Ein sich fortsetzender Trend der letzten Jahre wird auch in der Hauptversammlungs-Saison 2015 zu beobachten sein: Die Rede ist von der wachsenden Bedeutung der Abstimmempfehlungen der Proxy Advisors und Aktionärsvereinigungen.

Kaum eine börsennotierte Aktiengesellschaft formuliert ihre Tagesordnung zur jährlichen Hauptversammlung, ohne die einzelnen Beschlussfassungen mit den Richtlinien der führenden Stimmrechtsberater und Aktionärsvereinigungen vor Veröffentlichung abzustimmen. Zahlreiche Angaben im Geschäftsbericht richten sich nicht mehr ausschließlich nach dem Gesetzeswortlaut und den Empfehlungen des Deutschen Corporate Governance Kodex. Viele Veröffentlichungen des Emittenten resultieren aus den Anforderungen der Abstimmrichtlinien, nach denen die Proxy Advisors und Aktionärsvereinigungen die Tagesordnung eines Unternehmens analysieren und bewerten. Die meist öffentlich zugänglichen Richtlinien haben sich als fester Bestandteil der vom Emittenten zu beachtenden Vorgaben etabliert. Nicht selten entscheidet das Votum eines führenden Stimmrechtsberaters über das Wohl und Wehe eines Tagesordnungspunktes auf der Hauptversammlung.

Die wichtigsten Akteure

Der einflussreichste Stimmrechtsberater ist das US-amerikanische Unternehmen Institutional Shareholder Services, kurz ISS, gefolgt von dem deutlich kleineren Anbieter Glass Lewis. Beide Proxy Advisors haben auch auf dem europäischen Markt großen Einfluss. Für den deutschen Markt hat neben den beiden globalen Anbietern das 2006 gegründete Unternehmen IVOX zunehmend an Bedeutung gewonnen. IVOX erstellt, anders als ISS und Glass Lewis, keine eigenen Abstimmkriterien, sondern richtet seine Analysen und Bewertungen an den Richtlinien des Bundesverbands Investment und Asset Management e.V. (BVI) aus.

Bei den Aktionärsvereinigungen hat die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz e.V. (DSW) gefolgt von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger e.V. (SdK) traditionell den größten Einfluss innerhalb des deutschen Markts. Beide Aktionärsvereinigungen veröffentlichen ihre Abstimmempfehlungen für die jeweiligen Tagesordnungen der Emittenten im Vorfeld der Hauptversammlung, wobei die DSW, ebenso wie die Proxy Advisors, ihre Abstimmempfehlungen an jährlich aktualisierten, selbst entwickelten Richtlinien ausrichtet.

Die bereits Ende letzten Jahres von ISS veröffentlichten Abstimmrichtlinien für die Hauptversammlungssaison 2015 enthalten für den deutschen Markt nur begrenzte Änderungen im Vergleich zum Vorjahr. So muss neuerdings mindestens ein Drittel der Aufsichtsräte bei mitbestimmten Kontrollgremien unabhängig sein, ohne Arbeitnehmerbeteiligung sind es sogar 50%.

Nur begrenzte Änderungen

Unverändert für 2015 bleiben dagegen die Obergrenzen hinsichtlich der maximalen Verwässerung für bedingte und genehmigte Kapitalia. Nach wie vor können Kapitalerhöhungen mit Bezugsrecht bis zu 100% des Grundkapitals betragen. Ein Bezugsrechtsausschluss für bestehende Aktionäre gegen Sach- und Bareinlage wird von ISS bis zu einer Obergrenze von 20% des Grundkapitals befürwortet. Der Grundsatz der Einzelfallentscheidung gilt allerdings weiterhin, so dass es durchaus zu abweichenden Empfehlungen kommen kann.

Die BVI-Analyse-Leitlinien für Hauptversammlungen 2015 sehen dagegen mehrere Neuerungen im Vergleich zu 2014 vor: Schwerpunkt ist neben der Vorstandsvergütung das Thema „Overboarding“ von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern und die Unabhängigkeit des Wirtschaftsprüfers. Um diese bewerten zu können, fordert der BVI zahlreiche Offenlegungen seitens der Emittenten. Zum einen müssen die Beratungsleistungen des Wirtschaftsprüfers außerhalb der Abschlussprüfung angegeben werden, zum anderen ist der leitende Revisor explizit und über die Nennung im Bestätigungsvermerk hinaus zu erwähnen. Drittens ist anzugeben, seit wie vielen Jahren der leitende Revisor in dieser Funktion tätig ist. Bei einer Amtszeit von mehr als fünf Jahren stellt der BVI die Unabhängigkeit des Prüfers in Frage. Ob das Fehlen einzelner dieser Angaben in der Hauptversammlungssaison 2015 bereits dazu führt, dass IVOX bei der Wahl des Abschlussprüfers negative Abstimmempfehlungen erteilt, bleibt abzuwarten. Gleichwohl sind die Emittenten gut beraten, diese Angaben in den Geschäftsbericht mit aufzunehmen, wollen sie ein negatives Votum bei den Abstimmempfehlungen vermeiden.

Verschärfung beim „Overboarding“

Die wohl am weitesten reichende Verschärfung gegenüber dem Vorjahr betrifft das Thema „Overboarding“ von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern. Während die DSW noch von „Zweifeln an der zeitlichen Verfügbarkeit aufgrund anderer Mandate“ spricht, nennt der Corporate Governance-Kodex im Einklang mit den neuen Richtlinien des BVI konkrete Zahlen: „nicht mehr als drei Aufsichtsratsmandate“. Die neuen Regularien des BVI gehen jedoch weiter, da sowohl bei der Entlastung als auch der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern mehr als fünf konzernexterne Mandate des Kandidaten als kritischer Faktor gelten. Die Tätigkeit als Vorsitzender zählt dabei doppelt, ebenso wie die Tätigkeit als einfaches Vorstandsmitglied, Vorstandsvorsitzende werden sogar dreifach gewertet. Trotz dieser detaillierten Vorgaben ist offen, wie sich deren Anwendung auf die Gesamtentlastung des Aufsichtsrats als Tagesordnungspunkt auswirken wird. Vergleichsweise einfach sind dagegen die neuen Richtlinien des BVI bei der Vorstandsvergütung. Neben inhaltlichen Anforderungen liegt der Fokus auf der verständlichen Darstellung des Vergütungssystems. Zwecks Vergleichbarkeit der komplexen Vergütungssysteme müssen die dem deutschen Corporate Governance-Kodex beigefügten Mustertabellen Anwendung finden.

Dahingehend gleichlautend sind die Abstimmrichtlinien der DSW, welche der Transparenz und Verständlichkeit des Vergütungssystems oberste Priorität einräumen. Allerdings verzichtet die DSW auf die zwingende Verwendung der Mustertabellen, solange das Vergütungssystem verständlich dargestellt wird. Darüber hinaus liegt der Schwerpunkt der DSW-Richtlinien zur Hauptversammlungssaison 2015 beim Aufsichtsrat und der Genderquote. Angaben zum Nominierungsvorgang und zur konkreten Auswahl des jeweiligen Aufsichtsratskandidaten werden ebenso gefordert, wie individualisierte Angaben zur Teilnahme an Aufsichtsrats- und Ausschusssitzungen.

Fazit

Abschließend lässt sich feststellen, dass es nur wenige tiefgreifende Änderungen bei den Abstimmrichtlinien für die Hauptversammlungssaison 2015 gibt. Dennoch empfiehlt sich eine sorgsame Analyse hinsichtlich der Vereinbarkeit mit der eigenen Tagesordnung und den Veröffentlichungen im Geschäftsbericht. Nur auf diese Weise lassen sich Konflikte mit den jeweiligen Abstimmrichtlinien frühzeitig erkennen und durch rechtzeitige Ansprache und Diskussion mit den Marktteilnehmern bereits im Vorfeld der eigenen Hauptversammlung lösen.

Dr. Anne Katrin Burkert, Projektmanagerin, ADEUS Aktienregister Service-GmbH

annekatrin.burkert@adeus.com

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