Birner: Ich denke, dass Instrumente wie Crowdfinancing oder bestimmte Börsen­instrumente für die Entwicklung von Pharmaprojekten nicht sinnvoll sind. Anders mag es sich mit frühen Plattformtechnolo­gien verhalten. Man benötigt einfach zu viel Geld, wovon der einzelne aber zu wenig hat, für die Finanzierung einer Phase IIb oder Phase III, und das bei einem sehr hohen ­Risiko. Diese Anforderungen lassen sich nicht allein von Privatinvestoren abfedern.

Zudem fehlt in Deutschland insgesamt ein Börsenmarkt, der Investoren an anderer Stelle einen lukrativen Return on Investment verspricht. Dadurch entsteht eine ­Finanzierungslücke, die nur gedeckt werden kann, wenn sich strategische Investoren in einer Phase III einkaufen oder das Rechte für einzelne Länder und Regionen verkauft werden. Man müsste Deutschland positionieren als Land der höchstinnovativen Grundlagenforschung mit einer hohen ­Anwendungsbreite und als Pipeline der ­internationalen Pharmaindustrie, aber nicht als Ort der künftigen Pharmaindustrie, ­jedenfalls solange diese Finanzierungslücke nicht geschlossen ist.

Dr. Hubert Birner, TVM Life Sciences

„Es muss unser Ziel sein, Corporate Venture Capital nach Deutschland zu holen.“

 

Plattform Life Sciences: Thema Finanzierung: Inwieweit ist für die deutsche Biotechnologiebranche ein Instrument wie das Deutsche Börse Venture Network denkbar, wie es gerade für den digitalen Sektor als Lösung bei der Kapitalsuche gedacht ist?

Bialojan: Vor dem Hintergrund der fehlenden Börsenmentalität oder Anlegerkultur in Deutschland sowie des Fehlens von ausreichend Kapital für die Wirkstoffentwicklung sollte man Instrumente wie Crowdfinancing oder bestimmte Börsenplattformen zumindest nicht unterschätzen. Diese Dinge könnten über die Zeit eine gewisse Signalwirkung entfalten, auf dass langfristig ein Umdenken stattfindet.

Birner: Es muss unser Ziel sein, Corporate-Venture-Capital nach Deutschland zu holen. Es gibt in der Tat ausländische Pharma­firmehr alsmen, die vermehrt nach Deutschland ­gehen wollen und beispielsweise nicht nach Großbritannien, weil sie, abgesehen vom Brexit, hierzulande eine Innovationskraft sehen, die sie in anderen Ländern vermissen. In Corporate-Venture-Capital sehe ich ein großes Potenzial.

Zobel: Das Interesse der internationalen Pharmaindustrie an deutschen Biotech-Start-ups zeigt sich im IZB sehr positiv. ­Allein im ersten Halbjahr 2017 konnten hier 236 Mio. EUR für Finanzierungen, Koopera­tionen oder Auslizenzierungen realisiert werden.

Neben Immunic erhielt auch eine ­Rigontec in den letzten zwei Jahren knapp 30 Mio. EUR an Finanzmitteln. Die Crelux GmbH wurde 2016 vom chinesisch-amerikanischen Pharmakonzern WuxiAppTec übernommen. Auch Pieris Pharmaceuticals zum Beispiel, mittlerweile mit Sitz in Boston und im IZB in Weihenstephan bei München, hat 2017 bereits zwei große milliardenschwere Kooperationen abgeschlossen, mit dem französischen Pharmaunternehmen Servier in der Immuno-Onkologie und mit dem britisch-schwedischen Pharma­konzern AstraZeneca. Bereits 45 Mio. USD erhielt Pieris hierfür als Vorabzahlung. ­iOmix, auch in Martinsried ansässig, hat eine A-Runden-Finanzierung von 40 Mio. EUR gemeldet. Eine sehr hohe Zahl für eine Neugründung.

Spillner: Interessant ist auch das Zusammenspiel verschiedener Finanzierungsmöglichkeiten. Nicht immer muss das Kapital allein vom Investor kommen. Maßnahmen wie „Tax Credits“, etwa in Frankreich, bilden ein gutes Instrument der zusätzlichen Gegen­finanzierung. Hier werden Ausgaben für ­Forschung und Entwicklung teilweise vom Staat erstattet, was über die Jahre eine signifikante Summe ausmachen kann. Das ist auch interessant für Investoren, die wissen, für jeden Betrag, den ich in die Forschung ­investiere, gibt mir der Staat etwas zurück.

V.l.n.r.: Prof. Horst Domdey und Dr. Hubert Birner
Plattform Life Sciences: Herr Honold, wie groß schätzen Sie seitens der Politik die Chance ein, solche Vorschläge auch in die Tat umzusetzen?

Honold: Der Handlungsdruck wird immer größer. Auch der politische Wille scheint da zu sein, etwas zu bewegen, Stichwort ­„Venture-Capital-Gesetz“. Auch die Groß­industrie erkennt immer mehr die Bedeutung der Start-up-Industrie für sich selbst. Ich glaube, es wird immer mehr zum „common sense“, die Biotechnologie-Start-ups zu stärken und größere Volumina zu ermög­lichen, weil dies der gesamten Volkswirtschaft zugutekommt.

Plattform Life Sciences: Einer der klassischen deutschen Biotech-Investoren, SAP-Gründer Dietmar Hopp, hat unlängst angekündigt, sein Engagement auf diesem Gebiet auf den Prüfstand zu stellen. Wird das negative Auswirkungen auf die Szene haben?

BialojanSowohl Herr Hopp als auch die ­Gebrüder Strüngmann haben in den letzten Jahren bereits spürbar weniger investiert. Erfreulich ist, dass es trotzdem nicht zu ­einem Einbruch bei den VC-Investitionen ­gekommen ist. Im Gegenteil, wir erleben ein verstärktes Engagement der klassischen Investoren-Konsortien.

Viele Biotechs haben in den letzten Jahren ihre Geschäftsmodelle abändern müssen und sich dadurch für die Börse leider weniger attraktiv gemacht. Interessant ist aber auch die „IPO readiness“. Nur wenige Unternehmen, denen man in der Vergangenheit einen IPO-Status zuerkannt hat, waren auch tatsächlich darauf vorbereitet, weil sie sich von ihrer strukturellen Seite her sehr schmal aufgestellt hatten, häufig aus ­Sparzwang.

Ich glaube auch nicht, dass wir in Frankfurt einen entsprechenden Kapitalmarkt haben. Das Beispiel Brain überzeugt einfach durch eine eigene Story, die sich in Frankfurt gut verkaufen ließ, an der Nasdaq oder der Euronext wäre dies wahrscheinlich ­weniger der Fall gewesen.

Dr. Peter Hanns Zobel, IZB Martinsried
Dr. Peter Hanns Zobel, IZB Martinsried

 

„Mehr als 90% der Unternehmensgründungen gehen auf die universitären und außeruniversitären Forschungsinstitute in den Bereichen Biologie, Chemie, Medizin, Pharmazie zurück.“

 

Honold: Wir haben in den letzten Jahren zu wenig tatsächliche Ausrichtung auf Börsengänge gehabt. Das IPO wurde zwar gerne als potenzielle Exit-Option genannt, doch ­tatsächlich wurden die Hürden für einen Biotechbörsengang in Deutschland immer höher. In der Praxis wurde dieser von den Unternehmen und auch von Investorenseite her dann kaum noch angestrebt.

Spillner: Und diejenigen, die ein IPO tat­sächlich erwägen, schauen dann in der ­Regel gleich in die USA und suchen sich dort eine geeignete Finanzierung. Da ist der deutsche Kapitalmarkt leider gar nicht mehr auf dem Radar, weil die notwendigen Investoren nicht vorhanden sind und der Markt an sich als nicht ausreichend attraktiv und liquide wahrgenommen wird.

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