Plattform Life Sciences.

Die Plattform Life Sciences führte eine Gesprächsrunde mit den wichtigen Vertretern dieser neuen Entwicklungen in der Rhein-Neckar-Region. Unter dem Fokusthema „Translation“ haben sich dazu hybrid getroffen: Dr. Julia Schaft (BioRN), Dr. Christian Tidona (BioMed X), Dr. Johannes Frühauf (BioLabs, LabCentral), Dr. Siegfried Bialojan (ehemaliger EY-Experte Life Sciences), Dr. Thomas Hanke (Evotec), Dr. Friedrich Reinhard (Evotec; „Expert in Residence“ beLAB2122 in Heidelberg).

 

Plattform Life Sciences: Was hat sich in Heidelberg in den letzten Jahren verändert, dass genau jetzt die richtige Zeit ist für eine „konzertierte Aktion“ in Sachen Translation?

Tidona: Seit den 1980er-Jahren hat sich am Wissenschaftsstandort eine Quadratmeile der Life Sciences im Neuenheimer Feld entwickelt. Diese Dichte und Qualität in den Lebenswissenschaften, speziell der Biomedizin, gibt es in ganz Europa an keinem anderen Standort. Der wichtige Impuls für eine professionellere Translation war sicher der BioRegio-Wettbewerb im Jahr 1995. Beim Spitzencluster-Wettbewerb 2008 ging es dann eher darum, eine fokussierte Strategie zu verfolgen und stärker die Akademie mit der Wirtschaft zu vernetzen. Wir haben dabei ein Orchester der Translation mit zahlreichen verschiedenen Instrumenten aufgebaut – und nun spielen auch alle das gleiche Stück.

Schaft: Ja, sicher kommen die Grundlagen aus BioRegio- und Spitzencluster-Wettbewerb. Aber auch in den vergangenen Jahren haben wir wichtige Veränderungen gehabt, und das vor allem im Mindset, insbesondere in der Wissenschaft, gerade auch durch die Exzellenzinitiative, die eine Translation dieser Spitzenwissenschaft zwingend fordert. Dem kann man sich nun gar nicht mehr verschließen. Es ist also in den Köpfen etwas passiert.

Bialojan: Man muss das so klar festhalten: Vor fünf Jahren wäre das hier noch nicht möglich gewesen. Da waren die TTOs durchaus noch der Auffassung, mit jedem neuen Akteur träte eine neue Konkurrenz an. Jetzt hat man erkannt, wie sich die Dinge auch ergänzen können, und das liegt auch einfach an Personen. Mit Dr. Rainer Wessel als Chief Innovation Manager am DKFZ haben wir diese Einzelkämpfermentalität überwinden können.

Hanke: Ich kann diesen Mindset hier nur bestätigen. Evotec ist ja vor Jahren mit einer BRIDGE in Oxford gestartet. Ein hervorragender Wissenschaftsstandort, aber auch die Protagonisten vor Ort waren begeistert vom Evotec-Modell, von den Möglichkeiten für die Translation, die wir damit in die Wissenschaft bringen. Dort haben wir derzeit über 30 Projekte laufen und erste Start-ups entstehen. Aber die Basis von allem ist die exzellente Grundlagenforschung, die Vernetzung des „Entrepreneurial Ecosystem“, die Zusammenarbeit mit Biotech und Pharma – das ist eine Kopfsache und hängt von Personen ab, denen klar sein muss, dass nur so die Innovationen zum Patienten kommen.

Kann es nun nicht passieren, dass sich andere Pharmapartner ausgeschlossen fühlen?

Frühauf: Im Gegenteil! Auch wir selbst sind ja nur ein Teil des Ökosystems. Wir pflügen nun den Innovationsacker und bringen damit Dinge an die Oberfläche, die andere dann erst aufgreifen können. Ein Selbstläufer ist das wirklich nicht, weil man immer wieder pflügen, säen und ackern muss – und dann auch mal ernten kann. Jetzt haben wir schon 80 Interessenten für das BioLab und hatten gerade vor zwei Tagen erst die Grundsteinlegung! Es wird hier etwas passieren, und die Investoren werden das doch dann auch sehen – und natürlich kommen und Zugänge erhalten. Eher bringen wir vielleicht sogar auch etwas neuen Wettbewerb in die etwas eingefahrene Investorenlandschaft in Deutschland, die bisher eher die Konditionen bestimmen konnte. Wenn jetzt noch einige robuste externe VCs dazukommen, kann sich das ändern. In Boston ist es ja genau andersherum: Der „Stargründer“ kann shoppen gehen bei den VCs und selbst die Terms diktieren.

Tidona: BioMed X war ja die erste Brücke hier zur Pharmalandschaft, die nun einmal in unserer Region heimisch ist. Das Erfolgsrezept ist, dass wir die Erfolgswahrscheinlichkeit der Projekte durch eine konsequente Verknüpfung der Stärken akademischer und industrieller Forschung erhöhen. Sieben von acht der bisher abgeschlossenen Projekte bei BioMed X sind anschließend an Pharma verkauft worden. Und die gleichen Pharmafirmen sind nun auch bei BioLabs an Bord.

Wie schafft man einen international sichtbaren Hotspot?

Tidona: Wichtig ist eine kritische Masse an Talent im Vergleich zum internationalen Wettbewerb.

Frühauf: Absolut. Deutschland ist immer noch sehr nach innen gewandt im Wettbewerb der föderalen Länder und Städte untereinander – es geht aber global um den Wettbewerb der Köpfe, und zwar ausschließlich. Dazu muss hier auch eine Willkommenskultur aus allen Poren der Verantwortlichen strömen, wie ich es glücklicherweise bei der Grundsteinlegung erlebt habe.

Tidona: Das geht auch ganz konkret: BioMed X hat in den vergangenen acht Jahren über 100 Familien internationaler Top-Talente aktiv hierher umgesiedelt. Nachdem deren Projekt abgeschlossen ist, suchen sie wieder einen neuen Job in unserer Region, sei es in Pharma, Akademie oder in einem Start-up. Heidelberg muss so in die Köpfe der Menschen, dass die besten Absolventen der Welt ihre kreativsten Jahre an unserem Standort verbringen wollen. Das ist eigentlich das einzige Ziel, das ein lokaler Standort heute im globalen Wettbewerb haben sollte – die kreativsten Köpfe, die Besten der Besten (zumindest für eine Weile) zu beherbergen. Und zu so einem attraktiven Standort gehören Start-ups und die passende Infrastruktur. Das ist nun mit dem Start der BioLabs in Heidelberg gelungen.

Schaft: Das ist auch eines unserer wesentlichen Ziele, dass wir diese internationale Sichtbarkeit erhöhen wollen – unter anderem, weil uns derzeit noch das große Interesse der Investoren etwas abgeht, die wir aber nun mit unserer gelebten Innovationsgemeinschaft auch ganz anders abholen können.

Frühauf: Es ist wirklich wichtig, die rein deutsche Perspektive zu verlassen. Nicht nur, weil BioLabs mit 14 Standorten in den USA amerikanisch ist, und jetzt neu in Heidelberg. Die Zeitenwende ist jetzt doch in Corona offensichtlich geworden: Die Wissenschaft ist global nutzbar, und so muss auch die Denke sein. Je nach Projekt kann das ganz unterschiedlich aussehen, aber auf jeden Fall nicht nur deutschlandzentriert, sondern einzelne Phasen laufen aus ganz unterschiedlichen Gründen an völlig verschiedenen Orten. Durch meine US-Brille geblickt: Der deutsche Wissenschaftler kostet nur 50% von Boston – die Qualität ist aber identisch, also sollte man wohl die F&E-Phase in Deutschland durchführen. Die klinische Phase ist sowieso global, hier braucht man am ehesten die Nähe zur Zulassung und den Behörden als zentralen Ankerpunkt. Die nächste Generation muss globaler denken, von Anfang an, also bereits bei der Gründung.

Die Wissenschaft in Heidelberg – zum Gründen bereit?

Bialojan: Was immer gefehlt hat, ist schon der Mindset, weil immer das „Risiko“ einer Gründung im Vordergrund steht und dann viele vor diesem Schritt zurückschrecken. Nun haben wir drei Initiativen gebündelt, die mit ihrem Track Record eine Risikominimierung gewährleisten. Das heißt nicht, dass alles garantiert funktionieren wird – aber es besteht mehr Sicherheit für die schnellen Entscheidungen.

Hanke: Ja, Risiko und die Angst vor dem Scheitern. Die Kulturen in Deutschland und international sind schon sehr verschieden. Es hilft hierbei sehr, wenn die Teams international aufgestellt sind – dann wird die „German Angst“ ausverdünnt. Die Wissenschaftler verstehen es ja in ihrem wissenschaftlichen Setting durchaus, dass es bei den Ergebnissen um Geschwindigkeit geht. Bei den Start-ups geht es insbesondere um Beschleunigung auf der globalen Wertschöpfungskette, und diese beiden Welten verschmelzen doch allmählich etwas mehr.

Frühauf: Man muss den Erfahrungsaustausch verbessern, die Erfolgsbeispiele, „Role Models“ zur nächsten Generation bringen. Kein Wissenschaftler muss ja Unternehmer werden, ich selbst hatte das von mir auch nie angenommen oder das Unternehmertum geplant. Aber ich wurde gut gecoacht und ich bin mir sicher, dass auch in weiteren Wissenschaftlern ein Unternehmer schlummert. Für alle anderen Projekte gibt es einen globalen Pool an Know-how-Trägern.

Schaft: Daran arbeiten wir derzeit, die Angebote zum Erfahrungsaustausch in Heidelberg besser zu bündeln und zu präsentieren, dass man sich da auch durchfinden kann. Aber es ist eben auch eine Stärke der Region, dass es so viele Angebote (und offensichtlich dafür auch eine Nachfrage) gibt.

Reinhard: Aus meiner kurzen Zeit als Scout hier kann ich zumindest ein großes Interesse der Wissenschaftler vermelden und freue mich über das große Verständnis in der Technologietransferstelle. Hier kann ich auch wirklich als Mittler zwischen den Parteien in dieser offenen Partnerschaft wirken.

Was sind die nächsten Herausforderungen?

Tidona: Flächen! Das gilt vermutlich an vielen Standorten, aber in unserer Region ist es ein zentrales Thema.

Bialojan: Flächen sind ja auch eine Zeitfrage – wenn es damit nicht schnell geht und keine Planungssicherheit entsteht, kostet es Nerven wie auch Geld, und schnellere Standorte gewinnen. Hier ist die Politik dringend gefordert, den blumigen Reden über Innovation auch Taten folgen zu lassen. Es geht nicht immer um Förderprogramme, sondern um solche handfesten Infrastrukturthemen an einem Standort.

Schaft: Wir haben bereits über die Internationalität im Innovationsgeschehen gesprochen. Das gilt auch beim Investieren. Das sind internationale Geldströme, wo man Verzweigungen in Deutschland braucht und haben will. Dann muss die Politik hier auch Hürden beseitigen, dass wir im internationalen Wettbewerb harmonisch mitlaufen können.

Frühauf: Die Politik muss ja jetzt aufgewacht sein. Das muss doch die Coronalehre sein: Wir brauchen Freiräume für die Innovationen aus der Biotechnologie – und keine nationalen Sonderregeln, sondern international vergleichbare Rahmenbedingungen von Steuer über Einwanderung bis zum Arbeitsrecht. Das große Potenzial über BioNTech hinaus muss jetzt erkannt werden. Und ich habe noch ein Thema: Wie wichtig die VC-Landschaft insgesamt ist, das muss die deutsche Politik erkennen, die Gesellschaft; dass die VC-Start-up-Ökosysteme riesige Jobmaschinen sind und Wirtschaftserneuerung ermöglichen, und dazu beitragen, die Idee als „Wert“ lokal zu halten, sonst würde das ja gleich mit dem schlauen Erfinder ins gründerfreundlichere Ausland gehen. Das ist noch viel zu wenig erkannt und als eigener Motor für Erneuerung genutzt in Deutschland.

Woran will Heidelberg – oder die Region insgesamt – den Erfolg all dieser Translationsinitiativen messen lassen?

Tidona: So wie bei BioMed X gilt hier recht „einfach“: an der Anzahl der Innovationen aus der hiesigen Forschungslandschaft, die beim Patienten ankommen.

Hanke: Wir bei der BRIDGE haben das recht konkret als Ziel formuliert: In fünf Jahren wollen wir drei Start-ups hervorgebracht haben, und eines davon sollte mit einem Projekt in der klinischen Prüfung sein. Die großartige Möglichkeit für die Translationsoptimierung wird zu einer Beschleunigung beitragen und über die Region hinaus sehr attraktiv wirken.

Frühauf: Der ultimative Erfolg ist natürlich die Zulassung – aber dann ist natürlich auch die Frage: Über welchen Zeithorizont reden wir? Kurzfristiger ist aber auch die klinische Entwicklung selbst ein Erfolg, beispielsweise in der Hinsicht, wie viele Patienten in klinischen Studien involviert sind. Die Schaffung von Arbeitsplätzen ist ein Kriterium, weil dadurch Talente weiterentwickelt werden; die Steigerung der externen Finanzierung, Patente, aber auch das Wachstum von BioLabs selbst, mehr Flächen – das wären Erfolge für mich.

Schaft: Für mich steht die Weiterentwicklung der Region insgesamt als Erfolgskriterium ganz oben. Natürlich möchte ich auch gerne mehr Start-ups, mehr internationale Sichtbarkeit.

Reinhard: Ein erster Erfolg ist für mich bereits, dass wir alle gemeinsam an einem Strang ziehen, um diese Ziele zu erreichen!

Frühauf: Ganz wichtig: Wir befinden uns an einem Startpunkt, jetzt geht es erst richtig los in Heidelberg – das aber gewaltig.

Wir danken für das Gespräch!

Das Interview führte Dr. Georg Kääb.

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