Die hybride Hauptversammlung, also die Kombination aus Präsenz- und Onlineveranstaltung, findet bislang in Deutschland und Österreich wenig Beachtung. Dabei ist sie rechtlich in beiden Ländern schon länger möglich.

Der Vorstandsvorsitzende der Raiff­eisen Bank International (RBI) in ­Österreich, Dr. Johann Strobl, ist stolz, dass sein Haus mit der hybriden Hauptversammlung vom 31. März 2022 eine Vorreiterrolle im deutschsprachigen Raum eingenommen hat: „Es zeugt von bestem Service, dass Aktionär*innen die Möglichkeit haben, sich einfach und bequem virtuell hinzuzuschalten und ihre Aktionärsrechte auszuüben. Zugleich konnten wir aber auch dem Wunsch jener Teilnehmer*innen, die es bevorzugen, persönlich zu erscheinen, entsprechen und somit die unterschied­lichen Erwartungen und Bedürfnisse bestens bedienen.“ Sogar der Nachrichtenagentur APA ist das Event nebst inhaltlicher Berichterstattung auch eine technische Erwähnung wert: „Viel Lob gab es seitens der ­Aktionäre zur Durchführung der HV als ­hybride Veranstaltung – d.h., Aktionäre ­hatten die Chance, sowohl in Präsenz teil­zunehmen als auch virtuell.“ Es sei besonders für die kleinen Aktionäre wichtig, auch die Möglichkeit für den direkten Kontakt mit dem Vorstand zu bekommen, betonte der Interessenverband für Anleger (IVA).

Abb.1: HV-Fragen in der Hauptversammlung der Raiffeisen Bank International, Quelle: Link Market Services GmbH

Bereits seit Jahren ist in Deutschland und Österreich die Präsenzhauptversammlung an einem Ort als Leitbild fest im ­Aktienrecht verankert. Zwischen den ­beiden eindimensionalen Varianten – ausschließlich virtuell im Internet oder alle live vor Ort – findet die Kombination beider Ausprägungen – die hybride Hauptversammlung – bislang eher wenig Beachtung. Dies verwundert umso mehr, als doch beide Aktiengesetze die hybride Hauptversammlung bereits seit Jahren rechtlich erlauben. Hybride Hauptversammlung bedeutet ­dabei nicht nur, dass über Onlineportale eine Stimmabgabe bis in die Veranstaltung hinein bis zu einem bestimmten Zeitpunkt möglich ist. Dies kennen wir bei großen Hauptversammlungen auch schon in vielen Fällen aus der Vor-Corona-Zeit. Es geht vielmehr um eine echte Möglichkeit der Onlineteilnahme mit weitreichenderen Rechten als der bloßen Verfolgung der ­Versammlung bis zum Schluss.

Grundlage in Deutschland: § 118 Abs. 1 Satz 2 AktG

Im deutschen Aktiengesetz ist die hybride Hauptversammlung im § 118 Abs. 1 Satz 2 AktG flexibel geregelt:

„Die Satzung kann vorsehen oder den Vorstand dazu ermächtigen vorzusehen, dass die Aktionäre an der Hauptversammlung auch ohne Anwesenheit an deren Ort und ohne einen Bevollmächtigten teilnehmen und sämtliche oder einzelne ihrer Rechte ganz oder teilweise im Wege elektronischer Kommunikation ausüben können.“

Es bedarf also eines Hauptversammlungsbeschlusses zur Satzungsänderung, wenn es eine hybride Hauptversammlung geben soll. Der Vorstand darf dabei – in der Regel – in der Einberufung festlegen, wie und in ­welchem Umfang die über das Internet teilnehmenden Aktionäre ihre Rechte wahrnehmen können. Bei den wenigen bisher ­gelaufenen hybriden Hauptversammlungen wurde für die zugeschalteten Teilnehmer zumeist nur auf das Teilnahme- und Stimmrecht beschränkt. Ein anschauliches Beispiel stellt der Passus aus der Einberufung der Hauptversammlung der SAP SE am
19. Mai 2019 dar:

„Im Wege der Onlineteilnahme können die ­Teilnehmer die gesamte Hauptversammlung in Bild und Ton über das Internet verfolgen, bei den Abstimmungen ihre Stimmen in Echtzeit abgeben und elektronisch das Teilnehmerverzeichnis der Hauptversammlung einsehen. Eine darüber hinausgehende Ausübung von Aktionärsrechten im Wege der Onlineteilnahme ist aus technischen und organisatorischen Gründen nicht möglich.“

Die im Freiverkehr notierende EQS Group AG, die seit 2012 eine hybride Hauptversammlung abhält, gewährt den Onlineteilnehmern in der Hauptversammlung vom 17. Mai 2019 auch ein abgeschichtetes ­Fragerecht. Die Anfechtung wegen mög­licher Auskunftsverweigerung wurde ausgeschlossen:

„Darüber hinaus haben die Onlineteilnehmer die Möglichkeit, ab Eröffnung der Generaldebatte bis zu deren Schließung durch den Versammlungsleiter auf dem Wege elektronischer Kommunikation über das Internet in Textform Fragen zu stellen bzw. zu verlesende Beiträge beizusteuern. Dabei ist die Anzahl der Fragen bzw. Beiträge auf jeweils fünf pro Onlineteilnehmer begrenzt. Die Länge einer jeden Frage bzw. ­eines jeden Beitrags ist auf maximal 1.000 Zeichen (ohne Leerzeichen) begrenzt. § 131 Abs. 5 AktG findet für die Onlineteilnehmer keine ­Anwendung.“

Grundlage in Österreich: § 102 Abs. 3 Nr. 2 und 3 ÖAktG

Im österreichischen Aktienrecht ist die ­hybride Hauptversammlung in § 102 Abs. 3 Nr. 2 und 3 ÖAktG festgeschrieben. Man ­unterscheidet hier zwischen Fernteilnahme und Fernabstimmung. Ähnlich wie in Deutschland muss die hybride Hauptversammlung jedoch in der Satzung verankert werden und auch in Österreich kann der Vorstand entscheiden, welche Rechte den Onlineteilnehmern zugestanden werden:

„Die Satzung kann vorsehen oder den Vorstand ermächtigen vorzusehen, dass die Aktionäre an der Hauptversammlung im Weg elektronischer Kommunikation teilnehmen und auf diese Weise einzelne oder alle Rechte ausüben können.“

Abb.2: PRAXISBEISPIEL RBI, Bei der letzten Haupt­versammlung der RBI vor Corona am 13. Juni 2019 in der Wiener Stadthalle nahmen knapp 200 Aktionäre bzw. Aktionärsvertreter teil. Bei der ersten hybriden HV am 31. März 2022 waren es in der Spitze 190 gleichzeitige Teilnehmer. Hiervon waren gegen 11:00 Uhr zur Rede des Vorstandsvorsitzenden Dr. Strobl 122 Teilnehmer vor Ort und 77 nahmen über das HV-Portal teil. Dies entspricht einem Anteil von ca. 41%. Während die Teilnehmerzahl vor Ort bereits um 12:00 Uhr unter 100 Personen lag, blieb der Anteil der Onlineteilnehmer konstant hoch. Einige Aktionäre haben dabei nach der Vorstandsrede den Versammlungsraum verlassen und sich in der Folge digital zugeschaltet. Die Flexibilität, die Art der Teilnahme individuell und spontan selbst entscheiden zu können, kam also bereits bei der Premiere an., Quelle: Link Market Services GmbH

Bei einem Blick in die Praxis ist zu konstatieren, dass die hybride Hauptversammlung in Deutschland und Österreich bisher sehr ­selten zur Anwendung kommt. Auch die derzeitige Diskussion zur Zukunft der Aktionärsversammlungen an sich konzentriert sich meist auf virtuell oder Präsenz. Dies ist etwas unverständlich, da doch z.B. die Stimmrechtsberater, als verlängerter Arm der institutionellen Investoren, Onlineteilnahmemöglichkeiten durchaus begrüßen, jedoch die rein virtuelle Teilnahme ­ablehnen.

Internationale Vorbilder für die hybride HV

Die deutsch-österreichische Zurückhaltung in Sachen hybride Hauptversammlung irritiert auch mit Blick auf andere Kontinente etwas. So ist in den letzten Jahren die hybride Hauptversammlung in Australien und Neuseeland das vorherrschende Format. Allerdings werden in diesen Ländern den vor Ort und den online teilnehmenden Aktionären identische Rechte gewährt. In Deutschland und Österreich wird die hybride Form oft mit Begriffen wie „Organisationsmonster“ belegt und pauschal als „zu teuer“ abgestempelt. Ist das wirklich so? Um die Frage zu beantworten, trifft es sich, dass am 31. März 2022 die Raiffeisen Bank Interna­tional AG (RBI) in Wien die erste hybride Hauptversammlung auf Grundlage des ­österreichischen Aktienrechts abgehalten hat. Allen Aktionären wurden die iden­tischen, vollumfänglichen Rechte gewährt.

Organisatorischen Rahmen abstecken

Grundlage einer ordnungsgemäß durchzuführenden hybriden Hauptversammlung ist eine Software, die Daten der Präsenzteil­nehmer als auch die der Onlineteilnehmer zentral nur in einer Datenbank verarbeitet. Damit wird sichergestellt, dass jeder Teilnehmer entweder vor Ort oder über das ­Internet teilnehmen kann. Eine doppelte Teilnahme muss technisch ausgeschlossen sein. Alle Aktionen, wie z.B. Vollmacht und Weisung an Dritte bzw. Stimmrechtsvertreter, müssen in Echtzeit sowohl im Saal als auch im Netz verfügbar sein. Verlässt etwa ein Aktionär die Präsenzversammlung und gibt Vollmacht/Weisung an den Stimmrechtsvertreter, so muss er, falls er sich ­später über das Internet in die Versammlung wieder einloggt, die erteilte Vollmacht erst widerrufen.

Den Onlineteilnehmern muss ein Onlineportal, wie bei der virtuellen Hauptversammlung, zur Verfügung stehen. Sobald ein Teilnehmer online den digitalen Versamm­lungssaal nach Eingabe seiner persönlichen Benutzerkennung und des individuellen Passworts betritt, muss eine präsente Teilnahme erst einmal ausgeschlossen werden, um eine Doppelausübung der Aktionärsrechte zu verhindern.

Fazit

Es funktioniert! Und ja – eine hybride Hauptversammlung erhöht zwar den Aufwand. Sie ermöglicht es jedoch, auch andere Aktionärsgruppen an einer Hauptversammlung teilhaben zu lassen. Insbesondere institutionelle Investoren wünschen sich eine digitale Verfolgung; private Aktionäre bevorzugen oft eher die Anwesenheit vor Ort. Wieso es also nicht allen recht machen? RBI-­Vorstandschef Dr. Strobl wäre wohl dabei, wenn es so läuft wie in diesem Jahr: „Der ­reibungslose Ablauf der Hauptversammlung sowie das positive Feedback der Aktionär*innen zum Format runden die ­gelungene Veranstaltung ab.“

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Autor/Autorin

Bernhard Orlik

Bernhard Orlik ist Head of Client Services bei der Computershare Deutschland GmbH & Co. KG.