Ob die Erwartungen zum Wirtschaftswachstum, zum Ifo-Index, zum Verbrauchervertrauen, dem Philadelphia Einkaufsmanager-Index oder zur Zahl der Erstanträge auf Arbeitslosengeld in den USA veröffentlicht werden – in den Meldungen der Agenturen ist bei Bekanntgabe der Zahlen meistens zu lesen: „Zuvor befragte Experten hatten einen wesentlich stärkeren Rückgang erwartet.“ Oder „Von der starken Steigerungen zeigten sich Analysten überrascht, die eine wesentlich geringere Zunahme prognostiziert hatten.“

Das wird die Experten am meisten ärgern, gleichviel stellt sich die Frage nach dem Sinn von Prognosen, wenn sie derart hartnäckig von der Realität abweichen. Der nicht zu toppende Klassiker unter den Fehlprognosen ist dabei das wöchentliche Rätselraten um die US-Lagerbestände für Öl, Benzin und andere Destillate. „Händler sahen die Ursache für den jüngsten Preisanstieg an den Ölmärkten beim überraschend starken Rückgang der Lagerbestände in den USA. Die Benzinreserven sind nach Angaben des US-Energieministeriums um 6,4 Mio. Barrel gefallen und damit mehr als dreimal so stark wir zuvor von Volkswirten erwartet“, tickerte es zum Beispiel am 14. August in die Redaktionen.

Die Woche zuvor wurde die Prognose-Verfehlung so beschrieben: „Während die Rohöl-Vorräte überraschend gestiegen waren, fiel der Rückgang beim Benzin erheblich kräftiger aus als von Experten vorhergesagt.“ Die letzte halbwegs korrekte Prognose stammt wahrscheinlich aus der Zeit, als Kolumbus gerade losgesegelt ist, und es drängt sich die Frage auf: Kann nur der Experte sein, der immer ein paar Millionen Barrel daneben liegt? Wie auch immer: Ganz offenbar eilen Kurse den gegeben Prognosen voraus, um sich dann nach Vergegenwärtigung der Realität dieser preislich anzupassen. Das kann nicht der Sinn von Prognosen sein. Und warum eigentlich geben Händler etwas auf Prognosen, die mit hinreichender Sicherheit nicht eintreten, statt anty-prognostisch zu handeln?

Doch es geht noch besser. Diese Meldung tickerte  am  gestrigen Vormittag: „Das Marktforschungsunternehmen GfK prognostiziert für September einen Rückgang des Konsumklimas von 1,9 Punkten im Vormonat auf 1,5 Punkte, wie die GfK am Dienstag in Nürnberg mitteilte. Volkswirte hatten mit einer Stimmungseintrübung gerechnet, diese aber moderater veranschlagt.“ Wenn die Fügung der Wörter hier den Verstand nicht völlig hemmt, werden hier also schon Prognosen für Prognosen abgegeben.

Vielleicht sollten die Experten, Volkswirte, Analysten und alle anderen, von denen Gefahr an den Kapitalmärkten ausgeht, von den Notenbankern lernen. Die müssen zwar auch ständig Prognosen abgeben, tun das aber so, dass sie hinterher kaum festgenagelt werden können. Richtschnur könnte der Satz von Alan Greenspan sein: „Sollten Ihnen meine Aussagen zu klar gewesen sein, dann müssen Sie mich missverstanden haben.“ Denn dann, so die keineswegs gewagte Prognose, wäre allen geholfen.

Stefan Preuß

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