Die Bauindustrie steht vor multiplen Herausforderungen: steigende Zinsen und Preise, die Transformation zu mehr Nachhaltigkeit, Konjunktursorgen. Die PORR AG entwickelt sich derzeit weitgehend gegenläufig positiv. Ein Gespräch über die Gründe für die Sonderkonjunktur, den Ausblick für die Branche und die Rekordpräsenz an der Wiener Börse seit 1869.

GoingPublic: Sehr geehrter Herr Eiter, in diesen unruhigen Monaten zitieren viele Vorstände häufig den Ökonomen Schumpeter, der in Zeiten großen Wandels disruptive Entwicklungen gerne mit dem Begriff der „schöpferischen Zerstörung“ umschrieb. Die PORR AG hatte das bisher nicht nötig, Sie konnten Ende August sogar ein sattes Plus fürs erste Halbjahr verkünden – wie kommt das?

Klemens Eiter ist Chief Finan­cial Officer (CFO) der PORR Group. © Astrid Knie

Klemens Eiter: Der große Ökonom Schumpeter hat sicher recht, dass zu jeder grundlegenden Veränderung der Märkte auch die kreative Zerstörung dazugehört. Uns als börsennotiertem Unternehmen ist es aber wichtig, unseren Investorinnen und Investoren gerade in unruhigen Zeiten eine solide Basis und ein nachhaltiges Wachstum zu bieten. Wir konnten in den vergangenen Jahren unsere Marktposition in unseren Heimmärkten stärken und weiter ausbauen, trotz steigender Kosten und logistischer Herausforderungen.

Diese Tatsache und das besonders erfreuliche Plus im ersten Halbjahr 2023 zeigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Einerseits liegt es daran, dass unser Portfolio breit aufgestellt ist und wir gerade mit unseren Kompetenzen im Infrastrukturbereich einen Markt mit einer anhaltend stabilen Nachfrage bedienen. Andererseits können wir steigende Materialpreise im Rahmen unserer Vertragsgestaltung an unsere Kunden weitergeben. Wir kalkulieren also insgesamt konsequent verantwortungsbewusst: Wir nehmen nur Aufträge an, bei denen von vornherein klar ist, dass wir Kapazitäten und Materialien haben, um diese profitabel abzuwickeln.

Der Börsenkurs der PORR AG hat seit Verkündung der positiven Zahlen um knapp 9% zugelegt. Sind Sie zufrieden mit der Resonanz der operativen Leistung an der Börse?

Absolut! Zufrieden, allerdings nicht überrascht: Denn mit unserem Ergebnis haben wir uns vom Immobilienentwicklungssektor abgehoben, mit dem wir als Bauunternehmen traditionell in einen Topf geworfen werden. Dass wir uns gegen den Strom bewegen, ist natürlich auch den Anlegerinnen und Anlegern nicht entgangen.

Immerhin ist die Gesellschaft seit dem Gründungsjahr 1869 börsennotiert – ­anfangs als „Allgemeine Baugesellschaft“. PORR ist damit die älteste Aktie an der Wiener Börse überhaupt. Erwächst da­raus für die Vorstandschaft des Unternehmens eine besondere Verantwortung?

Wir sind stolz darauf, dass wir das älteste börsennotierte Unternehmen in Österreich sind und bereits die Gründer diesen Weitblick hatten. Wir glauben, dass der Kapitalmarkt ein wesentliches Fundament für die positive wirtschaftliche Entwicklung und das Wachstum des Wirtschaftsstandorts darstellt. Die an der Wiener Börse gelisteten Unternehmen repräsentieren das Rückgrat unserer Industrie und Finanzwirtschaft und für uns ist es eine Ehre, ein Teil davon zu sein.

Zurück zum operativen Geschäft. PORR hat ggf. stärker als andere Unternehmen im Bausektor von staatlichen Aufträgen profitiert, darunter sehr prominente Projekte zum Brenner Basistunnel, der Infrastrukturauftrag SuedLink zur Elbquerung. Wie nachhaltig ist diese Entwicklung?

Auch in den kommenden Jahren können wir davon ausgehen, dass staatliche Infrastrukturaufträge ein ganz wesentlicher Treiber in unserer Branche bleiben. Einerseits liegt das daran, dass gerade in Deutschland – aber auch in Österreich – ein hoher Sanierungsbedarf in der öffentlichen Infrastruktur herrscht. Es sind also laufend neue Ausschreibungen für anspruchsvolle, technisch komplexe Projekte zu erwarten: genau die Art von Aufträgen, bei denen PORR mit ihren Stärken punkten kann! Andererseits will die EU mit ihrem Green Deal eine Mobilitätswende einleiten. Deswegen fördert die öffentliche Hand Großprojekte, die dem Erreichen der Klimaziele dienen. Sie haben den Brenner Basistunnel genannt, ein weiteres Beispiel ist der Ausbau des U-Bahn-Netzes in Wien. Und auch in Polen und in den CEE-Ländern, wie Rumänien, boomen Infrastruktur und Bahnbau. Dort sind zahlreiche Projekte in der Vergabepipeline.

Wie sieht das Verhältnis von privaten zu staatlichen Aufträgen für die nächsten zwölf Monate und auch darüber hinaus aus? Wie ist die Gewichtung von Bauprojekten im In- und Ausland?

Das Verhältnis liegt in unserem Auftragsbestand bei etwa 50% privaten zu 50% öffentlichen Aufträgen. Die Gewichtung der Bauprojekte nach Märkten sehen Sie an dieser Grafik aus unserem aktuellen Geschäftsbericht (siehe Abb.).

Unabhängig von der zuletzt für PORR sehr positiven Entwicklung kämpft der Bausektor mit steigenden Rohstoffpreisen. Wo fällt das bei Ihnen im Unternehmen besonders ins Gewicht und welche Maßnahmen gab oder gibt es, um die Preissteigerungen einzudämmen?

Quelle: PORR AG

Die steigenden Rohstoffpreise waren vor allem 2022 ein wesentlicher Faktor, mit dem sich die Branche auseinandersetzen musste. Mittlerweile haben sich diese Preise auf hohem Niveau stabilisiert und sind zum Teil sogar bereits rückläufig – z.B. bei Stahl. Heute merken wir die sekundären Auswirkungen hauptsächlich in Preissteigerungen im Subunternehmerbereich. Diese können wir jedoch – verglichen mit den Rohstoffpreissteigerungen 2022 – wesentlich besser antizipieren und bereits im Vorhinein in unseren Angebotskalkulationen berücksichtigen. Unser effektivstes Mittel, um eine unstete Kostensituation im Griff zu behalten, ist die Vertragsgestaltung: einerseits mit langfristigen Rahmenverträgen mit unseren Lieferantinnen und Lieferanten, andererseits mit Indexklauseln im Zusammenhang mit unseren Kundenaufträgen.

Die Lieferengpässe nach Corona haben sich zuletzt etwas entspannt. Kann dies auch genutzt werden, um einseitige Abhängigkeiten zu beenden und die Bezugsquellen zu diversifizieren?

PORR hat ihre Bezugsquellen bereits seit Langem breit gestreut, unter anderem, um Verzögerungen und Engpässe zu vermeiden. Single Sourcing ist für uns ein absolutes ­No-Go. Das dürfte während Corona einigen Marktteilnehmern klar geworden sein! Rund 80% unserer Beschaffung erfolgen lokal, das hat sich auch damals schon bewährt. Zudem beziehen wir keine Rohstoffe aus Krisengebieten – das ist ein strikter Grundsatz bei uns.

In Deutschland stehen einige Bauprojekte still, vor allem im privaten Wohnungsbau steigt die Anzahl der brachliegenden Baustellen täglich an. In Summe erwartet die Baubranche in Deutschland einen Rückgang von 6%. PORR hat ­zuletzt Ende August publiziert, von einem steigenden Wachstum der ­Branche in den Heimmärkten auszu­gehen. Wie erklären Sie sich diese ­gegenläufige Entwicklung?

Aufgrund des infrastrukturellen Aufholbedarfs rechnen wir in Deutschland in den kommenden Jahren mit einer großen Anzahl von Aufträgen, die sich positiv auf die Branchenentwicklung auswirken wird. Ähnliches gilt auch in weiteren Heimmärkten wie Rumänien und Polen, wo wir eine Zunahme von Großprojekten aus dem In­frastrukturbereich registrieren – eine Folge der umfangreichen Unterstützung bei der Finanzierung durch die Europäische Union. Der von Ihnen angesprochene Wohnbau macht bei uns in der Gruppe insgesamt nur etwa 8% unseres Produktionsvolumens aus und ist daher für das Wachstum von PORR nicht ausschlaggebend.

Außerhalb des Wohnbaus – im sogenannten Nicht-Wohnungshochbau – führt derzeit eine Vielzahl von positiven Impulsen zu Großaufträgen: Im Industriebau haben wir zuletzt Projekte von BMW bekommen und mehrere Aufträge über Datencenter für Vantage in Deutschland und Polen. Im öffentlichen Hochbau sind zwei neue Krankenhäuser in Polen dazugekommen. In die Gesundheit muss immer investiert werden.

Stichwort: Zinsanstieg. Beim privaten Wohnungsbau ist die sinkende Nachfrage von privaten Haus- und Wohnungskäufern bei steigenden Kreditkosten direkt und sofort spürbar. Wie und wann schlägt diese Entwicklung im öffentlichen Sektor sowie im Wirtschaftsbau durch?

Erfahrungsgemäß investieren Regierungen in Zeiten der Konjunkturflaute stärker in die In­frastruktur, um damit positive Impulse zu setzen. Zudem besteht in allen Märkten ein immenser Infrastrukturbedarf – sowohl im Neubau als auch in der Modernisierung. Speziell in Deutschland ist das der Fall. Dazu kommt noch das Thema Energietransformation: Sie haben vorhin SuedLink angesprochen, damit ist PORR bereits Teil davon. Im Industriebau – z.B. bei BMW oder Vantage – sind die Zinsen nicht der entscheidende Faktor. Diese Unternehmen wollen möglichst schnell wachsen bzw. ihre Produktion rasch umstellen.

Zusätzlich zu den konjunkturellen und finanziellen Herausforderungen schwebt noch ein anderes großes Thema über der Baubranche – es geht um ökologische und soziale Nachhaltigkeit. Ab 2025 müssen kapitalmarktorientierte Unternehmen gemäß der europäischen Corporate Social Responsibility Directive (CSRD) nachweisen, dass sie Fortschritte hinsichtlich Energieeffizienz, Baustoffeinsatz und auch sozialer Kriterien gemacht haben. Wie schwer fällt dies in einer Industrie, die naturgemäß auch auf nicht erneuerbare Rohstoffe wie Stahl, Zement etc. angewiesen ist?

Wir haben für das Geschäftsjahr 2022 bereits einen kombinierten Geschäfts- und Nachhaltigkeitsbericht in Anlehnung an die CSRD geliefert. Darauf können wir wirklich stolz sein. Die CSRD stellt uns vor Herausforderungen, aber PORR ist innerhalb der Baubranche Spitzenreiter in der Nachhaltigkeit. Das belegen Auszeichnungen wie etwa von der Ratingagentur ISS ESG, wo wir bereits das zweite Mal in Folge Prime-Status erreicht und damit eine Bestnote in der Branche erhalten haben. Und wir arbeiten hart daran, uns ständig zu verbessern.

Ein wesentlicher Anteil aller CO2-­Emissionen auf der Welt entfällt auf die Bauwirtschaft. Was unternimmt PORR, um diese Emissionen zu reduzieren?

Zunächst einmal müssen wir als Bauunternehmen natürlich das bauen, was die Auftraggeberin oder der Auftraggeber verlangt. Trotzdem haben wir eine Anzahl an Hebeln, mit der wir unseren Carbon Footprint als Bauunternehmen deutlich reduzieren können. So führen wir mit unserer Photovoltaikstrategie und mit E-Tankstellen systematisch Grünstrom in unseren Niederlassungen in Österreich ein, forschen an CO2-armen Baumaterialien und bauen auch den Bereich Kreislaufwirtschaft aus. Mit etwa 2 Mio. Tonnen gruppenweiter Recyclingmenge, wovon der Großteil auf unseren eigenen Baustellen wiederverwertet wird, sind wir österreichweit die Nummer eins. Wir forschen an neuen Methoden zur Mineralwolleaufbereitung, an Styropor-Recycling und stehen auch im Bereich Gips gemeinsam mit Partnern in den Startlöchern zu einem ganz besonderen Aufbereitungsprojekt.

Eine Folge der Bemühungen um die ökologische Transformation der ­Wirtschaft sind die jüngsten Heizungs­gesetze in Österreich und Deutschland. Inwiefern betrifft Sie dieses Thema bei Ihren laufenden Projekten?

Das Verbot von Gasheizungen in Österreich hat natürlich sowohl bei laufenden als auch bei Neuprojekten zu einem wachsenden Interesse an alternativen Energiequellen geführt. Ein Beispiel: PORR hat bereits als erstes großes Bauunternehmen eine eigene Abteilung für Geothermie aufgebaut – heute boomt das Geschäftsfeld. Auch das Interesse an thermischer Sanierung wird an Bedeutung gewinnen. Damit kann man sehr viel Energie und CO2 einsparen und für uns ist es ein profitabler Geschäftsbereich. Ähnliches merkt man auch in Deutschland. Hier kommt eine Investitionswelle auf den Markt zu.

Vor dem Hintergrund der genannten Herausforderungen – mögen Sie ­abschließend noch einen Ausblick für die Entwicklung der PORR AG und die Baubranche in Österreich wagen?

Die Branche hat sich bis jetzt resilient gezeigt und wir rechnen in den meisten unserer Heimmärkte mit einem weiteren Wachstum, insbesondere da sich die internationalen Lieferketten erholen und die Energiekos­ten entspannen. Wir als PORR haben dabei gezeigt, dass wir die gestiegenen Kosten an unsere Auftraggeber weitergeben können.

Natürlich muss man hinsichtlich der weiteren Entwicklung deutlich zwischen den einzelnen Bausparten unterscheiden. Der private Wohnbau bleibt weiterhin unter Druck. Bei uns liegt der Anteil des gesamten Wohnbaus unter 10% und spielt damit eine untergeordnete Rolle. Im sonstigen und Industriehochbau rechnen wir mit einer Zunahme beim Investitionsbedarf. Neben der European Recovery and Resilience Facility und dem NextGenerationEU Budget sorgen nationale Investitionsprogramme im Straßen- und Bahnsektor für eine solide Auftragslage.

Mittel- bis langfristig sieht man, dass die Branche auf Maßnahmen zur Dekarbonisierung und Digitalisierung von Bauprozessen und Bauwerken setzt. PORR ist hier mit ihrer Strategie Green and Lean federführend dabei. Ausgehend von den vollen Auftragsbüchern und der aktuellen Leistungsentwicklung von PORR erwarten wir für das Geschäftsjahr 2023 eine Leistung in einer Bandbreite von 6,5 Mrd. bis 6,7 Mrd. EUR sowie eine weitere Steigerung des Ergebnisses.

Herr Eiter, vielen Dank für die ­interessanten Einblicke!

Autor/Autorin

Simone Boehringer

Simone Boehringer ist die Redaktionsleiterin "Kapitalmarktmedien" der GoingPublic Media AG.