Interview mit Prof. Dr. Jörg Baetge von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, und Dr. Benedikt Wünsche, Geschäftsführer der Baetge Analyse über die diesjährigen ‚besten Geschäftsberichte‘.

GoingPublic: Meine Herren, Ihr diesjähriger Wettbewerb ist zwar noch nicht abgeschlossen. Sind dennoch schon Trends erkennbar, womit die Medaillen-Kandidaten überzeugen?
Prof. Jörg Baetge und Dr. Benedikt Wünsche
Prof. Jörg Baetge und Dr. Benedikt Wünsche

Baetge: Die besten Geschäftsberichte zeichnet eine ganzheitliche und transparente Berichterstattung aus. Mit Ganzheitlichkeit ist gemeint, dass sowohl im Konzernlagebericht als auch im Konzernanhang sowie in den übrigen Teilen alle wichtigen Informationen zu finden sind und keine Bereiche ausgeklammert werden. Transparent ist ein Geschäftsbericht, wenn neben den Pflichtangaben auch über Sachverhalte und Entwicklungen berichtet wird, die für das Unternehmen unter Umständen unangenehm, für die Anleger aber entscheidungsrelevant sind.

GoingPublic: In welchen Teilen sehen Sie in diesem Jahr die größten Fortschritte?

Wünsche: In den 2016er Geschäftsberichten wurden erstmals die Änderungen des IAS 1 zum Konzernanhang berücksichtigt. Ihn können die Unternehmen jetzt individueller gestalten. Zwar haben viele die neue Freiheit genutzt, um diesen Teil zu verbessern. Interessant ist aber, dass insgesamt der Konzernanhang eher behutsam überarbeitet wurde, also keine radikalen Änderungen zu verzeichnen sind.

GoingPublic: Gibt es noch mehr Lobenswertes?

Wünsche: Ja. Immer mehr Unternehmen konzentrieren sich auf den Inhalt und weniger auf die Gestaltung ihres Druckwerks. So erwähnt Telekom-Chef Timotheus Höttges gleich im ersten Absatz des Vorstandsbriefs, dass der Geschäftsbericht bewusst „ohne Schnörkel und bunte Bilder“ konzipiert wurde, um sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und wertvolle Ressourcen zu schonen. Diese Entwicklung ist positiv – da Leser an den Inhalten interessiert sind und die Unternehmen zudem Kosten sparen.

GoingPublic: In den vergangenen Jahren war der Lagebericht Ihr Sorgenkind. Haben sich die Unternehmen hier auch verbessert?

Wünsche: Leider nicht. Nach wie vor liegt der Fokus auf der Darstellung der Grundlagen des Konzerns sowie der Analyse der wirtschaftlichen Lage und der Entwicklung des abgelaufenen Geschäftsjahres. Sobald Unternehmen über Sachverhalte berichten, die unsicher sind, scheuen sie sich vor konkreten Angaben. Übrigens betrifft das nicht nur den Prognosebericht. Auch im Nachtragsbericht ist selten, dass Unternehmen etwas zu konkreten Folgen wesentlicher Ereignisse nach dem Abschlussstichtag sagen. Wird aber zum Beispiel eine größere Übernahme vollzogen, ist der damit verbundene Umsatz- und Ergebnisbeitrag für Leser natürlich von großem Interesse.

GoingPublic: Einige Konzerne setzen bewusst auf kürzere Berichte. Halten Sie das für den richtigen Ansatz?

Wünsche: Hier muss man differenzieren. Maßvolles und sinnvolles Kürzen ist zu begrüßen, um dem „Information Overload“ entgegenzuwirken. Es macht auch Sinn, den Geschäftsbericht nicht als Produktbroschüre zu nutzen und den Image-Teil zu straffen. Gehen jedoch Kürzungen so weit, dass alle Angaben gestrichen werden, die nicht aufgrund von Vorschriften notwendig sind, leidet die Informationsaufgabe des Geschäftsberichts. Die Annahme, man könne die Qualität der Lageberichterstattung konstant halten, wenn diese inhaltlich halbiert wird, ist schlichtweg unhaltbar.

GoingPublic: Schaffen kürzere Geschäftsberichte für Anleger auch mehr Transparenz?

Baetge: Wenn man sich auf die betriebswirtschaftlichen Fakten konzentriert und Storytelling unterlässt, steigert das den Informationsgehalt und damit die Transparenz. Kürzungen dürfen aber nicht dazu führen, dass wichtige Themen im Geschäftsbericht nicht erwähnt werden. Das bedeutet dann für Leser weniger Transparenz, da wichtige Informationen fehlen. Wenn zum Beispiel im Geschäftsbericht der Allianz Angaben über die Mitarbeiter weggelassen werden oder im Druckwerk von Infineon nicht mehr über Nachhaltigkeit berichtet wird, kann von mehr Transparenz keine Rede sein.